Dienstag, 21. März 2017

Kreuz und quer

Guten Tag oder guten Abend! Hier bloggt eine Berliner Spracharbeiterin. Ich ar­bei­te europaweit mit Arbeitsort Berlin. Derzeit bin ich aufgrund eines großen Pro­jekts am bes­ten per Mail er­reich­bar.

Dieser Tage, irgendwo in Europa. Es werden die Folgen trumpscher Politik be­spro­chen, die Lage in Europa und der Türkei, diverse anstehende Wahlen und was sol­che Entwicklungen für die Meinungsfreiheit aller sowie die Grundrechte von "Frau­en, Behinderten und anderen Minderheiten" bedeutet, wie der Schnack ge­mein­hin geht, ich meine also die Mehrheit der Bevölkerung plus die Zu­ge­zo­gen­en, sexuell divers Orientierten und andere potentiell diskriminierte Gruppen.

Es haben sich zusammengefunden: Sozialarbeiter, Vertreter karitativer Verbände, Gewerkschaftsjugend, NGO-Mitglieder aller Altersgruppen, Helfer, die mit Ge­flüch­te­ten arbeiten, Leute etlicher Vereine, die mit sexuellen Minderheiten arbeiten.

Vier Kabinen, die im Kongresszentrum dauerhaft installiert worden sind, bespielen hier nur sechs statt üblicherweise acht Dolmetscher, weil nicht ständig alle Spra­chen zu dolmetschen sind, viele im Publikum sind mehrsprachig, manche allerdings eindeutig einsprachig. Dieses Sprachjonglieren geht nur, weil einige Dolmetscher mehrere B-Sprachen haben, also aktive Sprachen, in die sie arbeiten.

Luxuskabinen
Das Dolmetschteam dieser Tage ist wun­der­bar ge­mischt, Nachwuchs mit einigen Be­rufs­jah­ren, Menschen, die gerade an einer wei­te­ren B-Sprache arbeiten (ich an der eng­li­schen Sprache, die bei mir der­zeit nur Ausgangssprache ist), drei Men­schen kurz vor Renteneintritt. So komme ich bei zwei Veranstaltungsteilen als Viert­äl­tes­te im Team auf ca. 60 % der ge­sam­ten Dol­metsch­zeit, was in Ordnung geht, dol­met­sche bilateral DE<>FR und immer dann, wenn Spanisch kommt, neh­me ich vom Englischen ab, weil die Französin, die Spanisch gerade noch hinzulernt, noch nicht so gut ist, und für die beteiligten Englisch­kol­le­gen spanisches Englisch ... naja, Spanisch ist.

Sorry, vermutlich habe ich Sie jetzt abgehängt. Für uns war das glasklar: Viele von uns haben mehrere Arbeitssprachen, können nach Bedarf also flexibler arbeiten. Für die Aufteilung haben wir im Vorfeld aber viel Hirnschmalz investiert, und un­se­re Koordinatorin noch viel mehr. Nach dem Nachdenken haben wir zusammen mit dem Techniker an manchen Dolmetschpulten die Einstellungen geändert. Wir ar­bei­ten mit Handzeichen quer durch durch Raum, wenn Spre­cher­wech­sel angezeigt ist; im Zweifelsfall fliegen SMS hin und her. Einsatzübergabe mit Text­nach­rich­ten hatte ich noch nicht.

Was in den Teilzeit-Solo-Kabinen allerdings fehlt ist die Zuarbeit der Kollegin/des Kollegen, denn wir schreiben füreinander ja immer Zahlen, Eigennamen und ggf. fehlende Begriffe auf. Aber ich schreibe selbst und bin online zur Recherche in den Pausen. Geht zur Not auch. Ohne mehrjährige Erfahrung wäre das allerdings nicht machbar.

Mein Stolz: Die Dame, die uns den Kabinen zugeteilt hat, in der DDR-Industrie wäre das jetzt die "Dispatcherin" gewesen, hat mich mit Muttersprache Französisch ein­ge­teilt. Sie ist selbst Französin. Macht mich natürlich stolz. Andere im Team sind mit zwei Muttersprachen aufgewachsen. Trotzdem muss ich an meinem Image ar­bei­ten, denn derzeit kommen nur Übersetzungen ins Französische rein, was na­tür­lich die Kolleginnen freut. Dolmetschend arbeiten wir Bi- und Multilateralen gerne mal kreuz und quer, siehe oben; schriftlich arbeiten wir in der Regel in unsere Mut­ter­spra­che, und die ist bei mir eindeutig Deutsch. In Brüssel, wo ich dieser Tage auch war, gilt diese Regel übrigens auch für Dolmetscher: Jede(r) nur in sei­ne/ihre Muttersprache.


Aktueller Lesehinweis zum Thema Computerlin­gu­is­tik, Mut­ter­spra­che und Ge­flüch­te­te: "Software, die an der Realität scheitern muss" (Autorin: Anna Biselli), DIE ZEIT vom 17.3.201.
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Foto: C.E.

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