Gestern machte ich mir Sorgen um ein junges, binationales Paar, das demnächst heiraten möchte. Die Frage war die, ob das Standesamt dafür einen gerichtlich beeidigten Dolmetscher fordern darf, oder ob ich mich als nicht gerichtlich beeidigte Konferenzdolmetscherin ad hoc beeidigen lassen kann.
Seit Jahren taucht diese Frage immer wieder auf.
Unter Kollegen und im Netz finden sich dazu die unterschiedlichsten Informationen. Mal hat ein Bruder als Laiendolmetscher fungiert, mal eine Sprachlehrerin, oder aber es war ein Dolmetscher, der 400, ja in einem Fall sogar 750 Euro für einen ganzen Tag berechnet hat — mit der auch verständlichen Erklärung, dass er sich für diesen Zeitraum ja kein zweites Mal buchen lassen könne. Wer weiß, vielleicht hat sich dieses Paar weitab jeder Zivilisation das Jawort gegeben und das Honorar entschädigte vor allem für die mit An- und Abreise verbrachte Zeit.
Wie ist es nun in der Großstadt Berlin, in der es für die gängigen Sprachen viele Kollegen und Kolleginnen gibt? Dürfen Ämter aufgrund einer anderen geografischen oder sozialen Situation mehr Forderungen stellen, die den Bürger unterm Strich mehr kosten? Nehmen wir die gebührenpflichtige Anmeldung eines Kraftfahrzeuges. Darf eine Behörde in der Pampa fordern, dass eine bestimmte, weit entfernte Autokennzeichenfirma das Schild herstellt, die sich zur Angewohnheit gemacht hat, die Metallteile persönlich und in weißen Glacéhandschuhen zu überbringen? Darf sie natürlich nicht.
Sorry für das abseitige Bild, mir fiel kein schrägeres ein. Was eine Behörde darf, regelt in Deutschland Gesetze, die genauso für Kleinhühnersdorf, Bonn oder Berlin gelten. Was hat es dann also mit diesen unterschiedlichen Forderungen der Standesämter auf sich? Liegt es vielleicht an einer fehlerhaften Übertragung? Dokumente und Urkunden müssen ja selbstverständlich von öffentlich bestellten und beeidigten Übersetzern gefertigt und gestempelt werden.
So, und nach dem Parlando sind wir unter uns, jetzt kommen die harten Fakten. Ich hörte mich also gestern um. Nein, die Worte waren keine rechtsverbindliche Auskunft, dir mir ein Anwalt aus meinem Umfeld nach kurzer Zeit zuraunte. Es war ungefähr das Folgende:
Personenstandsgesetz und Ausführungsverordnung sehen vor: Die Hinzuziehung eines allgemein beeidigten Dolmetschers oder es wird vor Ort die Richtigkeit der Dolmetschung an Eides statt versichert, das müsste ausreichen ... mehr darf Neukölln nicht verlangen ;-) Bundesrecht bricht Landesrecht (wobei ich hier nicht einmal Landesrecht sehe, sondern lediglich eine (rechtsgrundlose) Anordnung der Verwaltung Neukölln.) Ohne gesetzliche Ermächtigung darf die Verwaltung nicht handeln ..."Stolz wie Bolle" war ich, weil ich mit meiner Intuition und dem Rechtsbrechersprüchlein richtig lag. In einem Telefonat mit dem zuständigen Behördenchef war die Sache schnell klar. Ich darf mich vor Ort beeidigen lassen. Den Namen des Gesetzes und des jeweiligen Abschnitts zu kennen, hat im Gespräch sicher geholfen. Auch habe ich ein wenig mit familienbedingter juristischer Vorbelastung angegeben, sorry for that, aber es geht ja hier schließlich um eine Familien(stands)sache.
Damit alle zufrieden sind, bringe ich am Tag X einen Beweis für meine Dolmetschqualifikation bei. Und natürlich hat mein Gegenüber wiederholt versichert, dass es sich um eine "absolute Ausnahme" handeln solle. Wer wollte ihm dabei ernsthaft widersprechen?
Der Grund, warum offenbar Standesämter in Orten oder Bezirken mit besonders hohem Ausländeranteil gerne die doppelte Kann-Bestimmung, die da in einem Gesetzeskommentar auftaucht, zur Grundlage ihrer Forderung nehmen — der Dolmetscher "soll nach Möglichkeit öffentlich beeidigt und anerkannt sein" —, liegt schlicht in der Minimierung von Ärger begründet. Auch hier: mein größtes Verständnis.
Der Neuköllner erste Standesbeamte erzählte mir, sein Amt habe letztes Jahr Menschen aus 97 Nationen unter die Haube gebracht. Und als beurkundender Beamter müsse er sich sicher sein, dass die Kommunkation effizient verlaufen sei. Leider seien die Neuköllner Standesbeamten wiederholt in aufenthaltsrechtlichen Problemen vor den Kadi gezogen worden und hätten verloren ... mit der Begründung, dass kein gerichtlich beeidigter Dolmetscher hinzugezogen worden sei. Als Nicht-Juristin frage ich mich denn doch: Auf welcher gesetzlichen Grundlage konnte das passieren, wenn der Gesetzgeber gar keine gerichtlich beeidigten Dolmetscher für die Trauung fordert? Aber das ist jetzt wirklich nicht mehr mein Problem!
Woran erinnert mich diese Episode? An die Erkenntnis, dass fragen hilft.
Vokabelnotiz:
"stolz wie Bolle" sein ist ein Berliner Ausdruck für "besonders stolz sein"
der Kadi — der Richter
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Illustration: Kinowerbung der 1920-er Jahre,
von mir coloriert (Archiv).
2 Kommentare:
Vielen Dank, Frau Elias, für diese Recherche!
Gruß,
Werner
You're welcome!
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