Freitag, 25. April 2025

Sein oder Design, das ist die Frage!

Mei­ne Haupt­ar­beits­spra­che beim Dol­met­schen ist Fran­zö­sisch, denn ich dol­met­sche in bei­de Rich­tun­gen (oder aus dem Eng­lischen ins Fran­zö­sische). Deutsch ist mei­ne Mut­ter­spra­che und schrift­lich die Ziel­spra­che. Die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt ins Eng­lische. Mein Be­ruf bringt mich oft da­zu, über all­täg­li­che Ent­schei­dun­gen re­gel­mä­ßig nach­zu­den­ken.

Das Pri­va­te ist po­li­tisch. Des­halb sind be­wuss­ter Kon­sum bzw. Kon­sum­ver­zicht dort, wo es mög­lich ist, wich­tig, wenn wir den Kli­ma- und Bio­di­ver­si­täts­ka­ta­stro­phen et­was ent­ge­gen­set­zen möch­ten. 

Blick auf den Tassenschrank
Eine neue Ge­nügsam­keit, die nicht den bil­li­gen Er­satz­pro­duk­ten hin­ter­her­rennt, son­dern wie­der ein Be­wusst­sein für gu­te, lang­le­bi­ge, re­pa­rier­ba­re Sa­chen pflegt, ist zen­tral. Mit Trends und Prei­sen be­schäf­tige ich mich als Dol­met­sche­rin im­mer wie­der Mal, zum Bei­spiel heu­te, als ich ei­nen Kos­ten­vor­an­schlag schrei­be. 

Die BER­LIN DE­SIGN WEEK fin­det vom 15. bis 18. Mai 2025 statt. In die­sen Ta­gen geht's um die Lö­sung per De­sign von gro­ßen und klei­nen Pro­ble­men, da­bei soll öko­no­mi­sche, öko­lo­gi­sche und so­zia­le Nach­hal­tig­keit ganz oben ste­hen. Ber­lin er­war­tet in der "Haupt­stadt der Krea­ti­ven" auch fran­zö­si­sche Kü­chen­de­sig­ner mit al­ten und neu­en Ide­en.

Und als ich in schöns­tem Vor­mit­tags­licht so in mei­ner Kü­che sitze, den­ke ich über In­no­va­tio­nen und den an­ste­hen­den glo­ba­len Pa­ra­dig­men­wech­sel nach. Mei­ne Kü­chen­mö­bel sind aus den 1920-er Jah­ren wie das Tas­sen­schränk­chen, das ich mit sie­ben Jah­ren für sie­ben D-Mark auf dem Floh­markt ge­kauft ha­be. Aus dem spä­ten 19. Jahr­hun­dert ist das nur 35 cm tie­fe Ober­teil ei­nes al­ten Buf­fets, das hier als Hoch­schrank hängt für Glä­ser, Müs­li­schalen, Es­pres­so­ko­cher und -tas­sen. Hier war al­lein die man­geln­de Tie­fe zwi­schen Tür­rah­men und Wand kauf­ent­schei­dend. 

Al­ters­mä­ßig da­zwi­schen dürf­te das kom­bi­nier­te Tee- und Koch­buch­re­gal lie­gen und auch die Tru­hen­bank, die aus ei­nem al­ten Bett­ge­stell ­ge­baut wur­de, da­rin sel­ten Ge­brauch­tes wie Fon­due­set, Spar­gel­topf, Back­for­men, da­vor steht der eben­falls schwer da­tier­ba­re Kü­chen­tisch.

Mein Ge­schirr wird bunt: Tas­sen in vie­len Far­ben er­hielt ich zum Jah­res­en­de von ei­nem Kun­den. Ja, ich „ich ha­be noch al­le Tas­sen im Schrank“, was auf Deutsch ge­sagt wird, wenn „im Kopf al­les rund läuft“. Da ich viel von Men­schen mit an­de­rer Mut­ter­spra­che ge­le­sen wer­de, hier die kom­plet­te Re­de­wen­dung, im­mer als ne­ga­tive Äu­ße­rung: "Er/sie hat nicht mehr al­le Tas­sen im Schrank!“ (Wei­te­re Syno­nyme: ... spinnt, ist plemplem, ga­ga oder nicht mehr ganz klar im Ober­stüb­chen.)

Neu sind die Kü­chen­groß­ge­rä­te der Kü­che, die be­rühm­te „wei­ße Wa­re", und das Ge­schirr ist bis auf die Tas­sen schlicht weiß, da­zu ei­nige ge­erb­te weiß-blau­e Stü­cke. Hät­te ich die Schrän­ke weiß ge­stri­chen, statt sie ab­zu­schlei­fen, und wür­de ich ei­nen Vor­hang un­ter der Ar­beits­plat­te mit Spü­le mon­tie­ren, um die Kü­chen­ge­rä­te ver­schwin­den zu las­sen, es lie­ße sich bei mir nach dem Weg­räu­men ei­niger Klein- und De­ko­tei­le sehr schnell ein Set her­stel­len für ei­nen Film, der 1920 oder spä­ter spielt.

Über mei­ner Kü­chen­zei­le steht POE­SIE aus al­ten Buch­sta­ben, die mal ei­ne Bank ge­ziert ha­ben, und weil das „O“ ge­fehlt hat, ha­be ich ei­nen al­ten Koch­topf vom Ur-Ur­groß­va­ter da­für ver­wen­det.

In Deutsch­land ge­ben die Leu­te schät­zungs­wei­se 10.000 bis 12.000 Eu­ro für neue Kü­chen­schrän­ke, Flie­sen­spie­gel, Tü­ren etc. aus, und er­set­zen die­se al­le 15 bis 20 Jah­re, so die Sta­tis­tik aus ei­nem Pres­se­heft.

Da ich da­von aus­ge­he, dass mehr Leu­te wie ich die ein­fa­che Kü­chen­ein­rich­tung und Up­cyc­ling-Ide­en mö­gen, müs­sen an­de­re deut­lich mehr Geld aus­ge­ben. Wer sind die­se Leu­te und war­um?

Das Mot­to der Mö­bel­mes­se und De­sign­wo­che ist übri­gens Common sense. Ich bin ge­spannt. (Und na­tür­lich ist mein Ti­tel ein we­nig iro­nisch, es gibt die­sen Wi­der­spruch nicht, aber ich mag nun mal eben Wort­spie­le.)

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Fo­to: C.E.

2 Kommentare:

Bine hat gesagt…

Die Redewendung „nicht alle Tassen im Schrank haben“ stammt vermutlich aus dem 18. Jahrhundert. Damals galten Porzellan-Tassen als wertvolles Statussymbol. Reiche Familien bewahrten sie in schicken Buffets bzw. Vitrinen (mit Glastüren) auf, um sie vor Beschädigungen zu schützen und zugleich ihren Wohlstand zur Schau zu stellen. Ein gut bestücktes Möbel zeugte von Reichtum und Ansehen. Fehlten jedoch Tassen oder gab es nur wenig Porzellan zu sehen, das „weiße Gold“ von einst, wurde dies als Zeichen mangelnden Wohlstands gewertet. So entstand das Sprichwort!
Gruß, Bine

caro_berlin hat gesagt…

Herzlichen Dank, liebe Bine!