Mittwoch, 30. Mai 2018

Neun Punkte

Hier bloggt eine Kon­­fe­­renz­­dol­­met­­sche­­rin mit den Schwer­­punk­­ten Politik, Wirt­schaft, Archi­tektur, Sozia­les, Lan­des­kunde, Me­dien, Kul­tur und Film. Was ist los mit dem Dolmetsch­markt?

Dolmetscherin, Dolmetschpult, Rechner, Publikum
Studientag, kleines Budget: Kabine ohne Wände
Weiter im Text. Eine merk­wür­di­ge Frühjahrssaison neigt sich bald schon dem Ende zu. Was lässt sich be­ob­ach­ten?

Erster Aspekt: Die Anfragen kommen immer kurzfristiger, gerne auch am Vorabend, und zwar durch die Bank weg von allen, von Privatleuten bis hin zu Ministerbüros. Konsequenz: Allgemeine Politik steht täg­lich auf der Vo­ka­bel­lis­te.

Zweitens: Die Ter­mi­ne sind oft kürzer, Hintergrundgespräch, Zwei-Stunden-In­ter­view­ses­sion, Ehrung einer Per­son, Buchlesung. Wir müssen immer öfter den Kunden erklären, warum ein kur­zer Ein­satz genauso intensiv vor­be­reitet werden muss wie ein lan­ger, und warum wir des­halb keine Stun­den­ta­rife anbieten können.

Dritte Be­ob­achtung: Die Pseudo-Agenturen schießen wie die Pilze aus dem Boden. Sie haben keine Ahnung und wenn doch, so haben sie es auf unsere Honorare ab­ge­se­hen à la "Wir zahlen nur für die beim Kunden verbrachte Zeit". Die Entgelte für unsere Mehrarbeit möchten sie für sich behalten. Not amused, wirt­schaft­lich für uns sel­ten möglich. Diese Agenturen zerstören à la longue einen Markt, deren Teil sie zu sein vor­ge­ben.

Viertens: Dieses "Vorgeben" ist leider Trend. Ich nenne sie gerne "Simu­lant­dol­met­scher": Menschen, die unsere Arbeit si­mu­lieren, die keine Ah­nung haben vom Me­tier und weder Trai­nings noch Jahre an Be­rufserfah­rung nach­wei­sen kön­nen, drän­gen auf den Markt.

Fünfter Punkt: In der Öffent­lichkeit verschwimmt die Wahr­nehmung dessen, was unseren Beruf ausmacht. Das liegt auch an der seit Jahren währenden Flücht­lings­(ver­wal­tungs)kri­se, in der jeder, der halbwegs Deutsch radebrechen kann und eine der Sprachen der Geflüchteten spricht, sofort "Dolmetscher" ge­nannt wird. Dieser Personenkreis müsste von allen, von den Berufsverbänden zuallererst, als Sprach­hel­fer oder, besser noch, Laiensprachhelfer bezeichnet werden, was man­chen Ver­diens­ten keinen Abbruch tut, aber für Klarheit sorgt. Für Fans der in Deutschland so beliebten Abkürzerei habe ich sogar ein Kürzel parat: LSH.

Sechstens: Immer mehr andere Berufsstände mischen sich immer aggressiver in un­se­re Honorargestaltung ein, nicht nur die Pseudo-Agenturen (World­Lan­gua­ge­Ru­lers-24/7), son­dern auch Mediziner und Ge­sund­heits­ver­wal­tung, die die Preise für medizinisches Dolmetschen festlegen wollen, Sozialarbeiter und Jugend­amts­leiter, die zum Teil aben­teu­erliche Listen führen, das geht in Ber­lin mit 10,50 Euro für einen Ein­satz für einen un­beglei­te­ten Jugendlichen los. Das sind Sätze für ungelernte Ar­beit, das ist sogar für sprach­kundige Laien zu wenig, die be­rufs­be­glei­tend wei­ter­ge­bil­det werden, Mesdames et Messieurs !
 
Siebentens (verwandt mit Punkt 4): Die Honorare der Masse der Journalisten sin­ken seit Jahren, nein, sie wer­den ge­drückt. "Sinken" klingt wie ein höchst na­tür­li­cher Vor­gang, ein Hoch­was­ser­pe­gel sinkt. Dass uns Sprachprofis von die­ser Sei­te unlauterer Wett­be­werb erwächst, ist leider nichts Neues. Da die Qua­li­tät des Pro­gramm­­um­­fel­­des ab­nimmt, fällt's nicht im­mer auf.

Achtens: Es wird im­mer öf­ter auf Eng­lisch ge­setzt und dann am liebs­ten gar nicht ge­dol­metscht, außer dort, wo es wirk­lich wich­tig ist. Was le­se ich da­raus? Dass es mit Eng­lisch als Lin­gua fran­ca eben doch nicht so weit her ist.

Neuntens: Dieser Punkt hängt mit dem ersten zusammen. Das Internet bringt die trügerische Gewiss­heit mit sich, dass alle und alles stets und ständig von glei­cher Qualität zu haben sei, Sprach­pro­fis in­klu­si­ve. Die ohnehin bald durch die riesige Rechen­leistung und Dokumente der Cloud überflüssig werden, oder?

Mikrophone, Dolmetschpult
Nach der Pause
Die Folgen? Wenn es so wei­ter­geht, gibt es bald nur noch wenige Kol­le­ginnen und Kol­le­gen, die z.B. bei Minis­terien, Parla­menten oder vielleicht Handelskammern festan­ge­stellt sind.

Für den Rest der Ar­beit wird auf Laien und irgend­welche High-Tech-Gim­micks zurück­ge­grif­fen, was die Verstän­digung nicht erleichtern wird.

Es wird Trä­nen geben, Tragik und To­te. Dann erfindet jemand den Dol­met­scher­be­ruf neu. Dass wir mal Opfer von Schweine­zyk­len werden würden, darauf wäre ich beim besten Willen nicht gekommen.

Und ehe mich jetzt je­mand von den an­deren eta­blier­ten Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen der Schwarz­ma­lerei zeiht: Hört Euch beim Nachwuchs um. Das Be­schrie­bene gilt für sie und für uns All­roun­der, eine Technik­dol­met­scherin kennt das we­ni­ger, es sei denn, sie ist nur auf Ver­bren­nungs­mo­to­ren spe­zia­li­siert.

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Fotos: C.E.

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