Freitag, 10. Mai 2019

Innerer Dialog

Seit mehr als zwölf Jahren beschreibe ich hier meinen sprachbetonten Alltag. Ich bin Kon­fe­renz­dol­metscherin und Übersetzerin, arbeite mit der fran­zö­sischen Spra­che ... und mit Eng­li­sch als Ausgangssprache. Meistens jedenfalls. 

"Fresse!" habe ich gesagt — zu mir selbst. Eine so direkte Ansprache ist sonst nicht meine Art. Dolmetscher sind ohnehin eher zwei Spuren höflicher als andere Zeit­ge­nos­sen. Diesmal aber war alles anders.

Neulich habe ich ins Engli­sche und aus dem Englischen gedolmetscht. Das war sehr interes­sant und eher lustig. Nur tief in mir drin gab es eine Stim­me, die fand das irgend­wie überhaupt nicht gut.

Dazu muss ich erwähnen, dass wir Dolmetscher Sprachen alphabetisch sortieren. "A" steht für die Muttersprache (Deutsch), "B" für die Hauptarbeitssprache (Ziel- und Ausgangssprache, bei mir Französisch) und "C" ist die so­ge­nann­te pas­si­ve Spra­che, die Aus­gangs­spra­che, in meinem Falle Eng­lisch. Hier habe ich Fra­gen ins Eng­li­sche gedol­metscht und die Ant­worten zurück ins Deutsche.

Da vorne bin ich irgendwo :-)
Das Unter­bewusst­sein wollte aber nicht Ru­he ge­ben. Es hat sich immer lauter ge­äu­ßert. Hat sich be­schwert: "Was machst du denn da? Du kannst doch gar kein Eng­lisch!" Mein Be­wusst­sein: "Hör doch hin, das klappt er­staun­lich gut!" Das Unter­bewusst­sein: "Du bist 'ne Hoch­sta­ple­rin." Mein Bewuss­tsein: "Fresse!"

Die Zeit, die es braucht, um an­dert­halb Ant­wor­ten zu dolmetschen, war ich ver­un­si­chert.

Das Ganze geschah mitten auf der Bü­hne des 29. Film­kunst­fests Schwe­rin. Aber ich habe mich schnell wieder gefangen. Ich liebe es, in echten Arbeits­si­tua­tio­nen die C-Sprache trainieren zu dürfen. Dieses Trai­nings­mo­ment war eher dis­kret; für das Pub­li­­kum habe ich die meis­te Zeit ins Deut­sche gedolmetscht. Dieses Jahr war Ir­land das Gast­land. Es gab viel Be­such. Es hat sich ange­fühlt, als wären sie alle nur für mich von der grü­nen Insel an­ge­reist. So schön! Ich liebe mei­nen Beruf. Trotz sol­cher inneren Dia­loge.

[Und ja, auch mit Jahr­zehn­ten Be­rufs­pra­xis auf dem Buckel, das Wort darf in­zwi­schen ins Plu­ral, ken­nen wir ge­le­gent­lich noch Lam­pen­fie­ber, Selbst­zwei­fel und Stress­ge­dan­ken, die die Rou­ti­ne tor­pe­die­ren. Adrenalin hilft uns, so hoch­gradig und dauer­haft auf­merk­sam zu sein, wie wir es müs­sen. Au­ßer­dem ähnelt ja auch die Art un­se­res Ar­bei­tens im­mer wieder Prü­fungs­situa­tio­nen frü­he­rer Zei­ten.]

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Foto: Stefan Koeck

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