Donnerstag, 7. Juni 2018

Kann ich ein Eis?

Bonjour, hier bloggt eine Fran­zö­sisch­­dol­­met­sche­rin und -über­setzerin. Dol­­met­scher und Über­setzer übertragen münd­lich und/oder sinn­­getreu, sie pla­nen Rei­sen, machen Buch­­­haltung und helfen Kol­­le­gen beim Bü­ro­­ma­­na­­ge­ment, sie müssen sehr viel le­sen und hö­ren ih­rer Um­­welt auch pri­vat sehr auf­­merk­­sam zu.

Die Verbengeizigkeit der Unter-35-Fraktion ist frappierend. Irgendein un­fer­ti­ger Satz wird raus­ge­schleudert, und die an­we­sen­de Ü-35-Person darf dann al­lein zu­en­de denken.

Vanille-Stracciatella am Markt
Sehen? Kaufen? Essen? Worum geht's hier eigentlich? Neulich habe ich das sogar in einem zufällig aufgeschnappten TV-Dialog bei der Nachbarin gehört: "Kann ich einen Wein?" Es ist klar, hier fehlt das zweite Verb, und viele Jahre Lebens­erfahrung sind nicht nötig, um den Satz zu ver­voll­stän­di­gen. Ich erkenne darin indes einen Trend. Vermutlich ist er sogar längst in der Werbung angekommen, die ja alles ver­ball­hornt, nur habe ich das als noto­rische Werbung­über­seherin wieder mal nicht mit­be­kom­men.

Reklame greift auch gerne heftige Gram­ma­tik­feh­ler auf, seitdem sie bei so einer Blubb-Spi­nat­da­me zu Slogans wurden.

Derlei wird übrigens von Mit­telstands­damen aus Kreisen der Geflüch­teten und Zu­ge­wanderten heftig gerügt: "Das sowas überhaupt erlaubt ist? Wie sollen wir denn richtiges Deutsch lernen?" Ja, und die hier geborenen Unter­schichtkids, die aus Gründen politischer Korrekt­heit lange nicht Unter­schichtkids genannt werden durften, kom­men so auch nicht aus dem stigmatisierend falschen Sprach­gebrauch heraus. Es sei denn, sie wer­den zu Leseratten.

Nicht auf dem Mobiltelefon, das schon die Kleinsten mit sich führen, nein, ich spre­che von echten Büchern. Wenn es nach mir ginge, hätten wir durch­aus ei­ne Ge­schmacks­po­li­zei, einen Sprachen­rat und überhaupt eine gesamt­gesell­schaft­li­che Debatte über Ausdrucks­formen, Kultur und Macht. Und ein Mindestalter für Di­gi­ta­les. Und einen Technik­fü­hrer­schein, Medien­kunde und Filmun­terricht sowie Abi mit Leh­re für alle in der Schule. Jawoll! Zum Erlernen kom­ple­xe­ren, prak­tischen Den­kens.

Die ab­ge­bro­chenen Sätze verkörpern nämlich, wenn es um mehr geht als den ra­schen Kon­sum­wunsch, nämlich oft genug nicht zu Ende gedachte Gedanken. Das ist Sprach­zapping, das nur noch andeutet, Kom­mu­ni­kation antäuscht.

"Darf ich ein Eis?" Als der welt­bes­te Zieh­pa­ten­sohn klein war, habe ich ihn dann immer gefragt: "Was denn? Zeichnen, tanzen, essen oder ... " Er wusste, dass hier auch ein Verb wie "kacken" dabei sein konnte (allerdings nie in der Öf­fent­lich­keit). Weil er wusste, dass theore­tisch auch ein pein­li­ches Wort zur Auswahl kommen konnte, hat er schnell gelernt, seine Sätze fer­tig­zu­spre­chen.

Jetzt ein Eis. Ganz ohne Verb. Stehnwa drüber, gell?

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Foto: C.E. (Bild aus Marburg)

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