Freitag, 23. September 2016

Klassenfeind

Was Über­set­zer und Dol­met­scher so im All­tag ma­chen, kön­nen Sie hier mit­le­sen. Ich arbeite am Filmset, im Kon­fe­renz­saal, in der Anatomie, im Rat­haus, an der Uni, im Theater und überall dort, wo Sie mich brauchen.

Gerüst, Bauarbeiter, Schild: "Klassenfeind Gallery"
Gesehen in Berlin-Mitte
Dies ist ein Blog aus der Ar­beits­welt. Während irgendwo im Osten Berlins Bauarbeiter schlichte Arbeiterwohnungen so teuer sanieren, dass ih­res­glei­chen nur noch davon träu­men kann, derlei jemals be­zie­hen zu kön­nen, scheint die Galerie im Erdgeschoss den richtigen Kommentar parat zu haben, der allerdings ir­gend­wie auch nach alten Zeiten klingt.

Ehrlicher wäre es sicher, die Niederlassung einer Immobilienfirma so zu benennen, der Frisör daneben hieße dann "Gehirnwäsche" und das Fachgeschäft für Haus- und Infor­ma­tions­stech­nik schräg gegenüber "Stasi", der Biolebensmittelladen am Ende der Straße "LPG" (lecker, preiswert, gesund). By the way, die Firma auf dem Abbild gibt es ge­nau­so, wie den Müsli- und Obstverkäufer mit dem einstigen Namen der "Land­wirt­schaft­li­chen Produktionsgenossenschaft".

Mal beobachten, wo in Berlin 27 Jahre nach Mauerfall der Trend hingeht mit den alten Parolen des Klassenkampfs und der DDR.

Ich stehe auf dem Bau, einem anderen als dem im Bild, dolmetsche, erläutere (im Auftrag) und vermittle. Zwei Reaktionen. Der Bauarbeiter, nachdem ich zwei Stun­den lang geredet habe und kom­pli­zier­te Dinge ausgeführt worden sind: "Und von wel­chem Gewerk sind Sie ei­gent­lich?", kurz darauf die Architektin: "Sind Sie Kol­le­gin?"

Ich nehme beides mal als Komplimente, auch wenn ich diese Sätze schon mal ge­hört habe. Ich scheine mich ein­zu­fü­gen in die Land­schaft. Mein Name ist Mi­mi­kry, ich weiß von nichts.

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Foto: C.E.

4 Kommentare:

Alexander hat gesagt…

Interessant: Bei der Klassenfeind-Galerie involviert ist auch Jochen Hummel, Mitbegründer von Trados (vgl. http://berlinaffordableart.com/story/).

caro_berlin hat gesagt…

Lieber Alexander,

das ist jetzt aber wirklich Zufall! Und: Die Welt ist klein.

Für die Leserinnen und Leser, die nicht vom Fach sind: Trados zählt meines Wissens zu den technischen Übersetzungshilfen, die mit "Memory System" arbeiten: Sie erinnern sich an bestimmte Vokabeln und bereits übersetzte Begriffe und sollen die Übersetzung erleichtern.

Drei Beobachtungen dazu: Das funktioniert im Grunde am besten (oder nur?) bei hochgradig standardisierten Texten. (Trifft auf 80 % der von mir übertragenen Texte nicht zu.)

Da hier wohl meist die wörtliche Übersetzung vorgeschlagen wird, würde ich mich eingeschränkt fühlen beim freien Finden der richtigen Übersetzung für die jeweilige Stelle. Gerade im Französischen kommt es oft auf den Kontext an.

Und außerdem, und das ist ein Problem unserer Branche, wollen viele Auftraggeber, vor allem die lieben Agenturen, für diese vorgefundenen Begriffe ("matches") nichts mehr bezahlen, selbst wenn sie zu lesen und auf ihre Stimmigkeit im jeweiligen Text hin zu prüfen sind.

Die Welt steckt voller Zufälle. Wir Sprachmenschen tragen zu beider Beschreibung bei.

Schönes WE,
herzlich
Caroline

Alexander hat gesagt…

Ja, das ist in der Tat eher was für technische/fachliche Texte. Ich habe auch nur ganz wenig mit TMs gearbeitet.

caro_berlin hat gesagt…

Beim Drehbuch, das ich gerade übersetze, könnte ich mir Polizeiobermeister, Polizeikommissar, KT, Kommissariat, Straße und Stockwerk, Haus, Kneipe etc. vorschlagen lassen.

Die Wörter kann ich gerade noch auswendig ;-)