Freitag, 19. September 2008

Theater der Worte

Warum ich so gerne Drehbücher übersetze, sollte ich gestern erklären, als ich beim deutsch-französischen Stammtisch war. Das ist alles ganz einfach einfach: Drehbücher sind eine Bühne, die Worte sind Requisiten oder Figuren, die auftreten, und das Ganze ist im besten Falle wunderbares, großes Sprachtheater.

Zu allererst werden im Drehbuch die Orte genannt, nüchtern, ohne schmückendes Beiwerk. VILLA AM STEINWEG beispielsweise, INNEN-TAG. Das löst bei mir schon eine ganze Welt aus, die Villa am steinigen Weg - ist auch der Stein, aus dem das Gebäude errichtet wurde, sichtbar? Ist er gar unverputzt sichtbar, wie auf der Insel Stein im Wörlitzer Park? Oder ist es roter Ziegelstein, dem Stuckverzierungen etwas von der Strenge nehmen? (Selbstkritik: Ich bin noch nicht wach und übertreibe, lasse ein Wort hier auf das nächste abfärben, denn der Weg ist ein "Steinweg", die Villa ward nicht näher beschrieben!)

Dann kommt der nächste Ort, dessen Nennung meine Phantasie auf Trab bringt: IM WINTERGARTEN IST DIE FRÜHSTÜCKSTAFEL GEDECKT. Es ist "DER" Wintergarten, der zur Villa 'Nichtstein' gehört, und das bedeutet: nicht EIN Wintergarten, nicht irgendeiner. Die Villa ist möglicherweise alt, der Wintergarten hoch, die Glasfront in metallene Rahmen gefasst, die dunkelgrün gestrichen sind und den Raum mit regelmäßigem Rhythmus in der Horizontale durchschneiden (offenbar sehe ich eine Kamerafahrt). Vom gleichen Dunkelgrün sind die Palmen, der Tisch dazu ist mit weißem Leinen und Silber gedeckt, eine Tafel eben.

Mein Kopf arbeitet vor sich hin, dann lese ich weitere Beschreibungen, knapp gehaltene Worte, die entweder zu meinen Ideen passen - oder sie in eine andere Richtung lenken. Wie ein Haiku steht hier nur das Wichtigste, das, was für die Erzählung relevant sein wird. Die dampfende Teekanne aus Meißener Porzellan steht für eine eigene Lebenswelt, ebenso die Sorte der Blumen und das, was vielleicht noch an (vermeintlich) Nebensächlichem erwähnt wird. Hier schaffen Worte Gegenstände auf einer Bühne, die eben noch die berühmte weiße Seite war.
Claude Chabrol, den ich regelmäßig auf Filmfestivals dolmetsche, erzählte mal, dass er das, was er zuerst erwähne, auch oft als erstes in Bildern zeige. Also erst das Nomen für einen Gegenstand, dann das Adjektiv, das ihm sein Hinterland gibt, dann noch ein Ding: der erste Bezug stellt sich her. Chabrol nimmt in seinen Texten durch die Interpunktion schon die spätere Hierarchie der Bilder vorweg, Kommata sehen im Bild später anders aus als Punkt, Semikolon oder Ausrufezeichen im Text.

Und ein Absatz war ein Schnitt, cher maître? Ich glaube mich so zu erinnern. Ich war als Dolmetscherin mit von der Partie, schrieb also nicht mit, und trotz meiner Bitten um Zusendung der Tonaufnahme habe ich von den Journalisten im Raum später nie etwas erhalten. (Falls das jetzt einer zufällig liest: Mir würde der Mitschnitt auch heute noch Freude bereiten.)

Zurück zur Drehbuchseite. Auf die Szenenbeschreibungen folgen die Rollennamen, mittig auf dem Papier. So stehen sie auch auf der Mitte der Bühne ... und in Klammern darunter folgt etwas über die Befindlichkeit der Figuren.

Und wenn sie sprechen, höre ich sie. Dann schreibe ich 'nach Diktat'. Alles ganz einfach eben.

Über die gesprochene Filmsprache gern später einmal mehr.
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Foto: Drehbuchtheorie - eine kleine, zufällige Auswahl, denn ich lese dazu alles, was mir in die Hände kommt. Meine Empfehlung gilt dem Buch "Der Publikumsvertrag" von Roland Zag. Und der Carrière ist höchst anekdotenreich.

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