Sprache schafft Wirklichkeit, darauf wies bereits Ludwig Wittgenstein hin, als er sagte: "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt." Änderungen wahrzunehmen, sie zusammenzufassen und in neue Begriffe gerinnen zu lassen ist Teil unserer Arbeit. Das braucht Zeit, Beobachtungsgabe und wachen Verstand. Wir Übersetzerinnen und Dolmetscherinnen* verfolgen täglich, was sich in "unseren" Zweit- und Drittländern tut, denn selten tauchen an mehreren Orten simultan vergleichbare Begriffe auf. Wir suchen beizeiten nach Entsprechungen. Das Phänomen nennt sich "terminologisches Arbeiten": Wir (er)finden Fachbegriffe.
Fachtermini plus Begriffe, die auch Betroffene verstehen |
"Clichy-sous-Bois trifft Neukölln" war ein Format, das ein SPD-Bundestagsabgeordneter ersonnen hatte; später übernahm das deutsch-französische Jugendwerk die Initiative. Es hat sich sich über Jahre und etliche Begegnungen erstreckt. Am Ende von mehrtägigem "Fachkräfteaustausch" kamen stets Politikerinnen und Politiker hinzu. Dort vermittelte ihnen die Basis, wo der Schuh drückt. Ziel war es, gute Erfahrungen, Best practices, zu übertragen. Zwischendurch standen "wir" sogar im Magazin DER SPIEGEL.
Neukölln war spätestens 2005 ein Hotspot der Berliner Gentrifzierung, was die Finanzkrise ab 2008 erheblich angefeuert hat. Der englische Begriff gentrification klang damals noch fremd in deutschen Ohren, er wurde grundsätzlich noch englisch ausgesprochen. Wir wussten im Vorfeld, dass wir mit Menschen aller Schichten zu tun haben würden, und wir haben im Team länger nach einer passenden "Übersetzung" dieses Worts gesucht. Wir haben das Phänomen als "Verdrängungssanierung" bezeichnet und in den Gesprächen parallel den englischen Begriff bekanntgemacht; am Ende wurde beides gleichermaßen verwendet.
Jetzt steht transition auf dem Programm, mir spätestens seit 2012 ein Begriff, auf Französisch la transition économique, écologique et sociale, auf Deutsch: wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Wandel in Richtung mehr Nachhaltigkeit. Das ist natürlich zu lang.
Wäre der Begriff "Wende" in der deutschen jünsten Geschichte nicht schon mehrfach besetzt, Helmut Kohls "geistige und moralische Wende", dann DIE Wende im Osten nach 1989, wir könnten in Richtung "Nachhaltigkeitswende" denken. Synonymwörterbücher bieten für "Wende" unter anderen diese Begriffe an: Änderung, Innovation, Korrektur, Modifikation, Neubeginn, Neuerung (für mich noch sehr vom Sprachgebrauch der DDR geprägt), Neuregelung, Reform, Relaunch, Revision, Revolution, Sturz, Übergang, Umgestaltung, Umkehr, Veränderung, Volte, Wandel, Wechsel.
Wie ich jetzt weiterarbeite: Zur besseren Visualisierung zeichne ich das Wortfeld auf, Grundbegriffe, Synonyme und ähnliche Wörter, auch für "Nachhaltigkeit", und ich sehe nach, was andere bereits gemacht haben, grase also auch das Umfeld ab, um im Bild zu bleiben. An die Senioren richtet sich der aus der verantwortungsvollen Ökonomie stammende Begriff "enkelfähig", und ich denke über Adjektive wie "stabil", "krisensicher", "zukunftsfest" und "katastrophentauglich" nach, wenn wir von der Klimakatastrophe ausgehen.
Dauerhafte Begriffe sind prägnant, also knackig, kurz und unmissverständlich. Bis transition im angesprochenen Zusammenhang auch auf Deutsch ausgesprochen und als Substantiv großgeschrieben wird, brauchen wir einen flankierenden Begriff, einen sprachlichen Reisebegleiter.
______________________________
Illustration: C.E. /Quizlet-Lernkarten
*) sowie die Übersetzer und Dolmetscher
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen