Studientag, kleines Budget: Kabine ohne Wände |
Erster Aspekt: Die Anfragen kommen immer kurzfristiger, gerne auch am Vorabend, und zwar durch die Bank weg von allen, von Privatleuten bis hin zu Ministerbüros. Konsequenz: Allgemeine Politik steht täglich auf der Vokabelliste.
Zweitens: Die Termine sind oft kürzer, Hintergrundgespräch, Zwei-Stunden-Interviewsession, Ehrung einer Person, Buchlesung. Wir müssen immer öfter den Kunden erklären, warum ein kurzer Einsatz genauso intensiv vorbereitet werden muss wie ein langer, und warum wir deshalb keine Stundentarife anbieten können.
Dritte Beobachtung: Die Pseudo-Agenturen schießen wie die Pilze aus dem Boden. Sie haben keine Ahnung und wenn doch, so haben sie es auf unsere Honorare abgesehen à la "Wir zahlen nur für die beim Kunden verbrachte Zeit". Die Entgelte für unsere Mehrarbeit möchten sie für sich behalten. Not amused, wirtschaftlich für uns selten möglich. Diese Agenturen zerstören à la longue einen Markt, deren Teil sie zu sein vorgeben.
Viertens: Dieses "Vorgeben" ist leider Trend. Ich nenne sie gerne "Simulantdolmetscher": Menschen, die unsere Arbeit simulieren, die keine Ahnung haben vom Metier und weder Trainings noch Jahre an Berufserfahrung nachweisen können, drängen auf den Markt.
Fünfter Punkt: In der Öffentlichkeit verschwimmt die Wahrnehmung dessen, was unseren Beruf ausmacht. Das liegt auch an der seit Jahren währenden Flüchtlings(verwaltungs)krise, in der jeder, der halbwegs Deutsch radebrechen kann und eine der Sprachen der Geflüchteten spricht, sofort "Dolmetscher" genannt wird. Dieser Personenkreis müsste von allen, von den Berufsverbänden zuallererst, als Sprachhelfer oder, besser noch, Laiensprachhelfer bezeichnet werden, was manchen Verdiensten keinen Abbruch tut, aber für Klarheit sorgt. Für Fans der in Deutschland so beliebten Abkürzerei habe ich sogar ein Kürzel parat: LSH.
Sechstens: Immer mehr andere Berufsstände mischen sich immer aggressiver in unsere Honorargestaltung ein, nicht nur die Pseudo-Agenturen (WorldLanguageRulers-24/7), sondern auch Mediziner und Gesundheitsverwaltung, die die Preise für medizinisches Dolmetschen festlegen wollen, Sozialarbeiter und Jugendamtsleiter, die zum Teil abenteuerliche Listen führen, das geht in Berlin mit 10,50 Euro für einen Einsatz für einen unbegleiteten Jugendlichen los. Das sind Sätze für ungelernte Arbeit, das ist sogar für sprachkundige Laien zu wenig, die berufsbegleitend weitergebildet werden, Mesdames et Messieurs !
Siebentens (verwandt mit Punkt 4): Die Honorare der Masse der Journalisten sinken seit Jahren, nein, sie werden gedrückt. "Sinken" klingt wie ein höchst natürlicher Vorgang, ein Hochwasserpegel sinkt. Dass uns Sprachprofis von dieser Seite unlauterer Wettbewerb erwächst, ist leider nichts Neues. Da die Qualität des Programmumfeldes abnimmt, fällt's nicht immer auf.
Achtens: Es wird immer öfter auf Englisch gesetzt und dann am liebsten gar nicht gedolmetscht, außer dort, wo es wirklich wichtig ist. Was lese ich daraus? Dass es mit Englisch als Lingua franca eben doch nicht so weit her ist.
Neuntens: Dieser Punkt hängt mit dem ersten zusammen. Das Internet bringt die trügerische Gewissheit mit sich, dass alle und alles stets und ständig von gleicher Qualität zu haben sei, Sprachprofis inklusive. Die ohnehin bald durch die riesige Rechenleistung und Dokumente der Cloud überflüssig werden, oder?
Nach der Pause |
Für den Rest der Arbeit wird auf Laien und irgendwelche High-Tech-Gimmicks zurückgegriffen, was die Verständigung nicht erleichtern wird.
Es wird Tränen geben, Tragik und Tote. Dann erfindet jemand den Dolmetscherberuf neu. Dass wir mal Opfer von Schweinezyklen werden würden, darauf wäre ich beim besten Willen nicht gekommen.
Und ehe mich jetzt jemand von den anderen etablierten Kolleginnen und Kollegen der Schwarzmalerei zeiht: Hört Euch beim Nachwuchs um. Das Beschriebene gilt für sie und für uns Allrounder, eine Technikdolmetscherin kennt das weniger, es sei denn, sie ist nur auf Verbrennungsmotoren spezialisiert.
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Fotos: C.E.
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