Donnerstag, 28. Oktober 2010

Sprechmuschel und Co.

Wie schön! Ich habe mal wieder ein Drehbuch zu einem historischen Film auf dem Tisch. Es spielt nach dem zweiten Weltkrieg, und ich kann Szenen, bei denen das Telefonat in der Zeile zuvor angekündigt wird, so übersetzen:

                  GABRIEL                                                       GABRIEL
          (au téléphone)                                           (in die Sprechmuschel)
 … oui, je m'en doutais un peu !                ... ja, das hatte ich befürchtet!

Bei 'il raccroche' darf ich endlich wieder er hängt ein schreiben. Vorher aber schlägt er entnervt auf die Telefongabel.

Eine andere Stelle: "Aufgeregt haut Ivan den Brief in die Tasten der Schreibmaschine."

Mit der Technik haben sich die Filmszenen verändert. Manches, das für uns heute selbstverständlich ist, wäre damals unverständlich gewesen.

So wie Szene um 2000, als das Handy Gemeingut wurde und alle noch die gleichen drei, vier Klingeltöne hatten: Jemand steht wartend auf den Treppen der Pariser Oper und beobachtet die Passantinnen und Passanten. Da ertönt ein bekannter Klingelton. Alle Passanten führen gleichzeitig Rucksack, Handtäschchen oder Aktenkoffer zum Ohr, einer lauscht an der hochgeschlagenen Jacketttasche. (Kein Film, ist selbst beobachtet.)

Oder die Geste und das Wort "wegdrücken": Im Kurzfilm "Schule Utopia" (2005) von Bernadette Klausberger hatte ich eine kleine Off-Stimmen-Rolle und musste mindestens dreißigmal vorwurfsvoll sagen: Du hast mich weggedrückt! Der Satz war ein teils routiniert zu sprechen, teils genervt und gelangweilt, weil die Figur von ihrem wohl künftigen Ex-Freund nichts anderes mehr erwartet hat als blöde Aktionen. (Ich musste den Satz so oft wiederholen, weil in einer Sitzbank vom Flohmarkt ein völlig untechnischer Holzwurm unablässig reinfunkte, was das Mikrophon, so gut wie es war, aufs Genaueste aufnahm! Das Kerlchen war so laut, dass wir schon an einem Kurzfilm rumspintisierten à la Hölzi muss ausziehen - Tierschutz für den Holzwurm? Aber das ist ein anderes Thema.)

Telefonszenen wie das berühmte Moment bei der "Frau von nebenan" (La femme d'à côté, F, 1981) von Truffaut, sehen wir heute nicht mehr. Sie (Fanny Ardant) ruft ihn an, hört das Besetztzeichen, er (Gérard Depardieu) ruft sie auch an, ebenfalls Besetztzeichen, das Ganze in Parallelmontage; außerdem wissen wir, dass sie jeweils direkt nebenan wohnen ... So eine Szene ist im Kino von heute nicht mehr möglich. Auch im wirklichen Leben ist sie sehr selten, nur gestern erlebte ich sie wieder, als ich mit meinem analogen Privatanschluss meinen Vater anrief und das Gespräch kurz unterbrochen wurde, worauf ... ;-)

Wie dem auch sei, wenn Filmfranzosen zu einer Szene sagen, c'est téléphoné, dann meinen sie nicht, dass es sich um eine Telefonszene handelt, sondern sie wollen das ausdrücken, was man auf Deutsch mit: "Die Szene raschelt nach Papier" umschreiben kann. Dann klingt es hölzern, und zwar selbst dann, wenn das Buch auf holzfreies Papier gedruckt ist.

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Foto: Das alte Telefon von Marie - so sahen früher alle franzö-
sischen Telefone aus, oder aber das Modell in braun-beige.

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