Dienstag, 28. März 2017

Emotional

Was Dol­met­scher und Über­setzer be­schäf­tigt und wie wir ar­bei­ten, da­rü­ber be­rich­te ich hier im elften Jahr, außerdem schreibe ich über die französische und deutsche Sprache, Englisch kommt am Rand auch vor. Schwerpunkt sind be­deu­tungs­vol­le Kom­mu­ni­ka­tions­si­tua­tio­nen.

Nach dem Termin
Dolmetschen in der Rechtsanwaltskanzlei. So oft liegen Leid und Freude nah bei­ei­nan­der. Neben mir sitzt eine junge Frau aus einem westafrikanischen Staat. Sie lebt schon länger in Deutschland und hat neulich mit dem Pass einer Freundin und deren Tochter ihr eigenes Töchterchen illegal nach Deutschland nachgeholt. Das ist aufgeflogen, denn die Stem­pel im Pass haben nicht zu den an­ge­ge­ben­en Routen gepasst.
Die junge Klientin, die bald vor dem Rich­ter stehen wird, spricht sehr leise und die Tür steht offen. Im Vorraum brummt das Fotokopiergerät. Am Tisch zwei Anwälte, einer, der sie verteidigt, ein zweiter, der demnächst einen Termin wahrnimmt.

Die Tür steht deshalb offen, weil die Tochter der Frau, fünf Jahre alt, im War­te­raum mit Holzspielzeug beschäftigt ist.

Ich kann die junge Frau fast nicht verstehen. Ich schaffe es trotzdem irgendwie, mich in Windeseile auf ihre Art des Sprechens einzuhören und sogar si­mul­tan zu dolmetschen. Das menschliche Gehör ist überraschend anpassungsfähig. Ich "ver­tone" die Klientin mit deutlich festerer Stimme, als sie selbst spricht. Der "Rück­ka­nal" ins Französische erfolgt in einfachen Worten. Ich beobachte sie, ob sie mich versteht. Sie reagiert passend, ja, das läuft. Und bei allem bemühe ich mich um eine bewusst emotionsfreie Stimme.

Der Sozius des vertretenden Anwalts, jener, der den Termin wahrnehmen wird, strahlt mich an dabei. Es ist schön, dass wir hier so eine professionelle Arbeit machen, der beratende Anwalt und ich. Das Strahlen des Sozius wird immer hef­ti­ger. Sollte das ein Flirt sein? Leicht irritierend ist das schon ... dabei spre­chen wir von der Liebe einer Mutter zu ihrem in der Heimat zu­rück­ge­las­se­nen Kind und der Taktik, wie sie das Töchterchen, das einige Jahre bei der Tante aufgewachsen war und unter der Abwesenheit gelitten hatte, zu sich geholt hat.

Bei der Verabschiedung lange Blicke. Die Mutter, die eine Geldstrafe erwartet, räumt die Spielsachen weg, dann verlässt sie mit der Kleinen die Kanzlei. Ich fol­ge den beiden in kurzem Abstand. Die Maus hüpft neben ihrer Mutter her und bemüht sich, nicht auf die Ritzen der großen Granitplatten zu treten, die oft auf Berliner Gehwegen liegen. Ihre Zöpfe wippen dabei fröhlich.

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Foto: C.E.

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