Dienstag, 29. Mai 2018

Nicht selbstregulierend

Was Dol­met­scher und Über­setzer so er­le­ben kön­nen, be­schrei­be ich hier in loser Folge. Ich arbeite mit den Sprachen Deutsch, Französisch (Ausgangs- und Ziel­spra­che) und Engl­isch in Paris, Berlin, Marseille, Marburg, Lyon und Lud­wigs­burg, um nur einige Beispiele zu nennen.

Gestern habe ich eine Episode von einer Messe gebracht, da wussten unsere Kun­den, worauf es ankommt. Neulich war alles anders.

Eine Anruferin, die für ein Kulturhaus arbeitet, sie ist neu im Job und fragt: "Könn­ten Sie für uns dolmet­schen? Wir haben eine Publikums­ver­anstaltung über das Land X mit dem Gast Y, der aus diesem Land stammt, verstehen Sie?"

Ich frage nach, ob es eine Kabine gibt, Kopf­hörer fürs Publikum, erwähne die Dol­met­scher­kol­le­gin, da die Veranstaltung wohl länger als eine halbe Stunde dau­ern wird.

"Nein, nein. Wir brauchen keine Dolmetscherkabine. Wir brauchen auch keine zwei­te Dolmet­scherin. Sie sollen nur das dolmet­schen, was Gast Y aus dem Land X erzählt. Nacheinander, auf der Bühne."

Aha, konsekutives Dolmetschen also. Wie denn Gast Y die Sprache verstehen wür­de, will ich alsdann wissen.

Foto eines kleinen, schwarzen Jungen, vergrößert, als Teil einer Wandmalerei
Gesehen in Kreuzberg
"Naja, nicht so gut. Eigentlich gar nicht. Wir hatten gedacht, der Moderator fasst ab und zu mal in der anderen Sprache zu­sam­men, worum es geht. Aber während wir telefonieren, kommt gerade eine Mail rein. Moment bitte, aha, ach so. Nun, er möchte das doch nicht machen. Könnten Sie bitte vielleicht auch ab und zu si­mul­tan für den Gast Y dolmetschen?", meint die Anruferin.
Ich frage konkret, wie ich das machen soll, ohne zweite Person oder Pausen. Versuche zu erklären, wie an­stren­gend unser Beruf ist, aber kann nicht au­sreden.

"Naja, Sie müssen nicht alles dol­met­schen. Nur ab und zu halt."

Ich: "Aber könnte es nicht sein, dass der Gast auf etwas eingehen möchte, was in der Diskussion gesagt wird? Dass er gefragt wird? Dass er antworten will, dass er es als un­höf­lich empfinden könnte, dass ihm eine Dis­kus­sion über sein Land nicht in Gänze verdolmetscht wird?!

Gast Y ist ein Kul­tur­schaf­fender, Land X liegt auf dem afri­ka­ni­schen Kontinent. Ist es jetzt bösartig, wenn ich annehme, dass derlei einem Politiker beispielsweise aus Frankreich nicht zugemutet worden wäre?

Ich erkläre, nochmal, wie der Standard in unserem Beruf ist, biete nach Rück­spra­che zwei Kolleginnen zum Super-Soli-Preis an. Tags darauf kommt die Absage: "Wir haben einen Über­setzer gefunden, der es allein und billiger macht."

Beim nicht näher erwähnten Haus handelt es sich um eine bundes­finanzierte Ber­li­ner Kul­tur­ein­rich­tung mit "Leuchtturmcharakter". Mit ihren Vorgängern stand ich im Ge­spräch, sie hatten anfangs ähnliche Verständnisprobleme. Die Kul­tur­ver­wal­tung hat ein Problem mit der Wissensweitergabe. Und dem­nächst hat das Publikum mög­li­cher­wei­se auch ein Problem.

P.S.: Die Sache ist einige Wochen her. Ich habe mir den Abend angesehen. Der "Dolmetscher" war ein bemühter Journalist, der seine Sache ins Deutsche ei­ni­ger­ma­ßen annehmbar erledigt hat, bis auf viele Neben­sätze und Fach­be­griffe. (Oder haben Sie schon mal von "straf­gericht­lichen Rechts­tri­bu­nalen" gehört?) Ins Fran­zö­si­sche hat er ab und zu einen Satz gesagt. Der beflüsterte Gast war höflich und schwieg.

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Foto: C.E.

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