Dienstag, 3. Mai 2022

Intensität (2)

Bonjour und guten Tag! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, na­tür­lich auch die ":innen" im Be­ruf, also wie wir ar­beiten, ist hier, in mei­nem di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buch, seit 2007 Gegen­stand in Form kur­zer Epi­soden.

Nur wenig Tageslicht

Die Woche droht besonders zu werden. Es ist die vierte volle Arbeits­woche seit Beginn der Pandemie. An vier Tagen bin ich bei Kund:innen. Manche De­le­ga­tions­rei­se­gruppe betreuen wir jetzt nicht mehr im Dol­met­scher:in­nen­duo, son­dern allein, weil es nicht aus­rei­chen Fach­kräf­te gibt. 

Dabei dol­met­­schen wir immer 30, 40 Mi­nuten solo, dann folgt eine Viertel­stunde Pause.

Die Pause nutzen die Gäste zum Gespräch unter sich und fin­den neue Fragen. An­schlie­ßend folgen nochmal 30 Mi­nuten Dol­met­schen z.B. bei einer Werks­führung, bei Hinter­grund­gespräch oder Schu­lung als Simultan­ein­satz mit Flüs­ter­an­lage. Am Tag gibt es zwei bis vier Be­su­che bei Firmen, Fabri­ken oder For­schungs­zen­tren, die Fahrt­zeiten die­nen meiner Er­holung. (Fin­den mehr Mee­tings statt, sind die Termine je­weils kür­zer.)

Die berichtende Dolmetscherin im Einsatz

Wir fahren durch Berlin, ich er­klä­re im Vorbei­fahren ein wenig die Stadt. Das mache ich gerne. Ich stamme aus einem His­to­ri­ker­haus­halt, habe auch selbst phi­­lo­­lo­gi­sche Fächer studiert, viel für Stadt­so­zio­lo­gen, Urba­nisten und Archi­tekten ge­ar­bei­tet und viel da­bei ge­lernt. 

Auf diese Art und Weise kann ich die Stadt anders er­kenn­bar wer­den las­sen, als es Stadt­füh­rer:innen übli­cher­­weise ma­chen. 

Ich bin dabei keine Zahlen-Daten-Fakten­schleuder und kenne auch die üblichen Witz­chen der Reise­leiter:innen nicht, sondern bringe mein Wis­sen in den Berei­chen Ge­schichte, Stadtgeschichte Berlins, ihrer Gebäude und Einwohner, zu Archi­tektur, Literatur, Film usw. mit­ein­ander in Verbindung.

Corona-Abstand

Da ich lange in Paris gelebt habe und erst dann  Berlin gut kennen­lernen durfte, kann ich von einem franzö­sischen Blick auf die deutsche Haupt­stadt ausgehen. Ich weiß, wie Zeit­ge­nossen, die die französische Capitale kennen, Berlin wahr­neh­men. Und ich setze genau dort an. Bei den Fahr­ten bin ich vor allem in der Pause. Wir sind oft 40 bis 60 Minuten lang un­ter­wegs. Zwischen­durch zei­ge und er­klä­re ich ein wenig.

Wenn es durch die Stadtmitte geht, spre­che ich etwas mehr, auf einer an­de­ren Tour etwas weniger und be­ant­wor­te Fragen.

Durchatmen nach getaner Arbeit
Hier, was franzö­sische Gäste wis­sen möch­ten: "Wa­rum wurde die Mau­er gebaut?" "Wie wurde die Mau­er gebaut?" "Konn­ten die Men­schen aus dem Osten die Men­schen im Westen be­su­chen?"

Ich an­tworte erst mit Fach­wis­sen, dann als Zeitzeugin, auf Fran­zö­sisch témoin historique

Der letzte Begriff macht mich nicht wirklich jün­ger.

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Fotos:
C.E.

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