Dienstag, 21. Mai 2019

Ausschreibungsgymnastik (1)

Seit mehr als zwölf Jahren beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Kon­fe­renz­dol­metscherin und Übersetzerin, arbeite mit der fran­zö­sischen Spra­che ... und mit Eng­li­sch als Ausgangssprache. Manchmal wird unsereiner allerdings vom Arbeiten abgehalten. 

Bürodetail
Kostenvoranschlag erbeten! Die Sache ist al­ler­dings so ge­heim, dass ich leider kei­nen Pro­be­­text erhalte. Dafür 28 (in Wor­ten: acht­und­zwan­zig) Seiten Ver­trags­text in Neun-Punkt-Schrift, also kurz vor Au­gen­pul­ver. Ich lese Sätze, die Worte wie "Vertragsstrafe" enthalten. Ich möch­te nicht, dass man mir droht, noch bevor ich überhaupt weiß, worum es geht.

Ich antworte, dass ich an­­ge­­sichts der vie­len Un­wäg­­bar­kei­ten keinen Kosten­vor­an­­schlag abgeben möchte, da der Auf­wand unklar und damit nicht kal­ku­lierbar ist. Die Sache wäre eine Art negativer Wun­­dertüte. Die Stelle, es ist eine Unter­­ab­tei­lung einer Bun­des­behörde, hakt nach.

Sie möchte dringend eine Zahl von mir haben, da ich sonst von der "potentiellen An­bie­ter­liste" gestrichen werden würde. Das klingt bedrohlich. Wer erstellte wo und wann eine solche Liste? Wo zirkuliert sie? Ich höre zum ersten Mal davon.

Allerdings kenne ich solche Spielchen. Ich kalkuliere flott die Anzahl der Zeichen, kon­ver­tie­re in Zeilen, schreibe 4,40 Euro je Zeile auf (statt 1,60 oder 1,80 oder 2,50 oder ...) und schicke mein "Angebot" ab. Ich erhalte sogar eine per­sön­li­che Dan­kes­mail für diesen Auf­wand. Zurecht, denn ich habe un­be­zahlte Arbeits­zeit eingesetzt.

Was war das jetzt? Möglicherweise war hier im Rahmen der Kos­ten­däm­pfung oder der Ver­meidung von Günstlings­wirtschaft eine erweiterte Ausschreibung fäl­lig. Al­ler­dings sind nicht alle teil­neh­men­den Über­setzer persönlich bekannt, dürfen also keinen Ein­blick in die Unter­lagen nehmen. Am Ende brauchen sie eine Zahl, wie viele Dienst­leister teilgenommen haben. Ich hoffe sehr, sie ver­öf­fent­li­chen haus­­intern auch  einen Durchs­chnitt der ab­ge­ge­be­nen "Gebote".

Nach dieser un­er­freu­lichen Erfahrung wende ich mich den wirklich wichtigen Din­gen zu. Ich würde mir wünschen, wenn es ein Nach­denken geben würde, wie sol­che Ver­fah­ren und Auftrags­verfahren besser geregelt werden, damit sie nicht in komische Aus­schrei­bungs­gym­nas­tik münden. So bleibt ein schaler Nachgeschmack. Be­rück­sich­ti­gen sol­che Bie­ter­wett­kämpfe auch Qua­li­tät? Oder war das nur Kosten­däm­pfung? Ver­mei­dung von Ne­po­tis­mus? Für den Pa­pier­korb!

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Foto: C.E.

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