Mittwoch, 15. Januar 2014

Ringefirma, die Zwote

Will­kom­men auf den Sei­ten ei­nes vir­­tu­­el­­len Ar­beits­­ta­­ge­buchs aus der Welt der Sprachen. Ich bin Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Hier denke ich über unsere Berufswelt nach und erzähle von besonderen Momenten.

"Torten, Baumkuchen, Gebäck" in Wort und Bild
Hochzeitsschmaus statt überteuertem Sprachmittler
Gestern machte ich mir Sor­gen um ein junges, bi­na­ti­o­na­les Paar, das demnächst hei­ra­ten möchte. Die Frage war die, ob das Standesamt dafür einen gerichtlich be­ei­dig­ten Dol­met­scher fordern darf, oder ob ich mich als nicht gerichtlich be­ei­digte Kon­fe­renz­dol­met­scher­in ad hoc ­beeidigen lassen kann. 
Seit Jahren taucht diese Fra­ge immer wieder auf.

Unter Kollegen und im Netz finden sich dazu die unterschiedlichsten In­for­ma­ti­o­nen. Mal hat ein Bruder als Laiendolmetscher fungiert, mal eine Sprachlehrerin, oder aber es war ein Dolmetscher, der 400, ja in einem Fall sogar 750 Euro für einen ganzen Tag berechnet hat — mit der auch verständlichen Erklärung, dass er sich für diesen Zeitraum ja kein zweites Mal buchen lassen könne. Wer weiß, viel­leicht hat sich dieses Paar weitab jeder Zivilisation das Jawort gegeben und das Honorar entschädigte vor allem für die mit An- und Abreise verbrachte Zeit.

Wie ist es nun in der Großstadt Berlin, in der es für die gängigen Sprachen viele Kol­le­gen und Kolleginnen gibt? Dürfen Ämter aufgrund einer anderen geografischen oder sozialen Situation mehr Forderungen stellen, die den Bürger unterm Strich mehr kosten? Nehmen wir die gebührenpflichtige Anmeldung eines Kraft­fahr­zeu­ges. Darf eine Behörde in der Pampa fordern, dass eine bestimmte, weit entfernte Autokennzeichenfirma das Schild herstellt, die sich zur Angewohnheit gemacht hat, die Metallteile persönlich und in weißen Glacéhandschuhen zu überbringen? Darf sie natürlich nicht.

Sorry für das abseitige Bild, mir fiel kein schrägeres ein. Was eine Behörde darf, regelt in Deutschland Gesetze, die genauso für Kleinhühnersdorf, Bonn oder Berlin gelten. Was hat es dann also mit diesen unterschiedlichen Forderungen der Stan­des­ämter auf sich? Liegt es vielleicht an einer fehlerhaften Übertragung? Do­ku­men­te und Urkunden müssen ja selbstverständlich von öffentlich bestellten und beeidigten Übersetzern gefertigt und gestempelt werden.

So, und nach dem Parlando sind wir unter uns, jetzt kommen die har­ten Fakten. Ich hörte mich also gestern um. Nein, die Worte waren keine rechts­ver­bind­li­che Auskunft, dir mir ein Anwalt aus meinem Umfeld nach kurzer Zeit zuraunte. Es war ungefähr das Folgende:
Personenstandsgesetz und Ausführungsverordnung sehen vor: Die Hin­zu­zie­hung eines allgemein beeidigten Dolmetschers oder es wird vor Ort die Richtigkeit der Dolmetschung an Eides statt versichert, das müsste ausreichen ... mehr darf Neukölln nicht verlangen ;-) Bun­des­recht bricht Landesrecht (wobei ich hier nicht einmal Landesrecht sehe, sondern lediglich eine (rechtsgrundlose) Anordnung der Verwaltung Neukölln.) Ohne gesetzliche Ermächtigung darf die Verwaltung nicht handeln ...
"Stolz wie Bolle" war ich, weil ich mit meiner Intuition und dem Rechts­bre­cher­sprüch­lein richtig lag. In einem Telefonat mit dem zuständigen Behördenchef war die Sache schnell klar. Ich darf mich vor Ort beeidigen lassen. Den Namen des Ge­setzes und des jeweiligen Abschnitts zu kennen, hat im Gespräch sicher geholfen. Auch habe ich ein wenig mit familienbedingter juristischer Vorbelastung an­ge­ge­ben, sorry for that, aber es geht ja hier schließlich um eine Familien(stands)­sache.

Damit alle zufrieden sind, bringe ich am Tag X einen Beweis für meine Dol­metsch­qua­li­fi­ka­tion bei. Und natürlich hat mein Gegenüber wiederholt versichert, dass es sich um eine "absolute Ausnahme" handeln solle. Wer wollte ihm dabei ernsthaft wi­der­spre­chen?

Der Grund, warum offenbar Standesämter in Orten oder Bezirken mit besonders hohem Aus­län­der­an­teil gerne die doppelte Kann-Bestimmung, die da in einem Ge­setz­es­kom­men­tar auftaucht, zur Grundlage ihrer Forderung nehmen — der Dol­met­scher "soll nach Möglichkeit öffentlich beeidigt und anerkannt sein" —, liegt schlicht in der Minimierung von Ärger begründet. Auch hier: mein größtes Ver­ständ­nis.

Der Neuköllner erste Standesbeamte erzählte mir, sein Amt habe letztes Jahr Men­schen aus 97 Nationen unter die Haube gebracht. Und als beurkundender Beamter müsse er sich sicher sein, dass die Kommunkation effizient verlaufen sei. Leider seien die Neuköllner Standesbeamten wiederholt in aufenthaltsrechtlichen Pro­ble­men vor den Kadi gezogen wor­den und hätten verloren ... mit der Be­grün­dung, dass kein gerichtlich beeidigter Dolmetscher hinzugezogen worden sei. Als Nicht-Juristin frage ich mich denn doch: Auf welcher gesetzlichen Grundlage konnte das passieren, wenn der Gesetzgeber gar keine gerichtlich beeidigten Dolmetscher für die Trauung fordert? Aber das ist jetzt wirklich nicht mehr mein Problem!

Woran erinnert mich diese Episode? An die Erkenntnis, dass fragen hilft.


Vokabelnotiz:
"stolz wie Bolle" sein ist ein Berliner Ausdruck für "besonders stolz sein"
der Kadi — der Richter
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Illustration: Kinowerbung der 1920-er Jahre,
von mir coloriert (Archiv).

2 Kommentare:

Herr Werner hat gesagt…

Vielen Dank, Frau Elias, für diese Recherche!
Gruß,
Werner

caro_berlin hat gesagt…

You're welcome!