Bienvenue auf den Seiten einer Spracharbeiterin. Wir
Übersetzerinnen, Übersetzer, Dolmetscherinnen und Dolmetscher
arbeiten seit Beginn der Pandemie weniger als zuvor, dafür mehr für Privatkunden. Das ist nicht immer schön. Manchmal sind wir Überbringerinnen schlechter Botschaften.
Es klingelt an der Tür, als ich am Telefon bin um noch die letzten Details einer anstehenden Veranstaltung zu klären. Ich überhöre das großzügig, denn jeder Werbeprospekteinwerfer tastet sich bei uns einmal durch das halbe Klingelschild hindurch. Nach zwei Minuten klingelt es wieder, erst kurz, dann länger, dann immer drängender. Ich eile zur Gegensprechanlange.
Wenig später sitze ich mit einer Studentin und einem Tablett mit Kaffeesachen im Hof. (Der Kaffee war vorher schon aufgesetzt gewesen.) Ob ich ihr als Dolmetscherin helfen könne, hatte diese durch das Haustelefon gefragt. Sie sei eigentlich eine Nachbarin, hätte eine Wohnung in meinem Kiez gemietet, stehe nun mit viel Gepäck im Auto vor dem Haus — und der Schlüssel passe nicht.
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Traumwohnung für Studentin
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Vielleicht habe es ein Missverständnis gegeben, die Absprachen seien auf Englisch erfolgt, beide Seiten, Vermieter und Mieterin, hätten mit dem Idiom ihre Schwierigkeiten.
Ich höre mir alles an, sortiere, versuche kurz erfolglos den Vermieter zu erreichen, recherchiere. Meine Befürchtung erweist sich als richtig, weil ich von der Betrugsmasche schon gehört hatte: Gewisse besonders üble Subjekte kochen auf der Wohnungskrise ihr übles Süppchen mit der Hoffnung der Neuankömmlinge.
Da hatte also jemand via Netz kommuniziert, er wolle seine frisch gekaufte Eigentumswohnung vermieten, da er für zwei Jahre zu einem Forschungseinsatz ins Ausland gehen würde. Die Wohnung sei gut gelegen, sogar ein kleines, sonnenverwöhntes Hofgärtchen mit Mini-Terrasse pries die Anzeige an. Dafür sei die Wohnung klein und vor allem überraschend günstig: 250 Euro Nettomiete, 145 Euro Nebenkosten, 395 Euro tutti quanti für gut 30 Quadratmeter.
Die französische Austauschstudentin in spe hatte gleich zugeschlagen, Papiere für eine elterliche Bürgschaft übersetzen und beglaubigen lassen (ohne zu ahnen, dass dies in Deutschland nicht in ähnlicher Weise gefordert wird wie in Frankreich), den Mietvertrag ausgedruckt, unterschrieben und zurückgesandt, ebenso die beglaubigten Ausweis- und Bankdokumente, einen Lastschrifteinzug autorisiert und Geld für die Kaution überwiesen. Im Gegenzug fand sie die Schlüssel in ihrem Pariser Briefkasten, denn der Vermieter war schon im Begriff, selbst seine große Reise anzutreten. Angeblich.
Es passiert leider immer wieder, dass ein Paar Schlüssel aus banalem rostfreiem Sonstwas zum Preis goldener Schlüssel verhökert wird. Überall im Netz sind Warnungen zu finden. Aber das Gefühl, dass hier unerwartetes Glück winkt und man schnell sein muss, damit einem das Schnäppchen nicht durch die Lappen geht, macht allzuoft die Menschen blind.
Im Netz finde ich nach etwas Recherche, dass der Grundriss mit Photoshop geändert wurde und eigentlich zu einer anderen Wohnung aus der Nachbarschaft zu gehören scheint: Einzimmerwohnung, 40 Quadratmeter, 755 Euro. 19 Euro den Quadratmeter, Altbau, eng und unmöbliert, die haben doch nicht mehr alle Tassen im Schrank!
Ein Blick in Google Maps hätte übrigens ausgereicht um festzustellen, dass nicht nur die Sache mit den vielen Sonnenstunden im Hofgarten ein Märchen sein musste: Der Hof der angegebenen Adresse umsteht von allen vier Seiten eng gebautes Mauerwerk. Das Wort "Traumwohnung" erhält einen anderen Beigeschmack.
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Grafik: Wohnungsbetrüger