Freitag, 4. September 2020

COVIDiary (147)

Was Dol­met­scher und Über­setzer umtreibt (und Dol­met­sche­rin­nen und Über­set­ze­rin­nen), können Sie hier mitlesen. Die meisten von uns sind Freiberufler. Nach ei­nem ersten Megaprogramm scheinen wir Selbständigen in Deutschland die Ver­ges­senen aller Corona-Rettungspläne zu sein.

Von Luft und Liebe und Speisewasser leben
Schon das Megaprogramm hatte erheblich Schlagseite, durften doch mit den So­fort­hil­fe­gel­dern vor allem die laufenden Be­triebs­kos­ten wie ge­werb­liche Mie­ten, Kredit- und Lea­sing­­ra­ten be­gli­chen wer­den. Während die Büros nun gerettet scheinen, dar­ben nicht wenige Menschen, die darin tätig sind, denn Hilfe zum Lebens­un­terhalt erhal­ten viele nicht.

Das Problem verschiebt sich: Wer Rücklagen fürs Alter hat, darf erst die ver­knus­pern, bevor ihm oder ihr geholfen wird. (Hier wird Altersarmut programmiert. Das Problem muss die Regierung lösen.)

Einschub: Jetzt folgt ein kleines Sherlock-Holmes-Wortspiel aus mei­ner zwei­ten Hei­mat. Der Super­detektiv belehrt oft seinen normalbegabten Weg­­be­­glei­­ter und Hausarzt, Dr. Watson, indem er sagt: Elementary, my dear Watson! "Das ist von grundlegender Bedeutung!" Franzo­sen machen daraus gerne mal ein C'est ali­men­tai­re, mon cher Watson! Auf Deutsch: "Das ist Teil der Ernäh­rung, mein lieber Watson!" Und so gehört meine Arbeit für ver­schiedene Betriebs-, Groß- und Schul­küchen seit ge­rau­mer Zeit zur ele­men­ta­ren Nahrungs­grundlage in Zeiten von Corona.

Diese Küchen reichen jetzt via Onlinedolmetschen bis in mein Büro hinein: Ge­flies­te Wände, immer mal wieder läuft jemand mit Haube und Mund­schutz durchs Bild, die Köche tragen weiße Kittel und moderne Kopfmützen. Nur der Koch der einen Betriebs­küche sitzt zuhause, denn seine Tochter hat Covid-19 von der Schule oder vom Sport nachhause gebracht.

Es geht um Saucen­herstellung, um das Binden von Saucen und wie diese im Falle des Vor­kochens vielleicht sogar den Tiefkühl­prozess überstehen. Hier wird nach den richtigen Zutaten gesucht. Denn die Klebe­bindung von normaler Stärke aus Getreidemehl wird von den Säuren und Enzymen, die in der Zube­reitung enthalten sind, nach einigen Tagen zersetzt.

Trikolore in der Großküche (Energiezentrale)
Daher werden in verschie­de­nen Küchen dazu Alter­na­ti­ven ausprobiert, und Fran­zo­sen und Deutsche tau­schen sich unter­ein­ander aus. Am Ende überlegen wir einen Termin für die Nach­be­spre­chung.

Der Koch in Quarantäne meint, das ginge für ihn lei­der erst wieder in einigen Wochen. Als ich ihn frage, ob sein Home­office nicht auch eine Home­kü­che habe, lacht er schallend und meint, dass es beim Kochen im­mer auch um Mengen gehe.

Und ich dachte immer, Groß­küchen würden alles nur "skalieren", einfach die Grö­ßen­ord­nung ändern. Kochen ist ein faszi­nierender und auch ein etwas geheim­nis­um­witterterer Prozess. Ich habe mich nie gefragt, ob ich bei der Soßen­her­stel­lung eine (heiße) Ein­brenne oder Mehl­schwitze (le roux) mit kaltem oder heißem Fond ablösche. (Kalt wird hier empfohlen. Immer über Kreuz: Ist der Fond heiß, sollte die Mehl­schwitze abgekühlt sein). Soßen lassen sich auch anders bin­den (lier). Eine Soße mit etwas Stärke und Flüssigkeit anbinden, lier une sauce avec un peu d'ami­don et de liquide, heißt auf Französisch travailler à blanc, weiß arbeiten.

Das kam vor meiner Zeit an die Tür
Die Körnung einer Mehl­bin­dung, la gra­nu­lo­mé­trie, hängt wie der Ge­schmack auch vom Kochvorgang ab. Mehl muss immer ein wenig mitkochen, damit es auf­ge­spal­tet wird und sich mit anderen So­ßen­be­stand­tei­len verbindet. Das klingt nach Chemielabor. Nach dem Ein­satz schnappe ich mir in der Küche mein Lieb­lings­koch­buch.

Das ist der Kochbrevier* des Küchenchemieerklärers Hervé This (in Deutschland als Hervé This-Benckhard bekannt), in dem so kuriose Hinweise stehen wie der da: "Flößen Sie zunächst dem Fasan ein Glas Schnaps ein."

Vokabeln
eine Soße andicken — épaissir une sauce 
glutenfreies Maismehl — fleur de maïs sans gluten
Kartoffelstärke — fécule
Wir können beobachten, wie die Soße zerfällt. — On peut oberserver la dissocation de la sauce.
Stärke — amidon
ausgeprägte ↔ leichte Verdickung — épaississement léger ↔ notable de la sauce
Fette setzen sich ab — les graisses se délient
Klümpchenbildung ist zu vermeiden — on évitera les grumeaux
Suppengemüse — bouquet garni (Parallelbegriff: la garniture) 

Als ich beim Dolmetschen mal kurz das Wort "Schöpfgerichte" nachschlagen will, wer­den mir "Schöffengerichte" angeboten oder tribunaux de la créativité, Ge­rich­te, in denen über die Kreativität Recht gesprochen wird. Na klar ... Also erkläre ich: ein mit einem Schöpflöffel serviertes Gericht ist ein plat, servi à la louche, auf Englisch bowl food.

Nebenbei gelernt: Köche können am Geschmack erkennen, ob es sich bei einer Soße um eine weiße oder eine braune Soße handelt. Es sind eben doch Zauberer, c'est élémentaire, Watson!

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Fotos: C.E.
(*) Rätsel und Geheimnisse der Kochkunst: natur-
wissenschaftlich erklärt,  München / Zürich 2014

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