Dienstag, 28. Januar 2014

Aufgebot

Notizen aus dem All­tag ei­ner Kon­fe­renz­dol­met­scherin veröffentliche ich hier re­gel­mä­ßig. Als Fran­zö­sisch­dol­met­scherin und -übersetzerin werde ich fast überall tätig, von der Wiege bis zur Bahre gewissermaßen. Zwischendurch ist auch schon mal eine Hochzeitsvorbereitung dabei.

Das Neuköllner Rathaus scheint besonders erfolgreich zu sein, die hier ge­schlos­sen­en Ehen überaus haltbar: Im Warteraum für die Anmeldung zur Eheschließung steht eine große Vitrine voller Pokale und Medaillen. Sie sprechen Bände davon, dass wir uns an einem Ort exzellenter Arbeit befinden. Wir fühlen uns gleich in besten Händen. Wir, das sind die deutsche Braut, der kanadische Bräutigam und ich, die Dolmetscherin.

An den Wänden hängen "Brautstraußreportagen" verschiedener Fotografen, Ma­ga­zi­ne von Hochzeitsmessen liegen zum Blättern bereit und der größte Berliner Stadt­teil Neukölln preist die bezirkseigene Britzer Mühle als Austragungsort einer mög­li­chen "Vermehlung" an.

Im Zimmer der Standesbeamtin geht es deutlich profaner zu, aber ein gewisser Zau­ber entsteht durchaus über den vielen Formularen, die die Dame vor uns aus­füllt und immer vor dem Unterschreibenlassen feierlich verliest. Mir fällt auf, dass das Wort "Aufgebot" abgeschafft wurde, ich frage nach. Das heiße jetzt "Ehe­schlie­ßung anmelden". (Meine letzten Verdolmetschungen in diesem Vorgang betrafen vor allem den eigentlichen Ringetausch, beim Anmeldungstermin waren Kollegen aktiv.) Auch, so setzt die Dame von der Verwaltung fort, werde nichts mehr drau­ßen an der Pforte des Rathauses ausgehängt.

Geblieben ist das "Ehefähigkeitszeugnis", ein besonders deutsches Dokument. Es ist offenbar weit aussagekräftiger als der Ledigennachweis aus der Heimat des Ver­lob­ten, weshalb eine Richterin im Kam­mer­ge­richt die Unterlagen begutachten und den Herrn extra von der Beibringung eines solches Dokuments befreien muss, Be­grün­dung: "Das geforderte Dokument gibt es in meiner Heimat nicht."

Der Fall scheint häufiger vorzukommen. In anderer Herren Länder mangele es sehr häufig an diesem Zertifikat, so die Amtsdame. Warum ausgerechnet die Deutschen besonders befähigt scheinen, die Fähigkeit zur Eheschließung ausländischer Neu­bür­ger zu prüfen, will mir nicht einleuchten.

Der junge Mann versichert also an Eides statt (§ 56 StGB), dass er mit der hier an­we­sen­den jungen Dame nicht verwandt ist (bzw. von keinem etwaigen Ver­wand­schafts­ver­hält­nis weiß) und dass er weder nach gesetzlichen noch nach religiösen oder gar nach traditionellen Regeln bereits eine Ehe eingegangen ist (oder eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft begründet hat).

Die Formeln werden länger mit den sich verändernden Lebensweisen.

Andere Punkte regeln offenbar zwischenstaatliche Abkommen. So gilt zum Beispiel das "Do­mi­zil­prin­zip", weshalb es sich mit dem Namensrecht so ver­hält: Hier sind erstens die Ge­setze der Länder der künftigen Eheleute gleich­be­rech­tigt gültig, da aber zweitens näm­li­ches Prinzip greift, dominiert das jenes Lan­des, in dem sich das Paar im Moment der Eheschließung aufhält. Aha.

Dieser Passus lässt sich kinderleicht verdolmetschen, er besteht aus vielen schönen über­sicht­lich konstruierten Fach­ter­mini, die sich brav aneinanderreihen und mit­ein­an­der verknüpfen lassen. Wo­hin­ge­gen ich wenig später nicht mehr weiß, was das Wort "Rückverweisung" bedeutet, das ich mir auf meinem Schmierzettel no­tiert habe. Ich habe mir auch nicht gemerkt, auf welche juristische Realität sich das bezieht. Die Standesbeamtin erklärte den Begriff, ich dolmetschte.

Dann kommt der Satz, weswegen die Behörden unsereiner unter Eid nehmen bzw. vielerorts gerichtlich beeidigte Dolmetscher vorziehen: "Wir wissen, dass un­voll­stän­di­ge oder falsche Angaben rechtlich geahndet werden können" — was, wenn es ganz schlimm kommt, zur "Aufhebung der Ehe" führen kann.

Dann erhalten die beiden nebst vielen Merkblättern noch einen Zettel zur Mu­sik­aus­wahl für die Hochzeitszeremonie in die Hände gedrückt. Zur Wahl stehen unter anderem Stücke von den "Toten Hosen", aber auch der Titel "somethin' stupid" von Robbie Williams.

Als wir nach getaner Anmeldung die Pokale noch für den Blogeintrag fotografieren wollten, war der Warteraum leider verschlossen. Dann liefern wir beim nächsten Mal dieses wunderbare Bild nach.


Vokabelnotiz:
begründen — etwas entstehen lassen, die Grundlagen für etwas aufbauen — fonder, établir, édifier
begründen — etwas mit Argumenten untermauern — justifier, expliquer
célibataire — ledig. Das deutsche Wort ist einfacher, das Französische mir sprach­lich zu nah am "Zölibat" dran und damit sicher in der großen Mehrzahl der Fälle eine glatte Lüge, weshalb es mir einst schwerfiel, die unabhängig von­ein­an­der ge­lern­ten Begriffe zusammenzubringen.
______________________________
Foto: kommt noch

Keine Kommentare: