Dienstag, 5. Oktober 2010

Energie!

Der Präsident unseres Europäischen Rates ist um die 22 Lenze jung - und leitet souverän die Sitzung. Barbora, eine Tschechisch-Kollegin, die gelegentlich in Brüssel ausgewachsene Politiker dolmetscht, äußert sich hinterher begeistert: "Ich hab die gleichen Worte gehört und die gleichen Sätze gedolmetscht wie in Brüssel, das war wirklich unglaublich!"

Wir sind in Würzburg, es ist das Wochenende des 20. Jubiläums der deutschen Einheit. Das deutsch-französische Jugendwerk hat eine trinationale Jugendbegegnung organisiert zum Thema deutsche Einheit und Gesetzgebung der EU. Mit jungen Deutschen, Franzosen und Tschechen sind wir in der Jugendbildungsstätte am Rande der Stadt, Schauplatz eines zweitägigen Planspiels.

Es ist nach einem Einsatz für die ENA das zweite Planspiel, das ich binnen Monatsfrist dolmetsche - diese Simulation komplexer sozialer Wirklichkeiten nach Spielanleitung und mit Beratern, die mit der Bezugssituation wohlvertraut sind, wird immer häufiger in Lehr- und Lernsituationen eingesetzt. Und hier eben, typisch für Brüssel, sogar mit Dolmetschern. Verhandelt wird eine Direktive zur Förderung Erneuerbarer Energien, zu den Gremien kommen Lobbyisten und Pressevertreter hinzu, angeleitet wird das Seminar von Fachleuten vom Centrum für angewandte Politikforschung an der LMU München.

Wir Dolmetscher arbeiten zu viert mit unterschiedlichen Aufgaben. Das Gros meiner Zeit verbringe ich im Europäischen Parlament, wo die Arbeitssprache Französisch ist. Unsere an dieser Sitzung teilnehmenden tschechischen Studenten verstehen und sprechen entweder Deutsch - oder sie sprechen sehr gut Französisch wie Jiří, der sogar noch zur Schule geht und zu meiner hellen Freude mit Québecer Akzent spricht, war er doch ein Jahr dort im Rahmen eines Austauschprogramms. Da ich viel für Radio Canada arbeite, ist mir die Färbung bestens vertraut und angenehm, aber von einem Prager Schüler hätte ich diese Aussprache zuallerletzt erwartet, und so grinse ich beim Dolmetschen manchmal still in mich hinein.

Andere Redner sind schwerer verständlich, sprechen zu schnell, zu leise, offenbar ohne konkreten Plan - auch das kommt manchem Moment in der Wirklichkeit doch recht nahe. Nur leider fehlt uns anders als "in echt" der Hinkanal der Übertragung. Wir arbeiten mit mobiler Dolmetschtechnik, liefern den Rückkanal, also die Verdolmetschung auf die Kopfhörer unserer Teilnehmer, und müssen uns das Gesagte zur Not durch Herumgehen im Raum "näher heranholen".

Trotz aller Anstrengungen macht die Arbeit großen Spaß.

Vor allem sind diese jungen Leute ein Anlass großer Freude: Klug, engagiert, bescheiden, stellen sie die richtigen Fragen im richtigen Moment - bzw. reflektieren kritisch, dass das Planspiel bzw. die Notwendigkeit der Kompromissfindung im Rahmen politischer Mehrheitsbildung sie zum Aussprechen von Sätzen bringt, die sie persönlich niemals vertreten hätten.
Kurz: die Gespräche in den Kaffeepausen sind mindestens genauso spannend wie die 'offiziellen' Momente.

Zum Abschluss noch ein Zitat meiner Tschechisch-Kollegin Barbora: "Ich habe das Gefühl, dass ich hier nicht Energie verliere, sondern Energie auftanke!" Dem kann ich mich nur anschließen.

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Fotos: C. Elias

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