Mittwoch, 1. März 2017

Aus dem Archiv: "Originelle Spezialisierung"

Bonjour, welcome, guten Tag! Seit zehn Jahren können Sie hier lesen, was Fran­zö­sisch­dol­met­scher und -über­setzer umtreibt, wenn sie neben Politik und Wirtschaft Schwer­punk­te wie Film und Fernsehen haben. Darf ich im Jubiläumsjahr ganze Bei­träge zitieren? Ja, ich darf. Und arbeite rasch weiter in meinen anderen Fach­ge­bie­ten, heute Politik. Hier also der Beitrag vom 27. Februar 2014.

Ja, es gibt ein Leben jenseits der Ber­li­na­le: kleinere Festivals, Drehbücher und Fi­nan­zie­rungspläne, die übersetzt werden dürfen. Wir Fachdolmetscher sind immer froh, wenn wir in der Kabine Platz nehmen dürfen. Mitunter dürfen wir vor dem Einsatz noch die Kolleginnen 'briefen', die vielleicht etwas weniger als wir Film­dol­met­scher mit der (heute kaum noch) flimmernden Bildkunst zu tun haben.

Beispiele. Le scénario original est de ... so beginnt ein typischer Pressekonferenzsatz, ein Satz, der seine Tücken hat. Denn leider ist es falsch, ihn so zu übersetzen: "Das originelle Drehbuch ist von ...", auch wenn der betreffende Film seine ungewöhnlichen Momente gehabt haben mag. Es handelt sich vielmehr um das Ori­gi­nal­drehbuch (und eben um keine Ro­man­ver­filmung).

Drei Sätze weiter ist vom script girl die Re­de. Dumm, wenn aus la scripte dann "das Mädchen, das das Drehbuch ge­schrie­ben hat" wird, der Kontext vermag derlei ein­zu­flüstern. (Vermeiden lässt sich das nur durch Vorbereitung und "Briefing".)

Das Script girl wurde auf DDR-Deutsch "Ateliersekretärin" genannt. Sie ist immer am Set, schreibt ins Buch, welche Dialogteile in welchen Einstellungen gedreht wurden, nimmt eventuelle Dialogänderungen auf, da nicht immer alles exakt so umgesetzt wird, wie es original im Drehbuch steht. Die überarbeitete Fassung ist wichtig für die Etappen der Endfertigung.

"Original" ist überhaupt ein schwieriges Wort. Der Originalschauplatz heißt auf Fran­­­zö­sisch décor naturel und nicht, wie Fachfremde vielleicht meinen mögen, das "natürliche Dekor". Diese Übelsetzung klingt sehr nach "Franzosentheorie", nach 1:1-Über­tra­gung, deren Opfer in den 1990-er Jahren die französische Soziologie in Deutschland geworden ist. Prägnantes Beispiel hierfür: La trajectoire de l'artiste, der individuelle Weg des Künstlers, der damals auf Deutsch regelmäßig mit "die Flugbahn des Künstlers" wiedergegeben wurde (und den heute viele in bestem Beamtendeutsch als "Laufbahn" des Künstlers übertragen).

Oder das von mir hier schon einmal vorgestellte "verweigerte Happy-End" für eine nicht erfolgte Risikoversicherung, completion bond oder "Fer­tig­stel­lungs­ga­ran­tie" auf Deutsch. Hintergrund dieses (wundervollen) Lapsus: Die Franzosen nen­nen derlei eine clause de bonne fin.

Das sind alles Originalbeispiele und keine originellen Beispiele. Und péché originel heißt "Sündenfall" auf Französisch. Ja, für uns Profis fühlt es sich wie ein solcher an, wenn mancherorts Amateure oder Profis mit anderen Fach­be­reichen zu Film­ter­mi­nen einbestellt werden. Schlussklappe!

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Foto: C.E. (Archiv)

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