Wie merken Sie sich das alles nur immer?", fragt mich eine ältere Dame nach dem Dolmetscheinsatz bei einer Autorenlesung, "... ich weiß nicht einmal mehr, was auf dem von mir eigenhändig geschriebenen Einkaufszettel stand, wenn ich ihn wieder vergessen habe!"
Gedächtnis ist Trainingssache. Und Training hab ich reichlich. Bei zu dolmetschenden Abläufen stelle ich sie mir einfach vor: Ich sehe vor dem inneren Auge die Orte der Handlung, sehe lauter Dinge mit Großbuchstaben vorne dran in der Gegend rumstehen (Nomen!), spüre die Bewegung in den Beinen oder des Körpers im Raum, Farben sind eher transparent und flüchtig, legen sich wie ein Schleier über die Dinge, ebenso Adjektive und Adverbien. Der Erzählstrom hält an, es werden Zustände geschildert, Begegnungen, Begebenheiten. Ich höre zu, setze auch hier innerlich meine "Marker". Und ich schreibe auf, habe mein "Sicherheitsnetz" aus einfachen Worten, das ich oft gar nicht brauche. "Sie schreiben viel mit, das sehe ich", sagt denn auch die ältere Dame, "aber komisch: Manchmal schauen sie fast gar nicht drauf!"
Ich mache aus allem einen sehr visuellen, auch kinästhetisch erfahrbaren inneren Film, bei dem sich sicherlich die gedachten Bewegungen auch im Bewegungszentrum des Gehirns abbilden, so stark spüre ich sie. Und manches gebe ich wörtlich wieder in der Fremdsprache - weil sich mir der Originalwortlaut wie Musik eingeprägt hat. Glücklich bin ich dann, wenn es sich um einfach zu übersetzende Worte handelt, und ich kurze Begriffe ebenso kurz wiedergeben kann und wenn dann sogar die Farben der Vokale übereinstimmen ... Nein, ich denke hier nicht an das Gedicht von Rimbaud - A noir, E blanc, I rouge etc. - sondern es spüre offene, lichte Vokale, die nach oben streben und hell sind, andere gehen in die Breite, wieder andere "ziehen nach unten", sind dunkel ...
Wie merke ich mir das alles? Ich fasse zusammen: Mit allen Sinnen, dem Hörsinn, dem Bewegungssinn, ja, Raues stelle ich mir über den Tastsinn vor, wobei hinter allem die Vorstellungskraft und damit das Übertragen von Worten in Bilder und zurück in Worte steht. Noch kürzer: Kopfkino! Dabei nutze ich im Zusammenspiel viel von dem, was mir die Spezialisierungen meiner Hirnhälften anbieten.
Bleibt noch der Einkaufzettel. Den lasse ich selbst oft auf dem Küchentisch liegen. Und komme dennoch zurecht, denn ich habe ihn längst in Bilder übertragen: In einem Meer von Milch die Brotinsel, deren Felsen mit Kürbiskernsteinen übersät sind, auf ihr thront eine Spülbürstenpalme, und am anderen Ufer ist ein Strand aus fein gemahlenem Mehl, von dem gerade ein Ponton aus Topfkratzschwämmchen ablegt, daneben liegt eine Stadt aus Kartoffenhäusern mit Möhrenschornsteinen, und der Küchentisch aus Lauchbeinen und Pizzateigtischplatte ist mit allem belegt, was die Pizza lecker macht!
Hier greifen zwei Prinzipien: Das der Visualisierung (mit ein wenig Tastsinn verbunden) und das der groben, skurrilen Überzeichnung.
1 Kommentar:
Man müsste glatt mal nachsehen, wieviele Übersetzer/Dolmetscher synästhetisch begabt sind. ;)
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