Hallo und guten Tag auf den Seiten des ersten Blogs Deutschlands
aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Wenn ich nicht in Paris,
Berlin oder sonstwo meine Stimme verleihe, sitze ich am
Übersetzerschreibtisch. Gestern war ein typischer Bürotag. Protokoll.
Die letzte Woche habe ich im Kino gewohnt, sozusagen, denn es gab eine dichte Reihe von Vorabpremieren. Zwischendurch musste ich noch eilig zu Kunden, so dass ich nicht auf den Wochenmarkt vor dem Haus gehen konnte. Das ist als Vorrede wichtig. Es gibt Tage, da kommt das Privatleben zu kurz. Hier mein Protokoll vom Donnerstag.
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Internetradio |
0.30 Uhr, Rückkehr vom Kino, rasch ins Bett.
6.30 Uhr, der Schornsteinfeger ruft an und möchte einen Termin noch vor Jahresende haben. (Kann auch sein, dass es gestern war. Ich muss ihn noch zurückrufen, Therme reinigen lassen.)
8.20 Uhr, die Küche hat Tee, Obst und einen Rest Müsli zu bieten. Ich frühstücke leicht.
9.00 bis 14.00 Uhr, Drehbuchlektorat. Zwischendurch muss ich mein Hirn lockern und hänge kurz in der Kaffeeküche bei den
Textinen (
www.texttreff.de) und auf
Facebook ab. So gehen Pausen mit Kollegenschnack unter Freiberuflern heute, die im
Home Office arbeiten.
14.00 bis 15.00 Uhr, Mittagessen (
pakistanisch), dann Verdauungsspaziergang, beim Gehen höre ich eine politische Radiosendung von
France Culture.
15.15 bis 15.45 Uhr, Mittags
schlaf (großer Luxus).
15.45 bis 16.15 Uhr,
Blogeintrag verfassen und hochladen.
16.15 bis 16.45 Uhr, Kostenvoranschlag für Januar schreiben (kompliziertes Kongressprogramm).
16.45 bis 18.00 Uhr, Englischstunde.
18.00 bis 18.30 Uhr, Kontakt mit einer deutschen Autorin, die in Lateinamerika lebt und für die ich auf Französisch Texte zu einem Wirtschaftsthema lese. Klären der Fragestellung, lesen eines Kapitels, Anmerkungen notieren.
18.30 bis 19.20 Uhr, der Schneideraum ruft an (und ich dachte noch, ich dürfte hin), es geht um den Feinschliff eines Films, bei dem ich inhaltlich und sprachlich beteiligt war.
Wir gehen meine Anmerkungen Punkt für Punkt durch, schneiden zwei Sätze wieder rein, die der
Regisseur rausgenommen hatte, die aber zu leise mitschwingen und die daher gefehlt haben: Die Grammatik und die Logik gesprochener Sprache haben das notwenig gemacht.
An einer Stelle sagt die Interviewte, es handelt sich um die Krimiautorin
Dominique Manotti, ein "donc", was als Wörtchen eine Zusammenfassung einleitet, an dieser Stelle aber nicht passt, weil sie kurz davor gar nicht so viel gesagt hat und sich das "donc" auf das Vorgespräch bezieht. Wir schneiden es raus. An einer anderen Stelle macht sie einen inhaltlichen Sprung, der für uns im Interviewkontext logisch war, denn wir hatten das Thema erst beim Mittagessen vertieft, aber nicht unbedingt für die Zuschauer. Wir schneiden eine winzige Pause in die Antwort rein.
Der Sound über das Telefon ist nicht optimal. Ich protokolliere die Schnittänderungen, ergänze die Übersetzungen, sende die neue Fassung an Regie und Produktion.
19.30 bis 20.10 Uhr, Paraguay meldet sich via Skype, die Autorin mit dem Wirtschaftsthema. Ich referiere eine Akte, wir brainstormen weiter. Am Ende habe ich eine Liste mit Kontakten und Zitaten für sie. Und lese die Akte morgen früh frischen Kopfes nochmal und fasse für sie zusammen.
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Aus der Studienzeit |
20.15 Uhr, ich eile in die Küche. Dort herrscht gähnende Leere. Nudeln sind noch da. Das Pestogläschen aus dem 2014-er Weihnachts-Carepaket eines Kunden bekomme ich ohne starken Mann nicht auf. Also gibt es "Studentenfutter" der anderen Art, Nudeln
à la bonne franquette.
Das bedeutet, was der Kühlschrank so hergibt: Parmesanknust, eingelegte und zuvor sonnengetrocknete Tomaten, schwarze Oliven und Olivenöl, dazu ein Gläschen Rotwein. Resteessen. Beim Kochen mache ich
France Culture an und bin kurz erschrocken: Diese Sätze von Dominique Manotti hab ich ja gar nicht übersetzt! Muss ich das noch nachholen für den Film? Erst langsam sickert in mein Bewusstsein durch, dass ich ein Hörfunkinterview höre.
Um wieder ins Kino zu rennen, ist es jetzt zu spät (und ich will keinen Stress), auch wenn die Vorführung im
Centre Français de Wedding erst nach neun Uhr anfängt. Wenn ich dort aufgeschlagen wäre, hätte ich wohl Jean-Pierre Bekolo im Gespräch über seinen Film
Les saignantes dolmetschen dürfen, einen Science-Fiction-Politthriller.
AfricAvenir, einer meiner Lieblingsvereine, zeigt regelmäßig Kinofilme aus Afrika, zum Glück bin ich da nicht die einzige zumeist ehrenamtliche Dolmetscherin. Stattdessen höre ich ...
21.05 bis 22.00 Uhr Jazzfacts auf Deutschlandfunk,
Benjamin Schaefer, Album
Quiet Fire (Link zu einer Hörprobe). In der Radiosendung laufen Stücke, die Motive aus
Gaspard de la nuit (Ravel) aufgreifen. Dazu lese ich Kästner über Berlin. Vor dem Schlafengehen um elf habe ich noch eine weitere halbe Stunde Privatleben.
Eigentlich war das ein halbwegs normaler Achtstundentag. Aber Spracharbeit strengt den Kopf stärker an, und rasche Themenwechsel sind auch nicht ohne. Normalerweise arbeite ich um die sechs Stunden an Neuem, zwei Stunden an Wiederholungen, wozu auch Sprachunterricht und das (erneute) Hören von arbeitsrelevanten Hörfunksendungen zählt. Was gefehlt hat: Zeitung lesen, Wortfeldarbeit, Sport, Socializing. Das kommt Freitag dran.
Vokabelnotiz
dîner à la bonne franquette — ein schlichtes Mahl einnehmen
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Illustration: C.E.
Photo: Guillaume Weil