Mittwoch, 24. September 2008

Dickes Gemüse

Die Franzosen haben ein nicht sehr nettes Wort für Berühmtheiten: "hohe Tiere" werden zu "dickem Gemüse", grosses légumes. Ein solches darf ich nächsten Montag dolmetschen und zugleich fürs TV interviewen, es handelt sich um ein ehemaliges Staatsoberhaupt.

Kati, die Praktikantin einer befreundeten Filmproduktionsfirma, fragte mich eben beim Kaffeetrinken, ob ich denn Lampenfieber hätte, oder zumindest Ehrfurcht vor derart berühmten Leuten. Ich gehe in mich - fürchte ich mich vor diesen ehrvollen Persönlichkeiten oder fürchte ich mich gar vor der Ehre, sie befragen zu dürfen?

Nichts dergleichen. Ich bin's geübt, seit frühesten Studentenzeiten. Denn in Paris, als ich nach einigen Jahren intensiven Lebens auf Französisch anfing, in meiner Muttersprache ungelenk rumzustottern, hatte ich mir einige Abende deutschsprachiger Aushäusigkeit im Monat verordnet und ging fortan in die beiden deutschen Kulturzentren, denn damals gab es noch zwei deutsche Staaten. Im Centre Culturel de la RDA am Boulevard Saint-Germain, wo die DDR-Niederlassung residierte, sah ich DEFA- und Ufa-Filme und las den Eulenspiegel; andere Filme, Zeitungen und vor allem Diskussionen erlebte ich im Goethe-Institut, Avenue d'Iéna. Und ich fing an, bei den Diskussionen Fragen zu stellen, im Grunde nur aus Mitleid mit der Einsamkeit des Moderators, der sich, als er das Publikum um Teilnahme bat, nicht selten vor einer Mauer eisigen Schweigens wiederfand.
Nach zwei, drei solcher Abende bat mich Brigitte Kaiser-Derenthal, die damalige Programmchefin des Goethe, dann nach der Veranstaltung mit dem kleinen Kreis ins letzte Stockwerk mitzukommen, wo wir im Büro des Direktors bei einem Glas Wein die Gespräche fortsetzten. Und frei nach Mark Twain - Schlagfertigkeit ist das, was einem 24 Stunden später einfällt - übte ich mich darin, dass mir meine Fragen nicht nur umgehend einfielen, sondern dass ich mich sie auch zu stellen traute.

Ich denke, das hat mich damals konditioniert, die "hohen Tiere" auf Normalmaß zu sehen. Und wenn ich kommenden Montag vor dem Staatenlenker stehe, wird auch das böse französische Wort vergessen sein. Ich befrage dann schlicht und ergreifend - einen Menschen.
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Foto vom Markt des Boulevard Raspail in Paris

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