Gestern habe ich eine Episode von einer Messe gebracht, da wussten unsere Kunden, worauf es ankommt. Neulich war alles anders.
Eine Anruferin, die für ein Kulturhaus arbeitet, sie ist neu im Job und fragt: "Könnten Sie für uns dolmetschen? Wir haben eine Publikumsveranstaltung über das Land X mit dem Gast Y, der aus diesem Land stammt, verstehen Sie?"
Ich frage nach, ob es eine Kabine gibt, Kopfhörer fürs Publikum, erwähne die Dolmetscherkollegin, da die Veranstaltung wohl länger als eine halbe Stunde dauern wird.
"Nein, nein. Wir brauchen keine Dolmetscherkabine. Wir brauchen auch keine zweite Dolmetscherin. Sie sollen nur das dolmetschen, was Gast Y aus dem Land X erzählt. Nacheinander, auf der Bühne."
Aha, konsekutives Dolmetschen also. Wie denn Gast Y die Sprache verstehen würde, will ich alsdann wissen.
Gesehen in Kreuzberg |
Ich frage konkret, wie ich das machen soll, ohne zweite Person oder Pausen. Versuche zu erklären, wie anstrengend unser Beruf ist, aber kann nicht ausreden.
"Naja, Sie müssen nicht alles dolmetschen. Nur ab und zu halt."
Ich: "Aber könnte es nicht sein, dass der Gast auf etwas eingehen möchte, was in der Diskussion gesagt wird? Dass er gefragt wird? Dass er antworten will, dass er es als unhöflich empfinden könnte, dass ihm eine Diskussion über sein Land nicht in Gänze verdolmetscht wird?!
Gast Y ist ein Kulturschaffender, Land X liegt auf dem afrikanischen Kontinent. Ist es jetzt bösartig, wenn ich annehme, dass derlei einem Politiker beispielsweise aus Frankreich nicht zugemutet worden wäre?
Ich erkläre, nochmal, wie der Standard in unserem Beruf ist, biete nach Rücksprache zwei Kolleginnen zum Super-Soli-Preis an. Tags darauf kommt die Absage: "Wir haben einen Übersetzer gefunden, der es allein und billiger macht."
Beim nicht näher erwähnten Haus handelt es sich um eine bundesfinanzierte Berliner Kultureinrichtung mit "Leuchtturmcharakter". Mit ihren Vorgängern stand ich im Gespräch, sie hatten anfangs ähnliche Verständnisprobleme. Die Kulturverwaltung hat ein Problem mit der Wissensweitergabe. Und demnächst hat das Publikum möglicherweise auch ein Problem.
P.S.: Die Sache ist einige Wochen her. Ich habe mir den Abend angesehen. Der "Dolmetscher" war ein bemühter Journalist, der seine Sache ins Deutsche einigermaßen annehmbar erledigt hat, bis auf viele Nebensätze und Fachbegriffe. (Oder haben Sie schon mal von "strafgerichtlichen Rechtstribunalen" gehört?) Ins Französische hat er ab und zu einen Satz gesagt. Der beflüsterte Gast war höflich und schwieg.
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Foto: C.E.
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