Donnerstag, 10. Mai 2018

Die Abtippsen

Bonjour, hier bloggt eine Fran­zö­sisch­dol­met­sche­rin und -übersetzerin. Dol­met­scher und Übersetzer übertragen münd­lich und/oder sinn­getreu, sie pla­nen Rei­sen, machen Buch­­haltung und helfen Kol­legen beim Büro­ma­na­gement. Je weiter die Automatisierung mancher Arbeitsfelder voranschreitet, desto vielfältiger unsere Arbeit.

Sekretär, Bücher, Rechner
Vokabellernarbeitsplatz
Der Büropartner muss stundenlange In­ter­view­­aufnahmen abhören und die Kern­the­sen verschriftlichen. Früher gab es für so etwas Sekretärinnen, dann Schreib­bü­ros, mittlerweile sind die Abtip­psen di­gi­tal.

Hätte er seine In­ter­view­part­ner auf Hoch­deutsch und gute Arti­ku­lation get­rimmt, als­dann ein Kra­wat­tennmi­krophon an­ge­steckt und ihnen das Husten verboten sowie den anderen Mit­men­schen in der Nähe jeglichen akusti­schen Beweis ihrer Präsenz un­ter­sa­gen, hätte das Dik­tier­pro­gramm mit der intregrierten au­to­ma­ti­schen Trans­krip­tions­soft­ware aus dem Ton­do­ku­ment im Handumdrehen ein Tex­do­ku­ment gefertigt.

Nur sind Interviews meistens nicht so. Interviews finden an allen unmöglichen Or­ten statt, in Lounges schicker oder weniger schicker Hotels, Wandel­hallen der Pol­itik, Hinter­zimmern von Restaurants und Cafés, Erster-Klasse-Wartesälen der Ei­sen­bahn, im Schankbereich von Ausstellungshallen und auch schon mal in einer Privatwohnung mit streitenden Nach­barn. Kurz: Selten ist die Akustik top. Dazu kommen Nuscheln, Dialekte und unvollständige Sätze. So man­cher Versuch eines Trans­kripts endete im nervösen Lach­anfall.

Jetzt hört er die Aufnahmen ab und diktiert in einen Rechner hinein. Das Dik­tier­pro­gramm hat seine Art der Aussprache gelernt, das geht flotter als die Tipperei. Zwischendurch erreichen mich seine Fragen nach allerlei Fremd­wörtern. "Woher weißt du das nur immer?", will er wissen. Meistens kenne ich die Wörter aus dem Franzö­sischen, sogar die "sakka­dierenden Bewe­gungen". In Sachen Sich-schlau-Stellen haben wir Wortar­beite­rinnen einen evidenten Vorteil.

Die Abschrei­berei, die vor dem eigentlichen Schreiben seiner Artikel steht, hält sicher auf. Einst, als ich Journalistin war (und in den Anfangsjahren keinen An­spruch auf eine Sekretärin hatte), fand ich das immer eine gute Übung, um alles nochmal zu durch­denken. Die mög­liche Ausla­gerung ist also nicht nur Ergeb­nis von Berufs­jahren und/oder dem Ausgang von Vertrags­verhandlungen, sie hat gute und schlechte Seiten.

Anstrengender finde ich, dass wir Wortarbeiter, und ich spreche jetzt wieder vom Dolmetschen, meinem heutigen Beruf, im Alltag auch noch alles andere nebenbei machen müssen: Reisen planen und buchen, Kosten schätzen und abrechnen, Re­d­ner motivieren, uns Vorab­infor­mationen zukom­men zu lassen, sofern wir das Glück haben, sie direkt zu erreichen. Außerdem: Kunden und Hotel beraten in Richtung Technik­auswahl und -standort ... wobei letzteres für uns im Rahmen der Veranstaltungs­koordi­nation durchaus ein Rechnungsposten sein kann.

So, weiter im Text. Dieses Mal: Franzö­­sische Inter­views für ein Arte-Projekt ab­hö­ren und deut­sche Fas­sung tippen. Nein, tippen lassen, siehe oben.

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Foto: C.E. (Archiv)

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