Dienstag, 14. März 2017

Gesundheit!

Bonjour! Sie haben ein digitales Logbuch aus der Welt der Sprachen angesteuert. Hier schreibe ich über meinen Berufsalltag als Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache ... und über Sprache und gesellschaftliche Ver­än­de­run­gen.

Grand Place
Dieser Tage geht's ums Wie­der­an­kom­men, die Seele reist noch hinterher. Es stellt keinen wirklichen Mehrwert dar, sich beim Blick auf diese Plakatwerbung oder jener Durch­sa­ge in der U-Bahn zu fragen, ob ich dieses vorletzte Woche in Hamburg ge­se­hen habe oder ob mir jenes in Zu­sam­men­hang mit Fa­schings­de­ko­über­res­ten neu­lich in Köln auf­ge­fal­len ist.

Oder beim Blick auf Münchens bunt il­lu­mi­nier­ten U-Bahn-Wagen spontan zu denken: "Sieht ja aus wie der Marktplatz von Brüs­sel kurz vor Weihnachten!" War doch Brüs­sel? Oder Heidelberg, Paris, Basel, Han­no­ver?
Nee, schon richtig, war Brüssel.

Die "Türkantenbeleuchtung" der Münchener Untergrundbahn illuminiert den Zug seit Dezember jeweils passend zu seinem Halte- oder Wegfahrstatuts. Das hat der Marktplatz von Brüssel nicht, dort war es nur eine spontan wechselnde "Fest­be­zün­dung". Schick ist ja irgendwie beides, auch wenn in den dazu heller be­leuch­te­ten Wagen in Bayern jetzt die Augenringe besser auffallen, heißt es.

A propos Augenringe: Gezeichnet sind wir dieser Tage wohl alle vom Stress des Jahresanfangs. Und dann kommen diese zähen Viren ins Spiel. Um wenig Ein­falls­to­re für derlei zu bieten, bemühe ich mich seit Jahren um einen ent­spann­ten Le­bens­stil: So oft es geht gesunde Lebensmittel aus der Region, selbst genussvoll zu­be­rei­tet, positiven Stress bewusst erleben, ebenso bewusst für Ausgleich sorgen, Selbstbefragung ob das, was ich mache, sinnvoll ist oder nicht, bei entgangenen Jobs den Blick auf das Stattdessen richten.

Und dann schlägt es doch zu. Denn zwischendurch kann ich, vor allem in Zeiten ge­häuft auftretender Dienstreisen, ja nicht immer kontrollieren, ob das, was ich zu mir nehme, gesund ist. Dann sind die Tagesrhythmen im freien Wechsel, dann stecke ich schon mal länger in gefilterter Luft fest, die ich als feindlich erlebe.

Die Klimaanlagen habe ich immer wieder schnell vergessen, wenn ich zuhause an­kom­me. Einige Tage später: Meine Sprechstimme hat ihren eigenen Bas­so Con­ti­nuo, und statt hoher Orgelpfeifen tönt zwischendurch das reduzierte Volumen der Nebenhöhlen mit. Kopfkonzert, ich kann mit mir selbst im Chor singen. Die Phil­har­mo­nie­kar­ten verschenke ich.

Auch deshalb überlege ich gerade, das Wörtchen "Gesundheit!" als Reaktion auf öffentliches Niesen wieder einzuführen. Ich hatte es nie völlig abgelegt, nur an eindeutig "ruhigen" Orten, in der Ruhezone der Bahn zum Beispiel, beim Ho­tel­früh­stück inmitten lauter Morgenmuffel mich den neuen Manieren angepasst, die von einem wollen, dass man derlei schlicht ignoriert.

Ein Sprachguru, ich hab leider vergessen, wer es war, hat mal gesagt, dass das "Gesundheit"-Sagen von einst wie ein Schutzschild gewirkt habe, um die eigenen Abwehrkräfte zu mobilisieren. Sprache ist und bleibt ein Mysterium.

Und hier noch für alle, die sie nicht kennen, die Geschichte über den Indianer in Nordamerika und die Eisenbahn. Als er dieses riesige Strahlross zum ersten Mals in seinem Leben nutzt, setzt er sich am Zielort an den Schienenstrang und wartet. Einer der andere Passagiere fragt nach den Gründen. Der Indianer darauf: "Ich sitze hier und warte, dass meine Seele nachkommt." Vielleicht ist der Infekt nur eine Art Übersetzung dieser Wartezeit. Ich nehme das an. Im doppelten Wortsinn.

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Foto: C.E. (Brüssel)

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