Dolmetschen wirkt auf Nichtdolmetscher oft wie Zauberei, geheimnisvoll und unklar. "Wie geht das: zuhören und gleichzeitig sprechen?", ist daher wohl die am häufigsten gehörte Frage, ergänzt durch ein: "... das muss doch sauschwer sein!" Naja, geht so. Wir haben es halt gelernt. Und wir wissen selbst nicht so genau, wie wir das machen.
SOSO, Jahr 2020! |
Fast alle großen Konferenzen wurden virusbedingt auf 2021 verschoben. Online-Kurzformate sind selten, denn nicht nur der Aufwand ist höher als sonst, sie sind für alle Beteiligten anstrengender.
Es hilft nichts, wir müssen da alle durch. Gemeinsam. Die Anstrengungen kennen Sie aus den letzten Monaten, von Zoom- oder Microsoft-Meeting-Sessions (oder mit welcher Technik Sie auch Erfahrungen gemacht haben): Die Konzentration fällt schwer, da meist der Ton schlecht ist, es hallt, Teilnehmer oder Rednerinnen gehen verloren.
Außerdem ist es schon etwas anderes, ob wir alleine zuhause oder zusammen mit anderen in einem Raum oder Kongresszentrum sitzen. Der nonverbale Anteil der Kommunikation fehlt, Blicke, Verabredungen für Nachfragen während der Kaffeepause, Infomaterial zum Durchblättern — und bei Kongressen mit Besichtigungsanteil eben auch die unterwegs im Team gemachten Erfahrungen und Beobachtungen.
Nach vielen einsprachigen "Videocalls" beginnt diesen Spätsommer die Zeit, in der sich mehrsprachige Onlineevents häufen werden. Auch für uns Dolmetscherinnen und Dolmetscher sind die anstrengender und schwieriger als die Arbeit früher. Das geht mit der Vorbereitung los: Wir haben mitunter Mühe, im Vorfeld an alle wichtigen Informationen heranzukommen. Es entfällt die Erinnerung an den Redetext "vor Ort", denn es gibt keinen gemeinsamen Ort, oder die kurze Nachfrage zu einem schwer verständlichen Absatz, in den sich vielleicht ein Fehler eingeschlichen hat. Wir sind auch die "ersten Leserinnen"* und konnten schon manches im Vorfeld auszubügeln helfen.
Nicht ausbügeln können wir leider diese Soundschwierigkeiten, die sich sogar auf unsere Dolmetschleistung auswirken können. Dar Grund dürfte sich Ihnen schnell erschließen, denn es ist fast wie beim Kinderspiel "Stille Post": Wenn ich etwas nicht akkurat verstehe, kann ich es auch nicht akkurat weitergeben.
Was viele nicht wissen: Zur allgemeinen Soundqualität kann jede Einzelne, jeder Einzelne beitragen. Das ist auch der Grund, weshalb wir unseren Teilnehmenden gerne folgende Liste ans Herz legen. Unsere Bitten:
— Setzen Sie sich zu Videocalls in den ruhigsten Raum, der Ihnen zur Verfügung steht;
— Handelt es sich dabei um einen Raum mit viel Raumhall (z.B. durch kahle Betonwände, große Glasflächen), wählen Sie bitte den zweitruhigsten Raum oder schließen Sie die Vorhänge und sprechen Sie bei Gelegenheit eine Innenarchitektin* an. Die Verbesserung der Raumakustik wird Ihnen auch nach Corona die Gesprächsatmosphäre erleichtern;
— Besorgen Sie sich ein Headsets mit USB-Anschluss und gutem Mikrofon (Kaufempfehlung gerne auf Anfrage);
— Setzen Sie sich nicht weit entfernt vom Monitor (und der Monitorkamera) hin, sondern in Monitornähe. Sie helfen uns damit, denn wir Dolmetscher/innen lesen einen Teil des Gesagten vom Mundbild ab;
— Schließen Sie Ihren Rechner mit einem Lan-Kabel an, das erhöht die Gesamtqualität der Übertragung;
— Schließen Sie andere Browserfenster und arbeitsspeicherfressende Anwendungen, stellen Sie Telefone und andere potentielle Störquellen stumm;
— Wenn Sie nicht sprechen, klicken Sie auf das Mikrofonsymbol und stellen es damit aus (seien Sie dabei bitte freundlich zu Kindern und Haustieren);
— Bei großen Veranstaltungen: Sagen Sie immer vorab Ihren Namen (mit dem Sie sich bitte auch im Konferenzsystem anmelden), damit wir die vor dem Event gelesenen Informationen auch mit Gesichtern und der Gesprächssituation verknüpfen können.
Und wenn Sie Dolmetscherinnen und Dolmetscher bestellen, wenden Sie sich bitte an Freiberuflerinnen und Freiberufler, die meistens gut per Mail erreichbar sind, und bitten Sie um einen telefonischen Beratungstermin.
Maklerfirmen, die (fast) alle Sprachen (beinahe) rund um die Uhr anbieten und an renommierter Adresse ein Sekretariat beschäftigen, investieren einen größeren Anteil der von Ihnen gezahlten Honorare in Repräsentations- und Werbekosten. Diese Firmen haben keine Kolleginnen und Kollegen festangestellt, sie suchen anschließend unter den freiberuflich Tätigen nach jenen, die für das restliche Geld willens und hoffentlich auch in der Lage sind, zu arbeiten.
Viele gestandene Kolleginnen und Kollegen mit besten Referenzen und langjähriger Erfahrung sind dazu eher nicht bereit. Warum soll ich einem Mittelsmann* 30, 40 oder 50 Prozent meines Honorars für einige Telefonate überlassen, wenn er mir darüberhinaus noch den Kontakt zu den Endkunden erschwert, der für den reibungslosen Informationsfluss im Vorfeld unabdingbar ist? Wie gesagt, Dolmetschen ist zu 80 Prozent Vorbereitung ...
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Illustration: Pracownia N22 (in Neukölln)
(*) oder Leser / Innenarchitekten / Mittlerin
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