Dienstag, 10. Mai 2022

Berufsbedarf

Ob zu­fäl­lig oder ge­plant: Sie sind hier auf Sei­ten eines digi­talen Tage­buchs aus der Ar­beits­welt gelan­det. Ich bin Dol­met­scherin für die fran­zösische Sprache (und aus dem Eng­li­schen) und berichte aus dem All­tag.

S
eit Jah­ren treibe ich mich in be­son­de­ren Ge­mäuern he­rum, in Mu­seen, alten Ge­bäu­den und Stein­hau­fen, zwi­schen Ru­inen und Neu­em, aber auch in Ar­chi­tek­tur­büros und in Häu­sern, die re­no­viert wurden.

Erdbeeren in der Pappschale
Visuell schöner als Schuhe

Jetzt begleite ich als Dol­met­scherin meine erste echte Bau­stelle von der Grund­stücks­be­sich­ti­gung bis zur Eröff­nung. Irgend­wann wur­den die Arbeiten klein­teiliger, sprich: Es ging los mit dem Mon­tie­ren von Bau­teilen, es ka­men Schrau­ben und Me­tall­ab­schnit­te hin­zu. Die Ar­beits­sicherheit war nicht mehr gewähr­leis­tet ohne Bau­stel­len­schu­he. Da­her ging ich ins Fach­ge­schäft, zur Firma "Kokott" in Neukölln.

Jetzt habe ich ein Paar klobiger Treter mit dicker Sohle und ich ge­den­ke, den teuren Kauf von der Steuer ab­­zu­setzen, ge­nau­so wie den Kauf des klei­nen Kof­fers für die Ta­ges­tou­ren mit Über­nach­tung, in denen die Bau­stel­len­schuhe den Rest der Zeit wohnen. Das Glei­che gilt für die Mas­ken. 

Für die Roma­nis­tin, die ich bin, ist der Einkauf bei ei­ner Fir­ma na­mens "Kokott" üb­ri­gens lus­tig, vor al­lem in Zusam­men­hang mit Be­rufs­klei­dung. Da denken wir näm­lich an ganz an­dere "Be­rufs­klei­dung", an Schüh­chen, Kleid­chen, Hüt­chen, Täsch­chen, an Feder­boas, Wim­pern­tu­sche und Fächer. La co­cotte ist der ver­al­te­te Be­griff für Prosti­tu­ier­te. Zweit­be­deu­tung: der Bräter. Auch fast in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten ist la co­cotte mi­nute, der Schnell­koch­topf, dem ich in der Energie­kri­se ein Revival vor­her­sage! Und ja, bei Ko­kott gibt es mehr als Koch­mützen! Aber eher Klo­bi­ges als hohe Ab­sätze. (A pro­pos ho­her Ab­satz, hier geht es zu ei­nem al­ten Text von mir: "Ich ste­he berg­ab", leider in­zwi­schen hin­ter einer Be­zahl­schran­ke ver­schwun­den. Ich könn­te Ih­nen bei In­ter­es­se ger­ne in meine Text­fas­sung Ein­blick ge­ben.)

Nach einem verlän­ger­ten Wo­chen­en­de er­wache ich lang­sam aus dem Über­mü­dungs­­schlaf und dem brain fog in wachem Zu­stand, dem Hirn­ne­bel, in den ich nach der letz­ten Arbeits­woche ge­ra­ten war.

Was steht im Büro an? Be­le­ge sor­tie­ren, Zah­lungs­ein­gänge prü­fen, Über­set­zungen kor­rek­tur­lesen, die ersten Erd­bee­ren des Jahres pro­bie­ren, die nächsten Wochen planen, den Bal­kon weiter her­rich­ten, die Vokabel­lis­ten der letz­ten Zeit ver­voll­stän­di­gen. Denn nach dem Ein­satz ist im­mer vor dem Ein­satz.

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Foto:
C.E.

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