Herzlich willkommen! Hier bloggt eine Dolmetscherin. Was
Konferenzdolmetscher und Übersetzer machen, und natürlich auch
wir Frauen im Beruf, wie sie bzw. wir arbeiten, ist hier seit 2007
regelmäßig Thema. Der große Einbruch kam März '20. Heute ein COVIDiary-Nachtrag, denn langsam normalisiert es sich und ist alles anderes als normal. Die samstäglichen Lieb-Links der Woche folgen morgen.
Die Woche war wie erwartet besonders: Es war die vierte volle Arbeitswoche seit Beginn der Pandemie.
Wir können immer nur eine Seite nutzen |
Als wir ab März 2020 Umsatzeinbrüche um phasenweise 90, 100 Prozent zu verzeichnen hatten, wussten ganz besonders schlaue Menschen in altväterlicher oder altmütterlicher Manier längst bescheid: "Ach, da wird es nach Corona doch Nachholeffekte geben!"
(Und dann hieß es weiter: "Nein, Ihr braucht keine wirklich substanziellen Corona-Wirtschaftshilfen!")
Die Zeit "nach Corona" lässt weiter auf sich warten, aber trotzdem kann ich eine vielleicht auch etwas späte Antwort geben: Nein, das Argument mit dem Aufholen stimmt nicht.
Ende April 2022 geht nach 26 Monaten nahezu ohne echte Konferenzen, Studien- und Delegationsreisen das wirkliche Berufsleben der Konferenzdolmetscher:innen (vorläufig) weiter. Normalerweise arbeiten wir maximal zwei oder drei Tage die Woche direkt bei den Kunden, der Rest der Woche ist für die Vorbereitung reserviert und, nicht ganz unwichtig, für die Erholung.
POV der berichtenden Dolmetscherin kurz vor der Übergabe |
Bei den Zusagen bremsen wir uns selbst, denn Mutter Natur hat uns Grenzen auferlegt, an die wir lange nicht mehr denken mussten.
Indes, die Veranstalter:innen kennen einen Trick: Um möglichst viele zufriedenzustellen, haben sie die Programme verdichtet. Früher ging die Sache so: Studienreise nach Berlin, drei Tage im Konferenzraum oder bei Firmen, Forschungszentren etc. als Teil des Besuchsprogramms sowie ein Tag Außenaktivitäten, Stadtführung, Team building und in Eigenregie. Jetzt lautet die Formel der Studienreise nach Berlin eher so: zwei Tage im Konferenzraum, zwei Tage Außenaktivitäten.
Ich kürze ab und nenne als Beispiel das Programm von Dienstag: Zwei Kolleginnen dolmetschen von 8.00 Uhr im hoteleigenen Konferenenzraum, ein weiteres Zweierteam übernimmt den Nachmittag, der bis in den Abend reicht. Einmal ging diese Woche der letzte Termin um 19.00 Uhr los. Das war am zweiten Studienreisetag einer Gruppe. Am Vortag waren die Herrschaften in Paris um fünf Uhr aufgestanden, um rechtzeitig zum Flieger zu kommen, und hatten dann am Abend eine der Berliner rustikalen Schankwirtschaften aufgesucht. Keine Überraschung: Es gab nach diesem Vortrag nur eine einzige Frage aus dem Publikum.
Und unsereine(r) erkennt sich selbst nicht mehr. Wegen der langen Tage (und des hohen Adrenalinpegels) fällt abends das Einschlafen schwer. Morgens wachen wir schwer und spät auf (wegen des späten Einschlafens). Seit vielen, vielen Jahren habe ich an einem Samstag in gesundem Zustand nicht mehr bis nach 12.00 Uhr geschlafen! Und dann ausgerechnet heute, wo ich um 10.00 Uhr einen Buchabholtermin gehabt hätte. (Ich übernehme einiges Second hand, seit ich nicht mehr in Frankreich lebe.) Statt Freude über die erfolgreich gemeisterte Woche also mittägliche Zerknirschung.
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Foto: C.E.
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