Donnerstag, 9. Januar 2014

Stadtplanung und Europapolitik

Bonjour, hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin. Heute: Blick auf den Schreibtisch.

Am Sprachberuf liebe ich die Tatsache, dass wir uns ständig weiterbilden. Dieser Tage lese ich viel zum Thema Urbanismus. Dieser Begriff erhält derzeit eine neue Bedeutungsebene, denn innerstädtische grüne Flächen wie Felder, Brachen und Gärten, die künftig auch zur Ernährung der Menschen und Tiere beitragen könnten, werden immer öfter als urbanes Moment empfunden.

Konkret geht es um Klimafragen in Groß­städten. Ich bin irritiert, wenn ich in dem Zusammenhang über die Pläne einer Ber­li­ner GmbH lesen muss, die im Auftrag des Berliner Senats über 1/3 des Tem­pel­hofer Felds vermarkten (= bebauen) soll. Hier star­teten und landeten bis 2008 innerhalb des S-Bahn-Rings Flugzeuge.

Bislang war mein Kenntnisstand der, dass wir diese Freifläche als Lunge Berlins drin­gend brauchen, konkret: für die Frisch­luftzufuhr. Vor vielen Jahren schien das die Standardmeinung der Wissenschaft zu sein, die auch häufig publiziert wurde. Hier ein ntv-Bericht von 2009.

Der Sender ntv zitiert Manuela Damianakis, damals Sprecherin der Se­natsv­erw­al­tung für Stadt­ent­wicklung, über das Kaltluftentstehungsgebiet Flughafenfeld: "Seine Kühlschrank-Funktion muss erhalten werden".

Heute scheinen das viele vergessen zu haben. Im Zusammenhang mit der Tem­pel­ho­fer Fläche beklagt Historikerin Marion Detjen den Ausverkauf des öffentlichen Raums im FAZ-Blog, auch das ein wich­tiger Ge­dan­ke: Berlin lebt von seinem Ruf als Ort mit Freiräumen und Spiel­flä­chen. Das Image zieht auch die Touristen an, immerhin Berlins wichtigster "Industrie"zweig.

Ich erlebe Berlin als eine Stadt, die im Vergleich mit Paris deutlich weniger ze­men­tiert ist (das gilt so­wohl für die Architektur als für Entscheidungswege bzw. Durch­läs­sig­keit der Eliten). Und was die Tempelhofer Randbebauung an S-Bahn-Li­nie und Au­to­bahn an­geht, so fällt mir immer nur der Stoßseufzer ein, der mir re­gel­mä­ßig angesichts diverser Trumms ent­fleucht, mit denen die Bauindustrie in diesen Jahr­zehnten gemäß der Formel Geschossflächenoptimierung multipliziert mit Ge­winn­ma­xi­mie­rung geteilt durch Min­dest­stan­dards der Bauverordnungen die Stadt­land­schaft zu­stellt: "Und wo bitte bauen wir, wenn wir wieder Geschmack haben?"

Oft wird in der Rückschau Zeit zum Nachdenken als großer Glücksfall empfunden. Die oft vom bür­ger­lichen Lager gescholtenen Hausbesetzer Kreuzbergs bei­spiels­wei­se haben im 20. Jahrhundert den großflächigen Abriss alter Wohnquartiere und die Ausrichtung ihrer Standflächen auf den massenhaften Autoverkehr verhindert. Ich bin froh, dass in meiner Nach­bar­schaft keine sechsspurige Au­to­renn­piste ent­langführt und wir nur wenige Problem­stand­orte wie den Hochhausblock vom 'Neu­en Kreuzberger Zentrum' haben. Zur Würdigung der Besetzer der Hinweis auf eine Buch­ver­öf­fent­li­chung im Tagesspiegel, das Buch von Lothar Schmid: "Häu­ser­kampf im Berlin der 1980er Jahre" erschien im Berlin Story Verlag.

So, weiter mit den Städteplanern von heute, die mit ähnlichen Argumenten wie noch 2009 üblich aufwarten, es geht um Luft, Klima, Nachhaltigkeit. Ein nicht mehr ganz so neuer ur­ba­ner Trend heißt übrigens urban gardening bzw. urban far­ming, auch dazu bin ich als Sprachmittlerin regelmäßig aktiv, hier dazu ein Web­sei­teneintrag der Stadt Berlin.

Mal sehen, ob sich die Lexiken kombinieren lassen. Und weg vom Lesen und Lernen hin zur Recherche: Europapolitik-Lexik, allgemeine Trends, FR/DE/EN, hat da je­mand was in der Schublade zum Abgleich/Wei­ter­führen?

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Foto: C.E. (Archiv)

7 Kommentare:

Welter hat gesagt…

Hallo Frau Elias,

meinen Sie nicht, dass mit mehr Straßenbäumen die Luftsituation zu verbessern wäre? Und das Flugfeld ist doch ein wunderbarer Bauplatz für Wohnraum, den Berlin so dringend braucht?

Gruß,

H. Welter

Anonym hat gesagt…

In Berlin gibt es 7000 Grünflächen, der Park ist überflüssig.

Anonym hat gesagt…

Das sind doch echt Reichenprobleme, Besitzstandswahrung, hier so viel Bauland einfach als "Park" (oder vielmehr: Stadtbrache) links liegen zu lassen.

caro_berlin hat gesagt…

Nein, den Mietmarkt wird das wohl kaum grundlegend ändern. Suchen Sie doch im Netz Informationen über "Frischluftschneise", dann wissen Sie mehr, es geht um große, zusammenhängende, unverbaute Flächen.
Außerdem sind auch etliche Schrebergärten und Bienenvölker am Rand durch die Baupläne gefährdet, z.T. wohl schon vorauseilend gekündigt. Seit den 1950er Jahren hat sich die Zahl der Bienen mehr als halbiert, sie sterben oft an Düngemitteln der Agrarindustrie, städtische Grünflächen sind inzwischen ein bedeutender Rückzugsraum geworden.
Sagen Sie mir jetzt nicht, Bienen seien unwichtig. Die Biene gilt als eines der wichtigsten Nutztiere Deutschlands, der Honig ist da nicht wichtig, die Bestäubung zählt!

Anonym hat gesagt…

Manitou sagt einfach: sehr engagiert und "bravoureusement" verteidigt

Th. hat gesagt…

Hier, mehr Infos zum Bienensterben:
Bee Colony Collapse: What's going on? Exposing The Truth

Th.

caro_berlin hat gesagt…

Einer Leserin verdanke ich folgenden Hinweis über die sich verändernde Landwirtschaft aus der FAZ. Schon allein der sich verknappenden Ressourcen wegen muss sich die "konventionelle" Ararindustrie immer mehr dem Öko-Landbau angleichen.

Dabei wird gegen Ende des Artikels auch der Fall des Gemeinguts erklärt. Gemeingut sind Dinge, die uns alle gehören, die sich schlecht als Rendite beziffern lassen, womit z.B. Wildbienen der Kultur oder den Kulturschaffenden ähneln, denn ihr Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt lässt sich, der harten Theorie zufolge, nur schwer rausrechnen.

So sei, dem Artikel zufolge, ein Drittel der Erträge des ganzen Globus negativ davon betroffen, wenn es keine tierischen Bestäuber mehr geben würde. [Wie? Nur so wenig? Leider gibt es hier keine Quellenangabe.]

Aber das Nachstehende unterschreibe ich zu 100 %: "So ist es wichtig, dass ihnen Lebensraum bleibt. Weil sie, ökonomisch formuliert, ein öffentliches Gut sind, besteht das Problem, dass sie allen Landwirten nützen, aber niemand ihnen den Lebensraum schafft."

Smart Farming mit Wildbiene von Jan Grossarth