Montag, 11. Juli 2011

Montagshelden

Was für eine Hektik manchmal, die Arbeit im virtuellen Dolmetscher- und Übersetzergroßraumbüro! Dabei wollte ich neulich am Montag nur zum Schneider, eine kurze Übersetzung korrigieren und mit Muße ein Buch fertiglesen. Dann kam alles anders ...

Es war vorgesehen, dass Claire am Montagvormittag einen Lebenslauf übersetzt, doch ein Bandscheibenvorfall hindert sie daran. Schnell bekommt sie einen Craniotermin beim Arzt, Katia übernimmt das Projekt im Fluge, Anne liest am Ende gegen, weil Katia ab dem frühen Nachmittag ihre Töchter hüten muss. Dann schreibe ich zwei Kostenvoranschläge, die nicht warten können, die Zusage für einen Einsatz im September kommt rein, das übliche kurze Moment der Freude stellt sich ein, auch wenn's ein unterfinanzierter Kulturjob ist. Plötzlich fängt mein Apple-Standrechner zu brummen an, als wär' das Gerät ein Flugzeug kurz vor dem Start. Es ist heiß. Ich schalte den Rechner aus.

Heute abholen: Ein Model, ein Kleid
Ein Kunde ruft an, möchte noch heute die Geburtsurkunde seiner künftigen Frau übersetzt haben, so etwas mache ich selbst kaum noch. Ich fahre das Gerät wieder hoch, Kerstin ist gerade von der Neubeeidigung bei Gericht zurück, als der Mann bei ihr im Büro steht. Aus mir unerfindlichen Gründen werden wir manchmal mit der Heilsarmee verwechselt, denn der potentielle Kunde ist entsetzt als er erfährt, dass unsere Dienstleistung nicht kostenlos ist. Er geht unverrichteter Dinge. Nach kurzer telefonischer Rücksprache mit der eigenen Mutter steht der künftige Bräutigam fünf Minuten später wieder im Büro und erteilt den Auftrag doch. Ich habe jetzt eine halbe Stunde Pause: Kalte Luft für den Computer muss her, ich reiße alle Fenster auf, Durchzug muss her. Solche Dinge passieren immer genau dann, wenn der Zweitrechner im Nebenjob ist — er sichert Arbeitskopien im Filmschnitt ab, denn nebenberuflich (ko)produziere ich alle zwei Jahre einen Film.

Es ist Mittag. Ich fahre den großen Rechner wieder hoch, fange mit dem eigentlichen Tagewerk an, ich schleife drei Szenen einer ansonsten drehfertigen Drehbuchübersetzung. Zwei Stunden später essen wir gemeinsam in einem Café um die Ecke, dann muss Kerstin sich sputen, um ihr Töchterchen abzuholen. Ich habe heute kinderfrei und arbeite deshalb weiter an einem Drehbuch. Der Regieassistent, der mir eigentlich eine red-line version hätte senden sollen, also eine, in der alle zur Debatte stehenden Änderungen rot markiert sind, hatte die neuen Partien nicht ganz so akkurat wie angekündigt hervorgehoben. Die Produktionsfirma braucht den Text dringend, wir stehen kurz vor dem shooting script. Meine Arbeit ist also plötzlich umfangreicher als geplant. Und schon wieder klingt der Computer wie Flughafen — passenderweise, während ich gerade eine Szene am Flughafen Korrektur lese.

So habe ich also am späten Nachmittag die Gewissheit: Es ist der Lüfter, der gerade kaputtgeht. Der Rechner muss in die Werkstatt. Und das mitten in einer Abgabe bzw. kurz bevor da irgendwo in Deutschland ein deutsch-französisches Filmteam mit dem Dreh anfängt. Dann kommt noch die Absage eines Museums rein, für das ich vorletzte Woche einen Kostenvoranschlag geschrieben habe. Ich hatte dazu eine Stunde lang ausführlich das zu übertragende Dokument geprüft, eine fast nicht verständliche Audiodatei, um eine realistische Preiseinschätzung abgeben zu können. Ich setzte den Kultur-Stundensatz an, der mitunter bei nur 50 % des normalen Honorars liegen kann. Aber anscheinend können sich manche Berliner Museen keine Profis mehr leisten. Es wurde eine Studentin beauftragt.

Ich mache den "großen Apfel" wieder aus, hole für den Dolmetscheinsatz morgen ein Modellkleid und ein geändertes Kleid vom Schneider ab (und kein Model = Mannequin, wie es der Abholschein glauben macht), esse früh zu Abend — und beginne meine nächste Schicht. Es wird ein langer Abend: immer anderthalb Stunden arbeiten, dann das Gerät eine halbe Stunde abkühlen lassen ... und weiterarbeiten. Mal sehen, wie weit ich so komme. Kurz vor acht der Anruf von der Werkstatt: Das Ersatzteil ist bestellt, in zwei Tagen ist es da. Zum Glück hatte ich für den morgigen Dolmetschtermin lange Zeit im Voraus gelernt, so dass ich mir nur noch die Lexik ausdrucken und sie vor dem Schlafengehen wiederholen muss. Wir sind schon Montagshelden, und so banal ist manchmal ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag.


Ein Tag in der Kabine kann so aussehen.
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Foto: C.E.

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