Notizen aus dem Alltag einer Konferenzdolmetscherin veröffentliche ich hier regelmäßig. Als Französischdolmetscherin und -übersetzerin werde ich fast überall tätig, von der Wiege bis zur Bahre gewissermaßen. Zwischendurch ist auch schon mal eine Hochzeitsvorbereitung dabei.
Das Neuköllner Rathaus scheint besonders erfolgreich zu sein, die hier geschlossenen Ehen überaus haltbar: Im Warteraum für die Anmeldung zur Eheschließung steht eine große Vitrine voller Pokale und Medaillen. Sie sprechen Bände davon, dass wir uns an einem Ort exzellenter Arbeit befinden. Wir fühlen uns gleich in besten Händen. Wir, das sind die deutsche Braut, der kanadische Bräutigam und ich, die Dolmetscherin.
An den Wänden hängen "Brautstraußreportagen" verschiedener Fotografen, Magazine von Hochzeitsmessen liegen zum Blättern bereit und der größte Berliner Stadtteil Neukölln preist die bezirkseigene Britzer Mühle als Austragungsort einer möglichen "Vermehlung" an.
Im Zimmer der Standesbeamtin geht es deutlich profaner zu, aber ein gewisser Zauber entsteht durchaus über den vielen Formularen, die die Dame vor uns ausfüllt und immer vor dem Unterschreibenlassen feierlich verliest. Mir fällt auf, dass das Wort "Aufgebot" abgeschafft wurde, ich frage nach. Das heiße jetzt "Eheschließung anmelden". (Meine letzten Verdolmetschungen in diesem Vorgang betrafen vor allem den eigentlichen Ringetausch, beim Anmeldungstermin waren Kollegen aktiv.) Auch, so setzt die Dame von der Verwaltung fort, werde nichts mehr draußen an der Pforte des Rathauses ausgehängt.
Geblieben ist das "Ehefähigkeitszeugnis", ein besonders deutsches Dokument. Es ist offenbar weit aussagekräftiger als der Ledigennachweis aus der Heimat des Verlobten, weshalb eine Richterin im Kammergericht die Unterlagen begutachten und den Herrn extra von der Beibringung eines solches Dokuments befreien muss, Begründung: "Das geforderte Dokument gibt es in meiner Heimat nicht."
Der Fall scheint häufiger vorzukommen. In anderer Herren Länder mangele es sehr häufig an diesem Zertifikat, so die Amtsdame. Warum ausgerechnet die Deutschen besonders befähigt scheinen, die Fähigkeit zur Eheschließung ausländischer Neubürger zu prüfen, will mir nicht einleuchten.
Der junge Mann versichert also an Eides statt (§ 56 StGB), dass er mit der hier anwesenden jungen Dame nicht verwandt ist (bzw. von keinem etwaigen Verwandschaftsverhältnis weiß) und dass er weder nach gesetzlichen noch nach religiösen oder gar nach traditionellen Regeln bereits eine Ehe eingegangen ist (oder eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft begründet hat).
Die Formeln werden länger mit den sich verändernden Lebensweisen.
Andere Punkte regeln offenbar zwischenstaatliche Abkommen. So gilt zum Beispiel das "Domizilprinzip", weshalb es sich mit dem Namensrecht so verhält: Hier sind erstens die Gesetze der Länder der künftigen Eheleute gleichberechtigt gültig, da aber zweitens nämliches Prinzip greift, dominiert das jenes Landes, in dem sich das Paar im Moment der Eheschließung aufhält. Aha.
Dieser Passus lässt sich kinderleicht verdolmetschen, er besteht aus vielen schönen übersichtlich konstruierten Fachtermini, die sich brav aneinanderreihen und miteinander verknüpfen lassen. Wohingegen ich wenig später nicht mehr weiß, was das Wort "Rückverweisung" bedeutet, das ich mir auf meinem Schmierzettel notiert habe. Ich habe mir auch nicht gemerkt, auf welche juristische Realität sich das bezieht. Die Standesbeamtin erklärte den Begriff, ich dolmetschte.
Dann kommt der Satz, weswegen die Behörden unsereiner unter Eid nehmen bzw. vielerorts gerichtlich beeidigte Dolmetscher vorziehen: "Wir wissen, dass unvollständige oder falsche Angaben rechtlich geahndet werden können" — was, wenn es ganz schlimm kommt, zur "Aufhebung der Ehe" führen kann.
Dann erhalten die beiden nebst vielen Merkblättern noch einen Zettel zur Musikauswahl für die Hochzeitszeremonie in die Hände gedrückt. Zur Wahl stehen unter anderem Stücke von den "Toten Hosen", aber auch der Titel "somethin' stupid" von Robbie Williams.
Als wir nach getaner Anmeldung die Pokale noch für den Blogeintrag fotografieren wollten, war der Warteraum leider verschlossen. Dann liefern wir beim nächsten Mal dieses wunderbare Bild nach.
Vokabelnotiz:
begründen — etwas entstehen lassen, die Grundlagen für etwas aufbauen — fonder, établir, édifier
begründen — etwas mit Argumenten untermauern — justifier, expliquer
célibataire — ledig. Das deutsche Wort ist einfacher, das Französische mir sprachlich zu nah am "Zölibat" dran und damit sicher in der großen Mehrzahl der Fälle eine glatte Lüge, weshalb es mir einst schwerfiel, die unabhängig voneinander gelernten Begriffe zusammenzubringen.
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Foto: kommt noch
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