Montag, 7. September 2020

COVIDiary (150): Hinweise zum guten Ton

Herzlich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Konferenzdolmetscher und Übersetzer machen, wie sie arbeiten, wie sie leben, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema. Haben Sie schon mal mit Dolmetschern zusammengearbeitet?

Dolmetschen wirkt auf Nichtdolmetscher oft wie Zauberei, geheimnisvoll und un­klar. "Wie geht das: zuhören und gleichzeitig sprechen?", ist daher wohl die am häufigsten gehörte Frage, ergänzt durch ein: "... das muss doch sauschwer sein!" Naja, geht so. Wir haben es halt gelernt. Und wir wissen selbst nicht so genau, wie wir das machen.

SOSO, Jahr 2020!
Unser Beruf ist aller­dings von außen kom­pli­ziert geworden. Von uns unverschuldet. Plötzlich ergeht es den meisten, die sonst rege Nachfrage verzeichnen konn­ten, wie vie­len Schau­spie­ler­in­nen und Schau­spie­lern: Ohne Re­gis­seu­rin oder Re­gis­seur, ohne Publikum oder Kamera kön­nen diese nicht arbeiten, nur im stillen Käm­mer­lein Rollen studieren. Das machen wir auch, denn 80 Prozent un­se­rer Arbeit liegt in der Vorbereitung. Aber die 20 Pro­zent fehlen, die Bü­hne, der Einsatz.
Fast alle großen Konfe­renzen wurden vi­rus­be­dingt auf 2021 verschoben. Online-Kurzfor­mate sind selten, denn nicht nur der Auf­wand ist höher als sonst, sie sind für alle Be­tei­lig­ten anstren­gender.

Es hilft nichts, wir müssen da alle durch. Ge­mein­sam. Die Anstrengungen kennen Sie aus den letzten Monaten, von Zoom- oder Microsoft-Meeting-Sessions (oder mit welcher Technik Sie auch Erfahrungen gemacht haben): Die Konzen­tration fällt schwer, da meist der Ton schlecht ist, es hallt, Teil­nehmer oder Red­ner­in­nen gehen verloren.

Außerdem ist es schon etwas anderes, ob wir alleine zuhause oder zusammen mit anderen in einem Raum oder Kongress­zen­trum sitzen. Der nonverbale Anteil der Kom­mu­nikation fehlt, Blicke, Verab­redungen für Nach­fragen während der Kaf­fee­pause, Infomaterial zum Durch­blättern — und bei Kongressen mit Besichti­gungs­anteil eben auch die unterwegs im Team gemachten Erfahrungen und Be­ob­­ach­tun­gen.

Nach vielen einsprachigen "Videocalls" beginnt diesen Spätsom­mer die Zeit, in der sich mehr­spra­chi­ge On­line­­events häu­fen werden. Auch für uns Dolmet­­scherinnen und Dol­metscher sind die anstren­gender und schwieriger als die Arbeit früher. Das geht mit der Vorbe­reitung los: Wir haben mitunter Mühe, im Vorfeld an alle wich­ti­gen Informationen he­r­an­­zu­­kom­­men. Es entfällt die Erin­ne­rung an den Re­de­text "vor Ort", denn es gibt keinen ge­mein­sa­men Ort, oder die kurze Nach­frage zu ei­nem schwer ver­ständ­­lichen Absatz, in den sich vielleicht ein Fehler ein­ge­schli­chen hat. Wir sind auch die "ersten Lese­rinnen"* und konnten schon manches im Vorfeld auszu­bügeln helfen.

Nicht ausbügeln können wir leider diese Soundschwierigkeiten, die sich sogar auf unsere Dolmetschleistung auswirken können. Dar Grund dürf­te sich Ih­nen schnell er­schlie­ßen, denn es ist fast wie beim Kinderspiel "Stille Post": Wenn ich etwas nicht akkurat verstehe, kann ich es auch nicht akkurat weitergeben.

Was viele nicht wissen: Zur allgemeinen Soundqualität kann jede Einzelne, jeder Einzelne beitragen. Das ist auch der Grund, weshalb wir un­se­ren Teil­neh­men­den gerne folgen­de Liste ans Herz legen. Unsere Bitten:

— Setzen Sie sich zu Videocalls in den ruhigsten Raum, der Ihnen zur Verfügung steht;
— Handelt es sich dabei um einen Raum mit viel Raumhall (z.B. durch kahle Be­ton­wän­de, große Glas­flächen), wählen Sie bitte den zweit­ru­higsten Raum oder schließen Sie die Vorhänge und sprechen Sie bei Gelegen­heit eine In­nen­ar­chi­tek­tin* an. Die Verbesserung der Raum­akustik wird Ihnen auch nach Corona die Ge­sprächs­at­mos­phäre erleichtern;
— Besorgen Sie sich ein Headsets mit USB-Anschluss und gutem Mikrofon (Kauf­em­pfeh­lung gerne auf Anfrage);
— Setzen Sie sich nicht weit entfernt vom Monitor (und der Monitorkamera) hin, sondern in Monitornähe. Sie helfen uns damit, denn wir Dolmetscher/innen lesen einen Teil des Gesagten vom Mundbild ab;
— Schließen Sie Ihren Rechner mit einem Lan-Kabel an, das erhöht die Ge­samt­qua­li­tät der Übertragung;
— Schließen Sie andere Browserfenster und ar­beits­spei­cher­fressende An­wen­dun­gen, stellen Sie Tele­fone und andere po­­ten­tiel­le Stör­quellen stumm;
— Wenn Sie nicht sprechen, klicken Sie auf das Mikrofonsymbol und stellen es da­mit aus (seien Sie dabei bitte freundlich zu Kindern und Haustieren);
— Bei großen Veranstaltungen: Sagen Sie immer vorab Ihren Namen (mit dem Sie sich bitte auch im Konferenzsystem anmelden), damit wir die vor dem Event ge­le­se­nen Informationen auch mit Gesichtern und der Ge­sprächs­si­tua­tion verknüpfen können.

Und wenn Sie Dolmetscherinnen und Dolmetscher bestellen, wenden Sie sich bitte an Freiberuflerinnen und Freiberufler, die meistens gut per Mail erreichbar sind, und bitten Sie um einen telefonischen Beratungstermin.

Maklerfirmen, die (fast) alle Sprachen (beinahe) rund um die Uhr anbieten und an renommierter Adresse ein Sekretariat beschäftigen, investieren einen größeren An­teil der von Ihnen gezahlten Honorare in Repräsentations- und Werbekosten. Diese Firmen haben keine Kolleginnen und Kollegen festangestellt, sie su­chen an­schlie­ßend unter den freiberuflich Tätigen nach jenen, die für das rest­li­che Geld wil­lens und hof­fentlich auch in der Lage sind, zu arbeiten.

Viele gestandene Kolleginnen und Kollegen mit besten Referenzen und lang­jäh­riger Erfahrung sind dazu eher nicht be­reit. Wa­rum soll ich ei­nem Mit­tels­mann* 30, 40 oder 50 Pro­zent mei­nes Hono­rars für einige Telefonate über­las­sen, wenn er mir da­r­ü­ber­­hin­­aus noch den Kontakt zu den End­kunden er­schwert, der für den rei­bungs­­lo­­sen Informationsfluss im Vorfeld un­ab­dingbar ist? Wie gesagt, Dolmet­schen ist zu 80 Prozent Vorbereitung ...

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Illustration: Pracownia N22 (in Neukölln)
(*) oder Leser / Innenarchitekten / Mittlerin

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