Dienstag, 22. September 2020

COVIDiariy (160)

Herzlich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Konferenzdolmetscher und Übersetzer machen, wie sie arbeiten, wie sie leben, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema. Corona hat auch in meiner Branche alles bös durch­ein­an­der­ge­wir­belt und auch sonst einiges verbockt. Dem Jahr 2020 bleiben noch einige Monate zur Rehabilitation.

Corona is a bitch!, stand neulich auf eine Hauswand gesprayt, ein Miststück also. So lässt sich das auch sehen. Hier bringt sie erneut einiges in Bewegung. Die eine Mit­be­wohnerin zieht aus meiner Wohnung aus, die nächste kündigt sich an, sie wird mit ihrem Mann kommen, Frank­reich geht, England kommt. Und nein, ich wusste das nicht seit Monaten, mein re­gel­mä­ßi­ges Hören von BBC4 ist alleine der Tat­sache geschuldet, dass ich meine dritte Spra­che pflegen muss.

Eine frühere Studien­freundin und geschätzte Übersetzer­kollegin lebt seit vielen Jahren mit ihrem britischen Ehemann in England. 

Die hübsche Nachbarin (Pareidolie)
Leider ist sie vor einiger Zeit schwer er­krankt, es ist nicht ganz klar, ob sie Co­ro­na hatte oder Bor­re­lio­se oder etwas ganz anderes. Die Hei­lung geht langsam, Chro­ni­fi­zie­rung droht. 

Ihre Lage spitzt sich derzeit durch die Krise des Gesundheitssystems NHS, die auf­flam­men­de Seuche und den Brexit dramatisch zu.

Die beiden leben in London in­mitten eines Viertels, in dem streng­re­li­giöse Juden sehr traditionell wohnen und viele Familien kinder­reich sind. Dort hat, ähnlich wie in anderen in sich geschlos­senen Gruppen, die Kunde von der Prävention nicht unbedingt alle erreicht.

Der aktuelle Lockdown in Israel sowie über­proportional hohe Opferzahlen in allen irgendwie abgeschotteten Gruppen sprechen ihre eigene Sprache. Für ihre aus Deutschland stam­mende und zur Risikogruppe zäh­len­de Nach­barin wurde leider so das risiko­freihe Einkaufen­gehen zu einem from­men Wunsch, der schwer ein­zu­hal­ten­den Corona­abstände wegen.

Jetzt dürfen wir Freunde zusammentrommeln, ein Team bilden, dann darf ich bei mir am Ufer den Auszug der Mitbe­woh­ne­rin unterstützen und das Un­ter­miet­zim­mer so herrichten, dass es später im Jahr ein Ort der Ruhe und Genesung sein kann.

Dann gilt es Geld aufzutreiben (Notfallfonds der VG Wort? Verbände? Konsulat? Crowd­funding?), ein kompetentes medi­zinisches Team zu finden, dann Auto, Fah­rer, Quarantänewohnung in Frankreich, schließlich Transfer nach Berlin.

Nebenbei sorgt mein Diktierprogramm für unverhoffte Komik. Ein Klassiker: Wir Menschen reagieren auf hochdramatische Momente häufig belustigt, müssen grinsen oder sogar lachen. Die Verhaltensforschung nennt dies eine Über­sprungs­hand­lung. Jetzt reagiert der Rechner derart menschlich, mein Anthro­po­mor­phis­mus am Vormittag. Illustrieren werde ich den Blogpost mit etwas Pareidolie

Aber es ist schon schräg, wenn der kleine Drache* mit Bits und Bytes statt "chassidisches Wohnviertel" ein "rassistisches Wohn­viertel" schreibt. Später macht er aus "Prob­le­men mit Borrelien" "Prob­le­men mit Bordel­len".

Nein, nicht witzig. So, Liste schreiben, Energie sammeln und weitergeben. Corona, der Krisenmodus des Jahres hört nicht auf. Machen wir das Beste draus.

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Foto:
C.E. (gesehen in Neukölln)
(*)
Diktierprogramm ist Dragon

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