Dienstag, 13. November 2007

Reportage über den Dolmetscherberuf

In letzter Zeit erhalte ich viele Mails von Schülern und Studenten, die sich für das Dolmetschen interessieren. Dieser Blog entstand im Grunde auch so: Über den girls day hinaus, bei dem Mädchen und junge Frauen direkt am Arbeitsplatz von Müttern, Tanten und Freundinnen über Berufe informiert werden sollen, wollte ich über das informieren, was unsere Arbeit ausmacht.

Dazu passt eine ARD-Reportage, auf die mich ein Kollege hinwies. Merci beaucoup, Marc !

Viel Spaß dabei, einer Berlinale-Kollegin über die Schulter zu schauen.
Anmoderation: Auf der Berlinale arbeiten Dutzende Dolmetscher, für die Fortsetzung hier klicken.

Nur in einem Bereich irrt der Journalist: Wir erhalten nicht bis zu 700 Euro "pro Einsatz", das wären dann bei nämlicher Kollegin — drei Pressekonferenzen plus ein Koproduktionsgespräch — zusammen 2800 Euro, sondern 650-900 Euro ist ein Dolmetschertag in Berlin wert. Es kann durchaus sein, dass zu einem kürzer geratenen Berlinale-Tag noch ein zweiter Auftraggeber hinzukommt und ebenfalls für ein paar Stunden einen hohen Betrag zahlt, aber gerade auf Festivals haben viele von uns mit einem Auftraggeber einen Vertrag für mehrere Einsätze, von denen beide Seiten etwas haben: Der Kunde zahlt in der Summe weniger und ich verliere keine weitere Zeit bei Acquise, Buchhaltung und Kundenpflege. Denn am liebsten arbeite ich oder bereite Einsätze vor oder nach. Voilà !

Und da ich gerade schon mal bei Preisen bin: Es gibt auch Agenturen, besonders einige große, die für ihre Vermittlungsdienste an Dolmetscher 30-50 % der Gage einbehalten. Das ist bei großen Konferenzen eine Stange Geld und sollte von den Auftraggebern reiflich überlegt sein.

Denn dass die Preise hoch sind, hat seinen Grund: Wir müssen uns auf die Termine vor- und auch nachbereiten. Fachvokabular steht nur selten in Wörterbüchern. So sind wir auch Autoren unserer eigenen Wörterbücher, pflegen Datenbanken, lesen Fachtexte — das nimmt je nach Thema mehrere Tage in Anspruch. Und dann ist die Arbeit sehr anstrengend, laut WHO kommt der Stressfaktor beim Dolmetschen gleich nach dem von Piloten und Fluglotsen.
Wir brauchen also Ruhezeiten, um immer auf hohem Niveau arbeiten zu können.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sehr geehrte Kollegin. Ihre sehr schöne, informative Seite hat mir gerade bei der Honorar-Recherche geholfen. Eine Talkshow fragte an, und man will sich ja geg. "verbessern" ;-) Weiterhin viel Erfolg und Alles Gute im neuen Jahr! Es gruesst Sie: Viktor Pavel.

caro_berlin hat gesagt…

Lieber Kollege, das freut mich sehr! Wichtig: Sie übertragen das Urheberrecht an Ihrer eigenen Stimme zu Sendezwecken, das ist immer noch ein Extraposten verglichen mit einem normalen Einsatz in der Kabine.
Toi, toi, toi und viele Grüße, Carolne

Anonym hat gesagt…

Werte Kollegin! Danke für den Tip. Ich wusste nicht, dass auch Nebenrechte entstehen. Heute ist eh alles immer öfter total buy out, oder? Schöne Grüße! Viktor Pavel.

caro_berlin hat gesagt…

Die Sender versuchen es auch mit unsereinem, weil sie ja mit den anderen Kreativen in der Filmherstellung seit Jahren sehr gut mit total buy out-Verträgen fahren. Aber sie wissen zugleich, dass diese in unserer Branche eben nicht üblich sind. Außer beim Radio, wo kleine Anstalten oft irrsinnig schlecht zahlen, halten sich die meisten an die gesetzliche Lage, wenn unsereiner darauf besteht.
Die filmherstellenden Kreativen sind auch nur deshalb so erpressbar, weil sie so zahlreich sind. Wenn ein Sender das Gefühl einer gewissen "Austauschbarkeit" hat, das bei sich verflachenden Programmen sicher schnell entsteht, da zählt die Autorenhandschrift weniger, nutzt das System seine Machtposition eben auch gnadenlos aus.
Das ist Marktwirtschaft. Uns Sprachmittler schützt da die Komplexität unseres Berufes. Meistens.
Rückgrüße, CE