Dienstag, 30. September 2008

Preisspannen

Als Dolmetscher und Übersetzer legen wir im Grunde ähnliche Preise zugrunde wie andere Freiberufler oder mancher Handwerker, nur, dass unser Werkzeug nicht so teuer kommt. Wenn ich von einem Stundenhonorar von 60 Euro für einen studierten, berufserfahrenen Menschen ausgehe, muss ich allerdings wissen, dass hinter Dolmetschen viel Arbeit steckt, das meiste in der Vorbereitung. Außerdem haben selbst wir, die wir unser "Mundwerk" verkaufen, Büro- und Akquisekosten und investieren in Material und Zeit für die Aufrechterhaltung unserer Kenntnisse und Fähigkeiten.

Beispiel: Ich schreibe einen Kostenvoranschlag für einen Filmverleih, für den ich Pressegespräche der Stars anlässlich der Premiere dolmetschen soll. Ich schaue nach, wer den Film gemacht hat, wer ihn geschrieben, inszeniert, gespielt hat etc. Dann stellt sich mir die Frage, ob ich Vorgängerfilme kenne (wenn nein, leihe ich mir später welche aus oder kaufe sie online in Frankreich); ich gehe, wenn ich den Film noch nicht in Frankreich gesehen habe, in die Pressevorführung - oder ich gehe selbst dann, wenn ich ihn bereits sah, zum Beispiel, wenn es sich um einen schwierig zu synchronisierenden Film handelt; ich prüfe, was ich an Infomaterial im Netz finde, lese die Texte schon mal an, und kann dann erst wirklich den Aufwand einschätzen. Zu den (sagen wir mal) "netto" drei bis vier Stunden Dolmetschen am Tag der Press Junkets genannten Gruppeninterviews muss ich diese Vorbereitungszeit hinzurechnen, außerdem die ca. anderthalb Stunden die ich brauche, um den aktuellen Film zu sehen. Hinzu kommen möglicherweise längere Wegstrecken und die Gestehungskosten für Filme, Technik zur Sichtung etc.

So komme ich mit vier Nettodolmetschstunden leicht auf einen ganzen, durchaus langen Arbeitstag, der, wenn der Regisseur/die Regisseurin viele mir bis dato unbekannte Filme gemacht hat, mit dem Faktor x zu multiplizieren ist. Und am Ende des Dolmetscheinsatzes in kleinen Gruppen bin ich oft genauso knülle wie nach einem Tag, in dem ich in der Kabine an der Verdolmetschung einer ganzen Konferenz mitgewirkt habe. Denn anders als in der Kabine, wo wir immer zu zweit sind, arbeite ich alleine und über weite Strecken konsekutiv. Pause hab ich dann, wenn ab und zu auch mal ein französischsprachiger Journalist "dran" ist.

"Was?", sagen Sie jetzt möglicherweise, "Filme schauen und dafür bezahlt werden?" Ja, aber es ist nicht zum Spaß: Ich mache mir Notizen, schlage Hintergründe nach, schreibe Redewendungen und Vokabeln auf, vergleiche Motive und Szenen mit bereits Gesehenem.

Am Ende hängt mein Honorar aber auch von der Qualität des Films ab. Ich erlaube mir, auch für kleine Filme, wenn deren Starts oder Premierenabende gering budgetiert sind, auch zu Preisen zu arbeiten, die von einer Flasche guten Weins (experimenteller Kurzfilmabend) bis zu 60, 70 % Preisnachlass gehen können. Dafür erwarte ich aber Ehrlichkeit - und Treue. Einmal macht's die Menge, zum Beispiel, wenn ich für kleine Festivals arbeite, ein andermal wächst die Firma oder werden die Filmemacher mit den Jahren noch besser und berühmter.

Das Gleiche gilt für Drehbücher und Korrespondenz, Projekte und Artikel, Bücher und Aufsätze. Dabei rechne ich am liebsten nach Zeichen ab, weniger nach Worten. Warum, wo doch unter Französisch-Übersetzern die Worte so sehr beliebt sind? 80 % meiner Übersetzungen gehen ins Deutsche, und das ist wortökonomischer. Sie glauben mir nicht? Nur ein Beispiel: kopfschütteln heißt auf Französisch "secouer la tête négativement" (4 Worte) oder "faire non de la tête" (5 Worte). Noch Fragen?

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Foto: Viele Faktoren bestimmen einen Kostenvoranschlag.
Das historische Foto befindet sich in Privatbesitz.

Montag, 29. September 2008

Mediendolmetschen (2)

Mediendolmetschen - das ist zum Beispiel, wenn der französische Star einer Fernsehshow in Deutschland auch auf Deutsch aus dem Lautsprecher zu hören ist, selbst, wenn es nicht seine eigene Stimme ist - oder wenn die Presse­kon­ferenzen über das nord­ame­ri­ka­ni­sche Politik- oder Bör­sen­ge­schehen zeit­gleich übersetzt werden. Auch die Verdolmetschung eines Interviews ist Medien­dol­metschen.
Heute war ich mit fran­zö­si­schen Fern­seh­kol­le­gen in einem Büro Unter den Linden Nr. 50 zum Interview eines Politikers. Die Ab­läufe beim Dol­met­schen von Inter­views ähneln sich von Mal zu Mal.

Dieses Mal sind sie dadurch bestimmt, dass ich im Erstberuf gelernte Journalistin bin.

1. Phase (ohne Foto): Vorbereitung. Der Dreh ist vereinbart, ich lese das Konzept des Films, dann das Konzept der ganzen Sendereihe und vorbereitete Fragen bzw. Notizen zum gewünschten Einsatz des zu drehenden Materials. Hinzu kommt Recherchematerial - und meine eigene Bibliothek. Thema sind die deutsch-französische Freundschaft und die Zusammenarbeit von Jacques Chirac, damals französischer Präsident, und Gerhard Schröder, damals deutscher Bundeskanzler.

2. Phase: Vorgespräch und Aufbau des Drehs. Wir gehen das Thema durch, ergänzen - und wir klären unsere jeweiligen Erfahrungen, Ansätze und Arbeitsweisen ab. Der Kameramann richtet währenddessen den Dreh ein und setzt das Licht.

3. Phase: Interview. Direkt neben der Kamera sitze ich und stelle die Fragen, die währenddessen leicht von Redakteurin und mir variiert werden. Wir haken nach. Ich versuche es mit emotionaleren Einstiegen, als der Interviewte auch auf die erste Nachfrage technisch geantwortet hat. Die Redakteurin versteht das meiste, was auf Deutsch gesagt wird, ab und zu dolmetsche ich stichwortartig zurück.

4. Phase: Musterdurchsicht mit simultaner Verdolmetschung. Auf ca. 40 Minuten Interview folgen 60 Minuten Übertragung des Interviews. Meine Stimme wird auf einem anderen Datenträger mitgeschnitten, hier: aufs Mobiltelefon. Wir brauchen mehr Zeit, weil wir die Antworten gleich einschätzen, schauen, was an für das Konzept Brauchbarem dabei ist - und weil ich mir den Luxus erlaube, bei drei von zwölf Fragen nochmal neu anzusetzen, weil ich es noch genauer fassen will. Es ist auch Unerwartetes, Überraschendes dabei, was uns freut.

5. Phase (ohne Foto): Der Schnitt und parallel dazu der Übersetzungscheck. In den nächsten Wochen werde ich die Dateien per Mail erhalten. Auf den Filmen ist ein Time Code (TC) eingeblendet, der jedem Einzelbild durch Zeitmarkierung und "Frame-Nummer" seine eigene, unverwechselbare Kennziffer zuteilt, so kann am Ende auf das Frame genau die Übersetzung abgenommen werden.


Ein kurzer Text über die Arbeit mit Nicht-Profis hier: Timing and trimming
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Un grand merci aux photographes ! Danke, liebe Fotografen!
Und noch ein Wort für Céline: die Einblendung — l'incrustation (f)

Sonntag, 28. September 2008

Verschiebungen

Ich weiß nicht, auf welchem Kanal Sie sind, ich finde Sie nicht!", sagt die Moderatorin und sucht nervös auf ihrem Empfangsgerät nach einer Stimme. "Die deutsche Übersetzung ist zwischendurch immer weg", konstatiert sie. Wir schauen betroffen drein, überprüfen das Dolmetscherpult, machen weiter.

Das Dolmetscherpult ist nicht das neuste und, um es vorsichtig zu sagen, es reagiert anders, als wir es kennen. Normalerweise leuchtet immer ein rotes Lämpchen je offenem Sprachkanal und ein weiteres rotes Lämpchen für den jeweiligen Dolmetscher, der im 'On' ist. Nur diese Anlage hier reagiert leider anders. Wir merken an den Reaktionen unserer französischen Gäste, dass sie Empfang haben, zweimal verschalten wir uns kurz, bis wir die Technik im Griff haben. Oder zu haben glauben - denn ins Deutsche gibt es weiterhin Probleme. Wir wissen nicht mehr von der Technik als die Diskutanten auf dem Podium und sind ebenso verunsichert wie die Moderatorin. Vincent und ich dolmetschen heute eine Diskussion zu einem aktuellen politischen Thema.

Wir arbeiten in drei Sprachen. Einer der Diskussionsteilnehmer kommt aus Lateinamerika, dieses Spanisch hätte eine längere Einhörphase nötig gemacht, so holt sich Vincent für die Französisch-Verdolmetschung den deutschen Ton von der benachbarten Dolmetscherkabine (die damit zum "Pivot" wird). Die Spanischkollegen hören immer lang zu, bevor sie übersetzen, ihr Abstand zum Ausgangsbeitrag aus dem Saal (in der Fachsprache "Décalage") ist recht groß. Wir sind meist näher dran an den Rednern, natürlich ist Vincent es hier nicht, so dass die französische Fassung mit einer zweiten Zeitverschiebung auf die Kopfhörer unserer Gäste gelangt.

Und während die Spanier und 'wir' noch dolmetschen, stellt die Moderatorin bereits die nächste Frage. Die Situation muss sich einmal wiederholen, bis wir merken, dass diese verfrühten Fragen der Moderation ein Impuls sein könnte zum Wechsel der Dolmetscher unserer jeweiligen Sprachenkombination, nur so könnten wir überhaupt die Situation meistern. Denn das Problem ist leicht erklärt: Derjenige, der noch auf "Pivot" geschaltet hat, also den Deutsch-Ton der Spanischkabine im Ohr hat, kann nicht gleichzeitig den "Floor" hören, den Veranstaltungsraum.

So entsteht, bis wir verstehen, dass der Moderatorin möglicherweise die Erfahrung internationaler Diskussionen fehlt, wiederholt ein Moment der Irritation: Sie hat ihre Frage gestellt, jene Diskutanten, die Deutsch verstehen, machen bereits Anstalten, zu antworten, die anderen warten noch auf die Frage - wir Dolmetscher auch. Und als der erste in einer Fremdsprache anfängt, zu sprechen, müssen wir länger zuhören als sonst, bis wir die Frage implizit verstanden haben und loslegen können, während die Moderatorin an ihrem Empfangsgerät rumnestelt, weil sie sich wundert, wo denn die Verdolmetschung bleibt. Und sie sagt: "Ich weiß nicht, auf welchem Kanal Sie sind, ich finde Sie nicht!"

Freitag, 26. September 2008

Zitat

Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.

Ludwig Wittgenstein (1889-1951)

Donnerstag, 25. September 2008

Programmtipp




D
er Dokumentarfilm "Die Flüsterer - Eine Reise in die Welt der Dolmetscher" von David Bernet und Christian Beetz wird auf Arte wiederholt, und zwar heute, am 26. September 2008 um 15:55 Uhr.

Mittwoch, 24. September 2008

Gegensatzpaare

Beim schriftlichen Übersetzen fallen mir immer wieder Gegensatzpaare auf. Das sind Worte, die in der einen Sprache zingend oder einfach nur reflexartig verwendet werden und wie das Gegenteil dessen klingen, was sie in der anderen Sprache bedeuten. Sie klingen oft nicht nur wie das Gegenteil, sie "kommen auch vom anderen Ende" einer möglichen breiten Betrachtungsweise dessen, was unser Leben ausmacht - und bezeichnen doch das Gleiche.

Als Dolmetscher und Übersetzer kennen wir die Begriffe im Schlaf, in der Stressituation fallen sie meist nicht mehr auf. In der Dolmetscherkabine müssen sie einfach "sitzen". Beim Texten von Untertiteln im Kino, was zunehmend ein Job mit Zeitdruck ist, ebenfalls.

Uns erinnert lediglich immer wieder das Publikum an sie, das vielleicht mit den idiomatischen Gebräuchen nicht ganz so vertraut ist und doch ein wenig die andere Sprache kennt. Solche Zuhöhrer reagieren berechtigterweise irritiert. Die Bemerkung: "Sie haben das Gegenteil von dem übersetzt, was ich gehört habe!", stimmt in diesem Kontext also doppelt. Da uns auf Kongressen oder Festivals nicht immer die Möglichkeit gegeben ist, dis Situation zu erklären, folgen hier einige Beispiele.

danger de mort - Lebensgefahr (traduit / übersetzt : danger de vie - Todesgefahr)

mit den Achseln zucken - hausser les épaules (broncher avec les aisselles - die Schultern heben)

Sans blague ! - im Ernst? (ohne Witz - t'es sérieux ! - meinst du das ernst gibt es auch auf Französisch)

Großkinder (im Süden für Enkel) - petits enfants (kleine Kinder - für Enkel ou grands enfants dans le sud)

un pied de laitue - ein Kopf Salat (im Französischen der Fuß - en allemand la tête)

deux fois moins long - halb so lang (zwei mal weniger lang - la moitié de la longueur)

Vom Wert der Arbeit

Haben wir immer noch Vollmond? Vorgestern kam mir in der Einbahnstraße ein Auto entgegen, gestern bekam ich beim Bäcker die völlig falsche Tüte in die Hand gedrückt (was ich erst zu Hause merkte) und vorhin sagte die Kassiererin: "neunhundertzehn Euro", wobei ganz offensichtlich 91,19 angezeigt wurden.

Irgendwas stimmt derzeit nicht. Nein, ich meine weder explodierende Banken noch Inflation, sondern das gefühlte Gegenteil. Nicht nur Berge können erodieren, auch Honorare und damit die Anerkennung von Arbeit. Aber während Bankgeld in Flammen aufgeht - wie muss ich mir brennende virtuelle Geldscheine vorstellen? - müsste der Wert der Arbeit doch eigentlich steigen, oder?

Paradoxerweise stand bei mir zunächst das Gegenteil auf dem Wochenplan: Honorarverfall drohte ab Montag. Jemand rief bei mir von einer ausländischen Rundfunkanstalt an, einer europäischen, und fragte nach dem Preis für die Verdolmetschung zweier Interviews. Noch ehe ich nach dem Thema fragen konnte, nannte der Fragende den Preis - hundert Dollar. Ich kenne und schätze Journalisten, die einen ausreden lassen und Geldfragen nicht als rhetorische verstehen - auf meine Nachfrage hin kam als Antwort: "Diese Summe haben wir letzte Woche in Rumänien bezahlt!" Naja, Berlin liegt bekanntlich in Osteuropa, wir wurden nicht handelseinig (das geschah erst Mittwoch, nachdem man sich zu Hause rückversichert hatte, dass unsere Preise normal sind).

Doch das war kein Montagsproblem, tags drauf ging's weiter: Ein Kongressveranstalter fragte nach vier Kollegen für einen Novembertermin, Kollegen haben Zeit, die aufgerufene Summe stimmte auch - kurz nach Abgabe des Angebots kam der Rückruf. Man wolle uns auf jeden Fall haben, aber zu zwei Dritteln des Honorars. Leider sei man zu nicht kalkulierten Sonderausgaben genötigt und ein Ministerium habe den Zuschuss gekürzt. Auch hier: Warteschleife. So geht's nicht.

Mittwoch: Zwei Dolmetscher sind für Messen angefragt. Der zweite Termin verschiebt sich im Laufe des Tages drei Mal (bzw. die anvisierten Messen), die Dolmetscher sollen in Berlin arbeiten und für je zwei Tage mitreisen. Da es um ein technisches Spezialthema geht, können wir nicht an den anderen Orten Kollegen suchen, weil Spezialisierung und vorherige Einarbeitung unabdingbar sind. Unsere ausgewählten Kollegen wurden bereits für nämliche Firma tätig, die Zufriedenheit war allseits groß. aber irgendwie hat die Marketingabteilung Zweifel, welche Messen es dieses Jahr und Anfang 2009 sein sollen.

Entweder haben wir Vollmond oder die Börse verunsichert alle oder aber ich habe es nur noch mit Praktikanten zu tun. Wir erstellen sehr gerne professionelle Kostenvoranschläge und finden noch lieber die passenden Kollegen. Aber irgendwann muss ich auf die Uhr sehen und feststellen: Über dem ganzen Suchen ist meine eigene Arbeit liegen geblieben, ich hab Fristen - und streiche erstmal meinen Feierabend.

Das hatte ich diese Woche leider zwei Mal. Mal sehen, wie der Donnerstag wird. Ich hoffe, anders, denn es gibt Wochen, da ist jeder Tag ein Montag mit Vollmond. Da heißt es standhaft bleiben und aktiv für Werte kämpfen. Der Wert echter Arbeit wird wieder steigen, wenn die Börsenkurse fallen. Das ist die gute Nachricht.
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Vollmond war diesen Monat am 15.

Dickes Gemüse

Die Franzosen haben ein nicht sehr nettes Wort für Berühmtheiten: "hohe Tiere" werden zu "dickem Gemüse", grosses légumes. Ein solches darf ich nächsten Montag dolmetschen und zugleich fürs TV interviewen, es handelt sich um ein ehemaliges Staatsoberhaupt.

Kati, die Praktikantin einer befreundeten Filmproduktionsfirma, fragte mich eben beim Kaffeetrinken, ob ich denn Lampenfieber hätte, oder zumindest Ehrfurcht vor derart berühmten Leuten. Ich gehe in mich - fürchte ich mich vor diesen ehrvollen Persönlichkeiten oder fürchte ich mich gar vor der Ehre, sie befragen zu dürfen?

Nichts dergleichen. Ich bin's geübt, seit frühesten Studentenzeiten. Denn in Paris, als ich nach einigen Jahren intensiven Lebens auf Französisch anfing, in meiner Muttersprache ungelenk rumzustottern, hatte ich mir einige Abende deutschsprachiger Aushäusigkeit im Monat verordnet und ging fortan in die beiden deutschen Kulturzentren, denn damals gab es noch zwei deutsche Staaten. Im Centre Culturel de la RDA am Boulevard Saint-Germain, wo die DDR-Niederlassung residierte, sah ich DEFA- und Ufa-Filme und las den Eulenspiegel; andere Filme, Zeitungen und vor allem Diskussionen erlebte ich im Goethe-Institut, Avenue d'Iéna. Und ich fing an, bei den Diskussionen Fragen zu stellen, im Grunde nur aus Mitleid mit der Einsamkeit des Moderators, der sich, als er das Publikum um Teilnahme bat, nicht selten vor einer Mauer eisigen Schweigens wiederfand.
Nach zwei, drei solcher Abende bat mich Brigitte Kaiser-Derenthal, die damalige Programmchefin des Goethe, dann nach der Veranstaltung mit dem kleinen Kreis ins letzte Stockwerk mitzukommen, wo wir im Büro des Direktors bei einem Glas Wein die Gespräche fortsetzten. Und frei nach Mark Twain - Schlagfertigkeit ist das, was einem 24 Stunden später einfällt - übte ich mich darin, dass mir meine Fragen nicht nur umgehend einfielen, sondern dass ich mich sie auch zu stellen traute.

Ich denke, das hat mich damals konditioniert, die "hohen Tiere" auf Normalmaß zu sehen. Und wenn ich kommenden Montag vor dem Staatenlenker stehe, wird auch das böse französische Wort vergessen sein. Ich befrage dann schlicht und ergreifend - einen Menschen.
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Foto vom Markt des Boulevard Raspail in Paris

Montag, 22. September 2008

Reenactment

Gestern Abend kam eine lustige Anfrage. Eine deutsche Filmproduktionsfirma, eine von den Großen, rief an und fragte, ob ich nicht eine bekannte Dolmetscherin spielen wolle, eine, die in einer bestimmten Epoche häufig Politiker mit ihrer Arbeit begleitet hat. Es ginge um kurze Filmausschnitte, nachgestellte Szenen, die nicht existentes historisches Filmmaterial ersetzen sollen, sogenanntes "reenactment". Und während die Regieassistentin noch den Begriff erklären will, oute ich mich als Fachfrau nicht nur für Sprachdienstleistungen. Und verrate, dass ich natürlich weiß, welche Person ich eventuell spielen soll, wir kennen in der Branche durchaus die Namen.

So habe ich jetzt Castingfotos an die Firma geschickt, mache mir ein paar Gedanken zu Honoraren und suche im Auftrag der Firma noch Kollegen. Wenn alles klappt, habe ich diesen Herbst zwei Drehtage, wenn's für mich nicht klappt, dann hätte ich allerdings "nur" als Castingfrau gearbeitet, was ja nicht mein Beruf ist ...
Maintenant, il faut toucher du bois, jetzt heißt es, auf Holz klopfen, croiser les doigt, Daumen drücken, et merde ! ... und toi, toi, toi.

Schön, dass Sie mit mir fühlen! Nein, ich werde mich jetzt nicht höflich anerkennend dazu äußern, das kleine d-word soll nämlich Unglück bringen! Sagen die Filmleute, die entweder häufig abergläubig sind oder nur so tun. Ebenso bringe es Unglück, Einzelheiten über noch nicht fest vereinbarte Rollen zu verraten. Daher gilt jetzt: bouche cousue, ich kann schweigen, als wäre ich stumm.
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Bei den Redewendungen zu Aberglauben und Glückwunsch gibt es zwischen Deutsch und Französisch kleine Verschiebungen:
il faut toucher du bois - wörtlich: 'man muss Holz anfassen'
il faut
croiser les doigt - wörtlich: 'man muss die Finger kreuzen'
- et merde ! - 'und Sch...'
Und bouche cousue ist ganz gemein als Bild: 'zugenähter Mund' ...

Silben zählen

Gelegentlich denke ich beim Übersetzen des Drehbuchs schon an die spätere Synchronisierung des Films. Und zwar immer dann, wenn es Stellen gibt, bei denen die Silbenanzahl, um dieses Thema mit der Frage nach der Länge der jeweiligen Repliken zu beginnen, in beiden Sprachen ähnlich kurz ist. Auslöser zu diesem Blogeintrag ist "toi non plus", was exakt genauso kurz ist wie "du auch nicht":

ELLE : Tu n'as pas changé. (5 Silben)
LUI : Toi non plus. (3 Silben)
Même sourire, mêmes cheveux. (6 Silben)

SIE: Du hast dich nicht verändert. (7 Silben)
ER: Du auch nicht. (3 Silben)
Gleiches Lächeln, gleiche Haare. (8 Silben)

... oder aber das Gegenteil fällt mir auf. Die Worte "nicken" und "Kopf schütteln" sind auf Französisch immer wieder herrlich kompliziert, denn es gibt die Vokabeln auf Französisch schlicht und ergreifend nicht, weshalb sie raumgreifend umschrieben werden müssen. Zum Glück handelt es sich hier um szenische Beschreibungen, nicht um Dialoge:

De la tête, Simone fait signe que oui  oder
Simone hoche la tête — Simone nickt.
Elle secoue la tête négativement oder
Elle fait non de la tête — Sie schüttelt den Kopf.

Zum Kopfschütteln, oder?

Sonntag, 21. September 2008

Rap den Shakespeare

Arte kürt den Superdramatiker - Ohne es als Satire zu verstehen, brachte Arte gestern eine Show, bei der Europas wichtigster Dramatiker inthronisiert worden ist: Shakespeare. Als Filmdolmetscherin war ich gestern bei der Livesendung im Berliner Metropoltheater am Nollendorfplatz dabei - und lauschte, was die Mediendolmetscher zum Besten gaben.

Als das Event vorbei ist, haste ich in Richtung Dolmetscherkabinen, die im Nebenraum stehen, aber hier sind bereits alle durch die Tür. Fast alle, Elisabeth Krone, eine langjährige Bekannte, die das Arte-Dolmetscherteam anführt, erwische ich noch kurz. Zu elft waren sie, lauter sehr präsente Stimmen, und hatten bis kurz vor der Livesendung noch ein Problem mit der nicht-synchronen Übertragung des Bühnengeschehens, das sie auf Monitoren verfolgt haben. Das hatten die Techniker aber in den Griff bekommen, ebenso kleine Tonprobleme vor Beginn der Sendung - dazu ist Vorlauf ja auch da.

Was mir auffiel, im Vergleich zum Dolmetschen im Kino: Hier hat (fast) jede Person ihre eigene Stimme, und die ist auch noch ans Geschlecht gebunden, also sprechen Männer grundsätzlich Männer und Frauen grundsätzlich Frauen. Mediendolmetscher sind meist ähnlich fix wie "wir vom Kino", was die Verschiebung zwischen den Worten der Moderatoren und Gäste und denen des Dolmetschers angeht. Was man fachsprachlich als "décalage" bezeichnet, ergibt sich automatisch, denn zunächst muss ich ja verstehen, was ich dann in einer anderen Sprache wiedergebe. Dennoch gibt es hier große Unterschiede zu den typischen Konferenzdolmetschern: Kollegen, die viel für Film und Medien arbeiten, sind schneller, vermeiden größere akustische "Sendelöcher", sind also immer zeitlich sehr nah an ihren 'Dolmetschklienten' dran. Während bei "uns vom Film" ja ein Manuskript auf dem Tisch liegt, während der Film läuft, haben "die vom Fernsehen" ihre Intuition geschärft, sie erfassen schneller, reagieren schneller und beginnen ihre Worte auch mal mit neutraleren Redewendungen, die dann erst im Zuge der weiteren Verdolmetschung ihre Richtung bekommen.

Denn davor, "ein Sendeloch zu fahren" haben in den Redaktionen alle (offen oder insgeheim) Angst, selbst, wenn es nur auf der Tonebene entsteht. Jeder Kinomensch widerspricht an dieser Stelle, denn Pausen und Warten erhöhen die Spannung - und die mehrsprachige Situation einer TV-Show wird ja vom Zuschauer als solche "erfahren", gehört zum Grundsetting. So das, was auf Französisch "meubler le silence" heißt, wörtlich: 'die Stille einrichten', der verbale Pausenfüller also, eine Spezialität der Mediendolmetscher ist.
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Foto: Nach der Sendung die Party. Und wenn eine Dolmetscherin fotografiert, dann bittschön simultan! Der Blitz stammt von der Kamera des Fotografen Nordi Hochstein, abgebildet sind der Rapper Torch und ??? (wird nachgetragen).

Samstag, 20. September 2008

Idiomatisches und Sprachalltag

Beim Übersetzen von Drehbüchern sind besonders gute Kenntnisse der Muttersprache gefragt. Und mehr noch: Ich muss etwas schreiben, das oft zur gesprochenen Sprache zählt, Begriffe also, die ich durch die schreibende Bewegung meiner Hände kaum verfestigt habe. Außerdem suche ich stets Worte, die typisch deutsch sind, damit es nicht auch nur ahnungshalber nach Übersetzung klingt. So fallen mir selten gebrauchte Vokabeln wie "Klavierstunde" für den 'Klavierunterricht' wieder ein. Wenn ich wie eben samstags aus dem Laden komme, werden "die Einkäufe verstaut" (und nicht 'die Lebensmittel weggepackt'). Diese, einer Sprache ureigensten Begriffe und Redewendungen und Ausdrücke, heißen 'idoimatisch', sie gehören fest zu der jeweiligen Sprache, dem Idiom.

Für mich ist die Suche nach diesen auch nur selten zu lesenden Sprachschätzen immer amüsant und abenteuerlich. Worte sind Zugtickets in alte Gefühlswelten, die ich beim Übersetzen und Schreiben mit einsetze. Und noch etwas ist lustig: ich muss immer alles sofort festhalten. In Zeiten, in denen ich mit Sprache kreativ bin, notiere ich deutsche Vokabeln auf Einkaufszettel, Kassenbons und Abgabescheine von Reinigung und Schneiderin. (Meine Dienstleister kennen das schon und versuchen nicht mehr, diese vermeintlichen 'Botschaften' zu entziffern.)

Und ich fühle mich durch das Suchen nach Ausdrücken in den entlegendsten Hirnwindungen außerdem noch an alte Zeiten erinnert, die gar nicht so lange zurück liegen. Es war "vor meinem halben Leben" (ich weiß, das sagt man nicht so, aber ich sag' das jetzt so). Also ich war etwa halb so alt wie heute und lebte junge Studentin in Paris. Damals - und jetzt kommt es mir doch so vor, als läg' das alles sehr, sehr lang zurück - gab es in Ostberlin ein politisches Erdbeben. Und aus der Studentin, die gerade eine Hausarbeit über den Theatermann Heiner Müller geschrieben hatte, wurde die Regieassistentin und Set-Dolmetscherin, denn in Berlin fiel die Mauer. "Right place, right moment" ... und "right girl" für die französischen Redaktionen, denn ich war damals wohl die einzige meines Jahrgangs in Paris, die Rolf Schneider und Peter Schneider einordnen konnte, die wusste, wer Heiner Carow und was die DEFA war. Problematisch war nur, dass ich erstmal einen Knoten in der Zunge hatte. Dass ich mich damals schon in DDR-Kultur ganz gut auskannte, lag einfach daran, dass mein Vater aus Sachsen stammt und wir alle großen Ferien in seiner alten Heimat verbrachten. Meine gleichaltrigen Cousins und Freundinnen vermittelten mir in diesen Wochen ihre Welt.

Dass ich darüber in der Wendezeit zunächst auf Französisch kaum einen Satz flüssig herausbrachte, ist rasch erklärt: In Frankreich wollte damals über die DDR kaum einer etwas wissen. Genauso und keinen Deut anders erging es mir in Westdeutschland. Wovon ich "auf Westdeutsch" kaum gesprochen hatte, war nun auf Französisch gar nicht so leicht zu erzählen.

Die "Sprechbarriere" riss ich schon in der ersten Drehwoche ein. Verewigt ist sie noch auf den BETA-SP-Bändern von France 2 (damals "Antenne 2"): das Stottern haben die Kollegen später bei der Musterdurchsicht (dérushage) und im Schnitt (montage) zu meinem großen Leidwesen gerne augenzwinkernd kommentiert ...

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Foto: Wenn ich hier schon mal sehr persönlich werde,
dann richtig. Wenig später nahm ich die Vokabelrecherche
beim Spielfilm auf und sammelte Filmbegriffe - in
Babelsberg am Set. Wie das? Als Journalistin, ich schrieb
damals u.a. für die "Cahiers du Cinéma" und als Komparsin,
ein Casting-Foto als Beweis ...

Freitag, 19. September 2008

Theater der Worte

Warum ich so gerne Drehbücher übersetze, sollte ich gestern erklären, als ich beim deutsch-französischen Stammtisch war. Das ist alles ganz einfach einfach: Drehbücher sind eine Bühne, die Worte sind Requisiten oder Figuren, die auftreten, und das Ganze ist im besten Falle wunderbares, großes Sprachtheater.

Zu allererst werden im Drehbuch die Orte genannt, nüchtern, ohne schmückendes Beiwerk. VILLA AM STEINWEG beispielsweise, INNEN-TAG. Das löst bei mir schon eine ganze Welt aus, die Villa am steinigen Weg - ist auch der Stein, aus dem das Gebäude errichtet wurde, sichtbar? Ist er gar unverputzt sichtbar, wie auf der Insel Stein im Wörlitzer Park? Oder ist es roter Ziegelstein, dem Stuckverzierungen etwas von der Strenge nehmen? (Selbstkritik: Ich bin noch nicht wach und übertreibe, lasse ein Wort hier auf das nächste abfärben, denn der Weg ist ein "Steinweg", die Villa ward nicht näher beschrieben!)

Dann kommt der nächste Ort, dessen Nennung meine Phantasie auf Trab bringt: IM WINTERGARTEN IST DIE FRÜHSTÜCKSTAFEL GEDECKT. Es ist "DER" Wintergarten, der zur Villa 'Nichtstein' gehört, und das bedeutet: nicht EIN Wintergarten, nicht irgendeiner. Die Villa ist möglicherweise alt, der Wintergarten hoch, die Glasfront in metallene Rahmen gefasst, die dunkelgrün gestrichen sind und den Raum mit regelmäßigem Rhythmus in der Horizontale durchschneiden (offenbar sehe ich eine Kamerafahrt). Vom gleichen Dunkelgrün sind die Palmen, der Tisch dazu ist mit weißem Leinen und Silber gedeckt, eine Tafel eben.

Mein Kopf arbeitet vor sich hin, dann lese ich weitere Beschreibungen, knapp gehaltene Worte, die entweder zu meinen Ideen passen - oder sie in eine andere Richtung lenken. Wie ein Haiku steht hier nur das Wichtigste, das, was für die Erzählung relevant sein wird. Die dampfende Teekanne aus Meißener Porzellan steht für eine eigene Lebenswelt, ebenso die Sorte der Blumen und das, was vielleicht noch an (vermeintlich) Nebensächlichem erwähnt wird. Hier schaffen Worte Gegenstände auf einer Bühne, die eben noch die berühmte weiße Seite war.
Claude Chabrol, den ich regelmäßig auf Filmfestivals dolmetsche, erzählte mal, dass er das, was er zuerst erwähne, auch oft als erstes in Bildern zeige. Also erst das Nomen für einen Gegenstand, dann das Adjektiv, das ihm sein Hinterland gibt, dann noch ein Ding: der erste Bezug stellt sich her. Chabrol nimmt in seinen Texten durch die Interpunktion schon die spätere Hierarchie der Bilder vorweg, Kommata sehen im Bild später anders aus als Punkt, Semikolon oder Ausrufezeichen im Text.

Und ein Absatz war ein Schnitt, cher maître? Ich glaube mich so zu erinnern. Ich war als Dolmetscherin mit von der Partie, schrieb also nicht mit, und trotz meiner Bitten um Zusendung der Tonaufnahme habe ich von den Journalisten im Raum später nie etwas erhalten. (Falls das jetzt einer zufällig liest: Mir würde der Mitschnitt auch heute noch Freude bereiten.)

Zurück zur Drehbuchseite. Auf die Szenenbeschreibungen folgen die Rollennamen, mittig auf dem Papier. So stehen sie auch auf der Mitte der Bühne ... und in Klammern darunter folgt etwas über die Befindlichkeit der Figuren.

Und wenn sie sprechen, höre ich sie. Dann schreibe ich 'nach Diktat'. Alles ganz einfach eben.

Über die gesprochene Filmsprache gern später einmal mehr.
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Foto: Drehbuchtheorie - eine kleine, zufällige Auswahl, denn ich lese dazu alles, was mir in die Hände kommt. Meine Empfehlung gilt dem Buch "Der Publikumsvertrag" von Roland Zag. Und der Carrière ist höchst anekdotenreich.

Mittwoch, 17. September 2008

Fremddeutsch

"In San Francisco gibt es kabelloses Internet vierundzwanzig Stunden lang", berichtet eine deutsche Journalistin, die seit vielen Jahren in Paris lebt, im Radio des französischen Auslandssenders RFI. Wie, nur 24 Stunden lang? Und danach? Was passierte anschließend mit dem W-Lan?

Wer lange im Ausland lebt, wird zunehmend von der Sprache des neuen Heimtlandes beeinflusst, vorausgesetzt, er oder sie lässt sich überhaupt auf das neue Idiom ein. Im Falle von RFI, das in 19 Sprachen sendet, darunter auch auf Deutsch, gebiert das immer wieder nette Stilblüten. Die Deutsch-Muttersprachler der Sendung sprechen nicht selten eine Art Fremddeutsch, das vom 'Parfum' des Gastlandes durchzogen ist. Manchmal kommt es nur ein bisschen eigentümlich daher, aber wenn's schlimm läuft, ist es schlicht falsch und unverständlich.

Hier einige Beispiele mit Kommentar:

- "Eine "Adaptation" des klassischen Kinderbuchs von Saint-Exupéry", sagt der Reporter über den Film "Der kleine Prinz". Nein, auf Deutsch ist es knapper, Adaption ist das richtige Wort, zumindest im Filmbereich.
Fremdworte auf –tion sind gerne mal tricky. Noch ein Beispiel: Akklimatisierung und nicht Akklimatation.

- “Der vestimentäre Stil“... ist irgendwie verständlich, klingt aber wie “agrarische Gerätschaften”, wenn jemand eigentlich Rechen und Harke sagen will.
Besser also: sein Kleidungsstil, der Stil seiner Kleidung.

- "Inzwischen hat einer von vier Immigranten einen höheren Bildungsabschluss, so die Statistik". Auf Französisch heißt es un immigré sur quatre, 'jeder Vierte' oder die auf Deutsch die viel geläufigeren 25 % der Einwanderer.

- "Auf der Eins druckt “Le Monde” ...", im Original: à la Une du "Monde" wird korrekterweise indes zu: "Le Monde macht mit ... auf". Oder: "Die Schlagzeilen von Le Monde gelten" ...
"La Croix öffnet ebenfalls mit Fotos von Blauhelmsoldaten ..." wird zu: "La Croix macht ebenfalls mit Fotos von Blauhelmsoldaten auf". Auf Deutsch ist "der Aufmacher" der wichtigste Artikel auf Seite Eins.

- "kapitale Strafe" – geht auf Deutsch gar nicht für Todesstrafe. Das Kapital, so heißt ein Buch von Karl Marx, derzeit fehlt viel Kapital in der Kultur, alles andre ist analog zum kapitalen Hirsch kein kapitaler Bock, den man schießen könnte, sondern kapitaler Bockmist.

- "paranoisch" – klingt wie ein deutsches Wort, ist aber falsch. Das dem Französischen sehr ähnliche paranoid ist richtig. Oder klingt das wie panamaisch wie irgendwie weit weg, ja?

- franko-kubanische Beziehungen für "die Beziehungen zwischen Frankreich und Kuba" ... das “franko” ist auf Deutsch nicht für etwas, das mit Frankreich zu tun hat, eingeführt. Im schlimmsten Falle denken die Menschen an Spanien, an Franco. Wie, was hat der jetzt mit Fidel zu tun, oder nur, weil beides mit ‘F’ losgeht!??

- “Wie man die Verringerung der Bibliothek des Pariser Goethe-Instituts auch motiviert ...” Was ist denn da los? Der Buchbestand des Goethe-Instituts wurde verringert, die Bibliothek verkleinert. Die Motive der Täter liegen im Dunkeln. Hier geht’s um: Gründe. So dass der Satz so besser klingt: "Wie man die Verkleinerung der Bibliothek auch immer begründet ..."

- "Der Konflikt mit der Jugend ist steril." - Nein, steril sind Tiere oder Menschen, die sich nicht mehr reproduzieren können. Operationsbesteck sollte steril sein. Der Politiker meint das Gegenteil von fruchtbar ... also führt der Konflikt zu nichts, führt ins Leere, hat keinen fruchtbaren Dialog zur Folge gehabt ...

- "Der Politiker, der sich noch nicht als Kandidat deklariert hat ..." - Variablen, Parameter oder Klassentypen werden auf Deutsch deklariert. In Zeiten der Ölkrise neigen die Hersteller von Autos dazu, den Benzinverbrauch von Neuwagen nicht mehr zu deklarieren. Man kann aber auch versuchen, nicht alle Waren beim Grenzübertritt zu deklarieren, weil man sonst Zoll zahlen müsste. Die Inhaltsstoffe der Cremes oder neuer Medikamente müssen aber deklariert werden.
Der gesuchte Ausdruck im vorliegenden Fall: ... der seine Kandidatur noch nicht offiziell angemeldet hat. oder: der sich noch nicht als Kandidat aufstellen ließ.

Ich höre weiter kritisch zu und lerne aus diesen Fehlern von Muttersprachlern, die ein massives "DAF"-Problem haben - DAF steht für Deutsch als Fremdsprache. Ich schalte nur gelegentlich ein, denn zum Glück haben wir den Sender RFI hier "sieben auf sieben", wie ein Journalist der deutschen Sendestunde letztens wieder sagte - sept sur sept oder "7/7" - die ganze Woche hindurch, und das ist gut so, denn ich mag den Sender.

Sonntag, 14. September 2008

Einige Referenzfilme

Eine Referenzliste verschicken wir gern auf Nachfrage. Hier nur rasch die Antwort auf eine regelmäßig wiederholt gestellte Bitte um Information:
Für welche Filme wurdet Ihr in letzter Zeit als Übersetzer tätig?
Zum Beispiel ...

... 'Mr. Nobody' von Jaco van Dormael, 'Es kommt der Tag/Le jour viendra' von Susanne Schneider, 'Sourire/Lächeln' von Maggie Peren, 'The true nature of Lothar' von Raphaël Nadjari und Vincent Poymiro, 'Une journée/Ein Tag' von Jacob Berger, 'Sarah und die Suppenkasper / Sarah et les Marmitons' von Enrique Sánchez Lansch, 'Bienvenue à Bataville / Willkommen in Bataville' von François Caillat, 'Small World' von Bruno Chiche (nach einem Roman von Martin Suter).

Wir stehen keiner Produktionsfirma oder Filmfördereinrichtung besonders nahe, arbeiten wie bei Aufträgen aus der Politik 'überfraktionell' und sind an das Gebot der Diskretion gebunden.
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Foto: Schlusslektorat einer Drehbuchübesetzung, abends nach 21.00 Uhr

Mittwoch, 10. September 2008

Kollateralschäden

Gerne sehe ich ab und zu bei meiner Nachbarin fern, denn privat habe ich keine Glotze mehr. Die Nachbarin ist hochgradig frankophil, weshalb wir gerne französische Filme sehen. Nein, nicht auf Arte, hier kommen die meisten Filme zwar Mono-Ton auf beiden Stereospuren, aber oft ist auf ihnen ein- und dasselbe zu hören: Lästiger deutscher Synchronton.

Nein, wir sehen einen anderen Sender, der dankenswerterweise viele französische Filme untertitelt anbietet, so dass jede von uns auf ihre Kosten kommt. Nur mit der Webseite hat es dieser Sender nicht so, den ich aus Gründen der Höflichkeit jetzt mal nicht namentlich erwähne. Immerhin bietet er auch eine deutschsprachige Fassung seiner Seite an - oder besser gesagt in Teilen. Vieles, was für die deutschen Leser übersetzt wurde, klingt denn auch übersetzt, oder aber es fehlen der Übersetzerin/dem Übersetzer die richtigen Worte.

Beispiel: "Für Margot und Victor läuft alles am besten in der besten aller Welten", das ist fast wörtlich "pour Margot et Victor, tout va pour le mieux dans le meilleur des mondes" und raschelt einfach nur nach Papier. Weiter: "Sie (...) spinnen die perfekte Liebe." - " ils filent le parfait amour" verstehen deutsche Leser nur durch den Kontext. Die beiden arbeiten in ein- und derselben Firma, einer von ihnen klettert die Karriereleiter hoch und "im Leben vereint, findet sich das Paar trotz ihm plötzlich in einem harten Wettbewerb". "Trotz ihm", das ist malgré lui, ohne, dass es geplant wäre, ohne eigenes Zutun.
Und die Filmankündigung endet mit: "Bienvenue dans un monde impitoyable : celui du travail et de ses dommages collatéraux... ", anfangs ordentlich übersetzt mit "Willkommen in einer unbarmherzigen Welt", gefolgt von "in der Welt der Arbeit und ihrer Nebeneffekte..." Woraus ich schließe, dass die Übersetzerin/der Übersetzer nicht in Deutschland lebt oder lange nicht gelebt hat, denn Kollateralschäden sind einfach mal auch auf Deutsch Kollateralschäden.

Merke: Übersetzungen dürfen nicht nach Übersetzungen klingen, daher der Ausdruck: "es raschelt nach Papier" für "das ist keine gesprochene, sondern (bestenfalls) geschriebene Sprache". Die Franzosen sagen dazu übrigens: "ça sonne téléphoné", in etwa: 'das klingt telefoniert, wie per Telefon durchgegeben'.
Den beschriebenen Film werden wir uns morgen trotzdem ansehen. Es spielt Scali Delpeyrat mit, den ich 2006 bei einem tunesischen Fernsehfilmfestival gedolmetscht habe.

Dienstag, 9. September 2008

Luft! Nichts! Kleinigkeiten!

Oft entscheiden Kleinigkeiten darüber, ob wir etwas richtig verstehen oder nicht.

Zum Beispiel die richtige Verwendung des Gedankenstrichs.
Bei der Suche nach einer Telefonnummer der französischen Botschaft gab mir Google im folgende Seite an:
"Deutsch - Französische Botschaft in Berlin"? Ich stutze. Nicolas Sarkozy ist ja doch ziemlich reserviert Deutschland gegenüber, und jetzt wurde der Perrault-Bau am Pariser Platz kurzerhand in eine deutsch-französische Botschaft umverwandelt? Seit wann das?

Bei genauerem Hinsehen erkläre ich mir das "Deutsch" mit "deutsche Fassung" und stelle fest, dass ich schon so sehr an Fehler gewöhnt bin, denen ich immer öfter begegne, dass ich auf richtigen Gebrauch des Deutschen falsch reagiere. Die Amerikanisierung der deutschen Sprache führt dazu, dass der Bindestrich vom Aussterben bedroht ist, von der staatlich verordneten Getrenntschreibung befördert. Und das färbt bei mir ab, führt dazu, dass der Gedankenstrich weniger geläufig ist, zumal er oft fälschlicherweise dort eingesetzt wird, wo ein Bindestrich hingehört, selbst bei der ZDF-Sendung "Frontal21" habe ich das schon gesehen.

Während das Internet aus technischen Gründen die Zusammenschreibung fördert, erschwert die Getrenntschreibung die Rezeption. Die Luft zwischen den Worten führt ja dazu, dass die Worte eigentlich auch anders betont werden. So dass inzwischen laut Duden als richtig gilt, was mich stutzen lässt. In der ZEIT von letzter Woche:


Schon schön, dass solche Teilchen Ihre Forscher jetzt mit Namen begrüßen. Was das Elementarteilchen nachher gesagt hat, ist nicht überliefert.

In der gesprochenen Sprache sind Pausen an der falschen Stelle und die daraus resultierende andere Betonung regelmäßig Auslöser für Nicht- oder Missverstehen. Heute Abend wurde in Kulturzeit (3Sat) Budd Schulberg zitiert, der Autor des Buches "Was treibt Sammy an?", das einen Studioboss aus der Zeit der großen Hollywood-Mogule darstellt:

"Mit einem gewissen Leben ist, wie mit angezogener Handbremse fahren."

Wieder braucht es einen kurzen Moment, bis mein Kopf zurückgespult und alles nochmal durchgescannt hat (wobei ich mich bremsen muss, es nicht gleich zu übersetzen). Es lautet richtig: "Mit einem Gewissen leben ist, wie mit angezogener Handbremse fahren." Ist ja man gut, das die obersten Sprachwächter nicht gleich die Großschreibung mit abgeschafft haben.

Peanuts!

Dienstag, 2. September 2008

Plansequenz

Dass ich auch unterrichte, schrieb ich bereits. Letztens meinte doch einer der Studenten bei einer Filmanalyse zu mir, das Wort "Plansequenz" komme daher, dass für den Dreh dieser langen Einstellungen, in denen "eine abgeschlossene Handlung ohne Schnitt gezeigt wird" (Wikipedia), so ausgiebig lange geplant werden müsse. Das hätte er im Internet gelesen.

Nun steht ja bekanntlich auch viel Stuss im Netz. Auf einer eher lustlosen Recherche fand ich eben diese falsche Fährte als charmante Fehlinterpretation vorgestellt und erläutert. Denn im Grunde ist "Plansquenz" eine unglücklich gewählte Übersetzung aus dem Französischen. Natürlich heißt 'die Sequenz' hüben wie drüben so und 'die Einstellung' "le plan".
"Le plan-séquence
" ist also eine Einstellung, die eine lange Spielsequenz beinhaltet. Auf der Suche nach zitierbaren Plansequenzen fand ich einen kurzen Film: Vier Minuten und fünfundzwanzig Minuten dauert der Music-Clip "University LipDup #1" in Form einer solchen langen Einstellung, der darüber hinaus, wie der Titel verspricht, mit dem Thema Lippensynchronizität spielt. Hier haben die Studis der Uni Furtwangen für ihre extralange Einstellung hart geplant und gearbeitet - bravo! Das Resultat ist sehr sehenswert!

Und wo ich gerade Komplimente verteile, mag man mir verzeihen, dass ich ganz unbescheiden ein Kompliment zitiere, das dem Weblog, welchen Sie gerade lesen, gemacht wurde. Auf jener Seite, die mit der Fehlinterpretation des Begriffes aufmacht - sie trägt den poetischen Namen "Partikelfernsteuerung" -, steht als weiterführende Referenz: "Dolmetscher-Berlin ist ein wunderbarer Anekdoten-Blog über, genau: deutsch-französisches Übersetzen in der Filmbranche."

Danke für diese Empfehlung!

Montag, 1. September 2008

Am Wegesrand aufgelesen

Eine neue Kategorie ist fällig: Am Wegesrand Aufgelesenes werde ich hier gelegentlich anpinnen, sofern es zum Thema 'Übersetzer- und Dolmetscheralltag' passt.

Am Sonntag habe ich bei der Arbeit im Haushalt noch lange über das Besondere des Übersetzens und auch über die Unübersetzbarkeit von Lyrik nachgedacht und -geblättert, denn darüber hatte ich am Samstag hier etwas geschrieben.

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834) zum Beispiel hielt Übersetzen für ein hoffnungsloses Unterfangen, denn Übersetzer sollten sich eine vollständige Genesis der beiden Sprachen zum Ziel setzen. Doch zieht er es vor, dem Ausgangstext auch in der Übertragung seine kulturelle und sprachliche Eigenarten zu belassen auf die Gefahr hin, dass der übersetzte Text bei den Lesenden ein „Gefühl des Fremden“ evoziert, kurz: den Eindruck, "dass sie Ausländisches vor sich haben."

Mittags dann gekocht. Und was kredenzt die Übersetzerin bei Sommergrippe? Buchstabensuppe natürlich!
Dabei an Robert Frost (1874-1963) gedacht und an seine Definition von Übersetzung, die in etwa so lautet: Poesie ist, was in der Übersetzung verloren geht. Da muss ich an die Goethe-Übersetzung denken, die hier steht und der einen Poetik eine andere gegenüberstellt.

Nach der einfachen Suppenmahlzeit durften die Gesunden danach noch ins Kino. Auf dem Weg fiel mir auf der einen Straßenseite das Ladenschild einer Eisdiele auf. Wenige Meter weiter, auf der anderen Straßenseite, der passende Kommentar, wieder in Form eines Ladenschildes ...

Dass mir diese Ladenschilder optisch geradezu entgegenspringen, kann ich nur augenzwinkernd mit der eigenen Berufsverbildung erklären, auch formation professionnelle genannt!

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Fotos aus der Körtestraße in Kreuzberg