Vokabellernarbeitsplatz |
Hätte er seine Interviewpartner auf Hochdeutsch und gute Artikulation getrimmt, alsdann ein Krawattennmikrophon angesteckt und ihnen das Husten verboten sowie den anderen Mitmenschen in der Nähe jeglichen akustischen Beweis ihrer Präsenz untersagen, hätte das Diktierprogramm mit der intregrierten automatischen Transkriptionssoftware aus dem Tondokument im Handumdrehen ein Texdokument gefertigt.
Nur sind Interviews meistens nicht so. Interviews finden an allen unmöglichen Orten statt, in Lounges schicker oder weniger schicker Hotels, Wandelhallen der Politik, Hinterzimmern von Restaurants und Cafés, Erster-Klasse-Wartesälen der Eisenbahn, im Schankbereich von Ausstellungshallen und auch schon mal in einer Privatwohnung mit streitenden Nachbarn. Kurz: Selten ist die Akustik top. Dazu kommen Nuscheln, Dialekte und unvollständige Sätze. So mancher Versuch eines Transkripts endete im nervösen Lachanfall.
Jetzt hört er die Aufnahmen ab und diktiert in einen Rechner hinein. Das Diktierprogramm hat seine Art der Aussprache gelernt, das geht flotter als die Tipperei. Zwischendurch erreichen mich seine Fragen nach allerlei Fremdwörtern. "Woher weißt du das nur immer?", will er wissen. Meistens kenne ich die Wörter aus dem Französischen, sogar die "sakkadierenden Bewegungen". In Sachen Sich-schlau-Stellen haben wir Wortarbeiterinnen einen evidenten Vorteil.
Die Abschreiberei, die vor dem eigentlichen Schreiben seiner Artikel steht, hält sicher auf. Einst, als ich Journalistin war (und in den Anfangsjahren keinen Anspruch auf eine Sekretärin hatte), fand ich das immer eine gute Übung, um alles nochmal zu durchdenken. Die mögliche Auslagerung ist also nicht nur Ergebnis von Berufsjahren und/oder dem Ausgang von Vertragsverhandlungen, sie hat gute und schlechte Seiten.
Anstrengender finde ich, dass wir Wortarbeiter, und ich spreche jetzt wieder vom Dolmetschen, meinem heutigen Beruf, im Alltag auch noch alles andere nebenbei machen müssen: Reisen planen und buchen, Kosten schätzen und abrechnen, Redner motivieren, uns Vorabinformationen zukommen zu lassen, sofern wir das Glück haben, sie direkt zu erreichen. Außerdem: Kunden und Hotel beraten in Richtung Technikauswahl und -standort ... wobei letzteres für uns im Rahmen der Veranstaltungskoordination durchaus ein Rechnungsposten sein kann.
So, weiter im Text. Dieses Mal: Französische Interviews für ein Arte-Projekt abhören und deutsche Fassung tippen. Nein, tippen lassen, siehe oben.
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Foto: C.E. (Archiv)
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