Freitag, 9. September 2016

Mensch vs. Maschine (1)

Hello, bonjour, guten Tag! Hier hinterlässt eine Dolmetscherin ihre Rand­be­mer­kun­gen aus dem sprachbetonten Arbeitsalltag. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch, Französisch (beides sehr aktiv) und Englisch (nur Ausgangssprache).

Abwertung menschlicher Arbeit scheint ein Trend der Zeit zu sein, vor allem dann, wenn Technik im Spiel ist. Mit diesem Thema hat letzten Samstag auch das Wo­chen­ma­­ga­­zin DER SPIEGEL aufgemacht. Wir haben derzeit drei offene Anfragen für Dolmetscheinsätze von unterschiedlicher Dauer, wo immer Technik gefragt ist und wir das erleben.

Leider sind in allen drei Fällen die Finanzen stark begrenzt. Daher wird auch keine teure Kabine aufgebaut werden, wir sollen also in allen drei Fällen mit Flüs­ter­tech­nik arbeiten, mal zu zweit, mal für den kurzen Einsatz allein. Die Mobiltechnik ist in einem der drei Termine üb­ri­gens völlig normal, da das Seminar viel un­ter­wegs sein wird.

(Live Translator Are Needed - Equipement Does Not Do Automatic Translation of Language)
Flüstertechnik für Dolmetscher und Seminare: Nicht um den heißen Brei rumreden

In den anderen Fällen werden 200 und 150 Kopfhörer benötigt. Der Preis solcher Technik liegt nach einigen Preissteigerungen bei zwischen 600 und 1100 Euro. Den oft nicht sehr vermögenden Veranstaltern, hier sind es Vereine und Stiftungen, ver­bleibt am Ende nur noch wenig zur Vergütung der Spracharbeit.

Dabei steht mein Arbeitsfeld neu­er­dings unter dem Druck der Im­mo­bi­lien­bran­che. Seit dem Börsenkrach 2008 und dem Fluten der Märkte mit Geld, das Zocken geht weiter, fehlt nicht nur echtes Geld in der Wirtschaft, seitdem suchen die Gewinner des Börsenspiels sichere Geldanlagen und kaufen die Häuser in Berlin am liebsten stra­ßen­zug­wei­se. Einen unserer Technikanbieter hat es gerade erwischt, er musste nach 20 Jahren umziehen, andere Räume anmieten, seinen Be­stand deut­lich ver­klei­nern.

Andere Firmen sind ins Umland abgewandert und kalkulieren mehrstündige Fahrten zum und vom Arbeitsplatz ein. Die verbliebenen Unternehmen haben den Mietpreis für die Räume auf die Mietpreise für die Technik umgelegt.

Ergebnis: Früher stellte die Technik im Durchschnitt etwa 40 Prozent der Dol­met­scher- und Technikkosten dar. Dieser Anteil hat sich im Falle von nur einer Dol­met­sche­rin (fünf Minuten echtes Dolmetschen bei der Einleitung, Ablesen der Über­set­zung eines vor­be­rei­teten wis­sen­schaft­li­chen Fachvortrags, 30 Minuten echtes Dol­met­schen der Diskussion), al­ler­dings für 150 Teilnehmer, so verschoben, dass bei gedeckelten Posten am Ende die Technik bei 70 und die Spracharbeit bei 30 Pro­zent des Budgets liegen wird.

Da unsere Spracharbeit nicht nur aus Hinbringen, Aufbauen und Abholen besteht, sondern aus tagelangem Einlesen und Einhören in Thematik und Redner, bekomme ich von diesem akademischen Betrieb, einem Berliner "Leuchtturm", als Dol­met­sche­rin unter 20 Euro die Stunde angeboten, wenn ich alles mitrechne, es ist so ei­ni­ges an Literatur zur Kenntnis zu nehmen. Zu dem Preis ist kein Profi zu bekommen.

Dem Kunden habe ich das da geantwortet: "Leider ist unsere Berufsbezeichnung nicht geschützt, es gibt also einen sehr breiten Markt, um es vor­sich­tig aus­zu­drücken. Vor allem die Fach­kräfte, jene, die in der Bundesliga spielen, nehmen es mit der Vor­be­rei­tung sehr, sehr ernst, weil sie auch einen Ruf zu verlieren haben. Wer also nicht nach Vor­be­rei­tungs­ma­te­rial fragt und keine Zeit dafür ein­kal­ku­liert, der oder die ..."

Je näher die Arbeit am Menschen dran sei, resumierte DER SPIEGEL diese Woche das Mensch-versus-Maschine-Di­lem­ma, desto unwahrscheinlicher sei der Wegfall des Berufs durch die Technik. Für Sprache gilt das besonders. Den Wetterbericht kann ein Programm aus vorher eingegebenen Bausteinen bauen, ein an­de­res fertigt davon eine Übersetzung an. Sobald al­ler­dings Men­schen und Hin­­ter­­grund­­wis­­sen ins Spiel kommen (Börsenkurse, Fußballergebnisse), wird es schon schwieriger für je­ne, die echte Erkenntnisse in den Texten erwarten.

Individuelle Sichtweisen und der mit Bedacht gewählte Ausdruck, in anderen Wor­ten: Wissenschaft, Li­te­ra­tur, politische und gesellschaftliche Meinungen, soziale Beobachtungen und dergleichen wird auch in weiterer Zukunft kein digitales Gerät imstande sein zu produzieren oder zu übertragen. Spannende Hin­ter­grund­re­por­ta­gen wie von der "Seite drei" der Süd­deut­schen Zeitung bleiben im Original und der Übersetzung Menschenwerk. (Bei gesprochener Sprache potenzieren sich aufgrund von Akzenten, individuellen Sprech­wei­sen, un­voll­stän­di­gen Sätzen, of­fen­sicht­li­chen Fehlern usw. die Probleme für Technik.)

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Illustration: Netzfund (sollte Ihnen der Gag ent-
gangen sein, lesen Sie, was in der Klammer steht).

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