Donnerstag, 24. September 2020

COVIDiary (163)

Willkommen auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem In­ne­ren der Dol­metscherkabine. Gerade schreibe ich coro­na­bedingt vom Büro aus. Wir Konferenz­dolmetscher ohne Konferenz sind wie Fische ohne Was­ser, und wer Was­ser sagt, meint flüssig. Heute wird's erst nass, dann tierisch, zuletzt muss der Motorenvergleich herhalten.

Trees don't panic * WE ARE ONE
Men­schen sollten auch nicht paniken
Mit dem Flüs­sigen haben es viele Frei­berufler der­zeit nicht so, manche(r) erlebt sogar Not. Die großen Tie­re wissen das, also die Re­gie­rung weiß es, es sind in den letz­ten Mo­na­ten so viele Pe­titionen, Stu­dien, Gruß­adressen, Zeitungs­artikel und trä­nen­reivche Repor­tagen produ­ziert, gedruckt und dann ver­sen­det worden, dass es wirk­lich auf kei­ne Kuhhaut geht.

Wer "versendet" sagt, meint, dass es eigentlich niemand merkt. Im TV-Jargon ist "Das versendet sich" ein Synomym für "Das läuft über den Äther und niemand wird's mitkriegen."

Versendet wie versandet. Wir Selbständigen müssen diese Krise sehr oft ohne aus­rei­chen­de Hilfen meistern, obwohl wir den Schlamassel genausowenig verursacht haben wie Beamte, Angstellte oder Arbeitnehmer/innen in Kurzarbeit.

Hier, was das Magazin "Plusminus" gestern gebracht hat: "Überbrückungshilfe: Staat­li­che Unterstützung kommt bei Unternehmen nicht an."  

Von den zur Verfügung gestellten 25 Milliarden Euro Überbrückungshilfe wurden nur knapp 1,1 Milliarden Euro von Frei­beruflern und kleinen Firmen beantragt. Das ist ein noch kleinerer Prozen­tsatz als beim Nicht-Ausschöpfungsgrad im Frühjahr. Zeitgleich droht vie­len Firmen und Freiberuflern die Insolvenz.

Sagen wir's mal so, die Wirtschafts­politik liebt Rösser ja so sehr: Da stehen Pferde im Stall Deutschland, aber die Heunetze wurden weit oberhalb ihrer Köpfe an­ge­bracht, so dass nur ganz wenige der Vier­bei­ner überhaupt drankommen. Und dann sagt der Pferdewirt: "Seht Ihr, die Pferde haben gar keinen Hunger, die brauchen nichts!" Das ist im Höchstmaß töricht, vor allem dann, wenn der Pferdewirt auch noch dabei zusieht, wie die Rösser langsam verschmachten, während er nicht mü­de wird, sich für sein reich­haltiges Heufüt­terprogramm selbst zu feiern.

So viel Tacheles lesen Sie übrigens bei den auf diversen diploma­tischen Parketts geschulten Dolmet­­scherinnen selten. Sie dürfen den Tag in ihrem Kalender an­strei­chen. Grund dafür ist die Stellungnahme des Bundeswirtschaftsministeriums zum Thema: "Die Inanspruch­nahme der Überbrückungs­hilfe ist verhaltener an­ge­lau­fen als ursprüng­lich angenommen. Grund ist, dass die Corona-bedingten Schließungen und Auflagen schneller zurückge­nommen werden konnten als (…) erwartet."

Die Veran­staltungs- und Kongress­wirt­schaft soll der sechstgrößte Wirtschaftszweig Deutschlands sein und geht derzeit vor die Hunde. Absurd: Die Poli­tik tut so, als wären diese Verluste leicht zu verschmerzen. Ich sehe das Ganze als einen großen Motor. Die Politik hat in ihrer unendlichen Weisheit ent­schieden, nur einen Teil des Motos zu ölen. Den anderen lässt sie ungeölt. Keine Pointe.

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Foto: C.E.
(gesehen in Kreuzberg)

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