Ein Foto auf einer Webseite, über die üblicherweise Berufstätige netzwerken: Es zeigt eine Dolmetschkabine und darin einen lachenden Mann. Auf den ersten Blick lacht er uns an. Dabei lacht er etwas aus.
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| „My first time ever in a booth“ |
Der Spott richtet sich dabei gegen eine ganze Praxis und gegen die Menschen dahinter, gegen uns und unser Arbeitsumfeld, das als überkommenes Relikt dargestellt wird, nicht weil es nicht funktioniert, sondern weil es dem eigenen Geschäftsmodell im Weg steht. Auf der Webseite kann kommentiert werden. Kolleg:innen antworten. Die Stimmung kocht hoch.
Vor-Ort-Dolmetschen in der Box wird nicht wegen Konsolen, Kabeln oder Infrarot verteidigt, sondern wegen des Settings und wegen allem, was dort möglich ist und sich nicht digitalisieren lässt: die Beziehungen zu Auftraggeber:innen, Redner:innen und Publikum, die Gespräche in der Kaffeepause, die Rückfragen, die wir stellen, bevor sie auf der Bühne zum Problem werden, sowie die Reaktionen im Raum, die wir hören, sehen und spüren, lange bevor sie sich in Worte übersetzen lassen. Außerdem wegen der konzentrierten Arbeitsstimmung, die die meisten von uns nur in der Kabine erleben, ohne Störungen wie im „Homeoffice“.
Kommunikation ist zwischenmenschliche Arbeit, Dolmetschen kein isolierter Vorgang zwischen Kopfhörer und Mikrofon, sondern Teil eines sozialen Geschehens. Wir Dolmetsche:rinnen arbeiten nicht abstrakt für einen Austausch, sondern sind Teil der Vorgänge.
Viele ahnen nicht, was Teamarbeit in der Kabine bedeutet. Wir sprechen hier nicht nur im Wechsel ins Mikrofon, sondern arbeiten mit Blicken, Gesten und Notizen: Es werden Zahlen mitgeschrieben, Begriffe einander zugespielt und Dokumente geteilt. Wir koordinieren gestisch Übergaben, helfen Missverständnisse abzufangen. Das ist keine Sentimentalität, sondern professionelle Redundanz, die unsere ohnehin schon hohe kognitive Belastung senkt und Qualität sichert, gerade dann, wenn es schwierig wird.
Wenn heute von „modernen Bedingungen“ die Rede ist, sind meist Remote-Setups gemeint, ergänzt durch KI-Captions und automatische Glossare, die in der Praxis mehr Reize und Unsicherheit erzeugen als Entlastung, denn ich kann diese KI-Produkte in der Schnelle nicht prüfen. Aber ich weiß, dass die KI viele Fehler macht. KI-Glossare fragwürdiger Qualität brauche ich auch nicht. Für mich ist im Vorfeld das Erstellen eigener Lexiken Teil der Lernarbeit. Auch die Kollegin in einem weiteren, zusätzlichen Fenster zu sehen, ist keine große Hilfe.
Wenn Menschen zu schnell sprechen, helfen erst recht keine KI-Untertitel, dann hilft Präsenz, ein Schritt aus der Kabine, ein Zeichen Richtung Moderation oder Rednerpult. So ein Moment rettet die Kommunikation, ist natürlich unschön, weil wir die Aufmerksamkeit auf uns ziehen, aber hier wird kurz die ach so menschliche Mechanik sichtbar. Wer später spricht, schaut öfter zu uns rüber, zügelt sein Tempo, macht Päuschen. (Danke!) Damit werden wir wieder unsichtbar.
Auch die Frage des Klangs ist keine der Nostalgie, sondern der Kontrolle, denn analoge, lokal kontrollierte Systeme liefern stabileren Ton, geringere Latenz und weniger Schwankungen als internetbasierte Lösungen, die den Ton stauchen, bei denen es zu unkontrollierten Peaks kommt, was alles unser Gehör belastet. Für die Rendite anonymer Investoren riskiere ich doch meine Gesundheit nicht!
Kurz: Die verspotteten Technik-Oldtimer sind bewährt, berechenbar und vertrauenswürdig, denn Techniker betreuen sie in der Werkstatt, und sie betreuen den Klang (und schützen unser Gehör) bei den Veranstaltungen. Dass große Institutionen weiterhin darauf setzen, ist keine Trägheit, sondern eine Entscheidung für Qualität, Kontrolle und, last but not least, auch für Datenschutz.
Ein Vergleich aus der Küche macht das greifbar: Niemand würde eine Fünf-Sterne-Küche auslachen, nur weil dort Geräte stehen, die seit Jahrzehnten perfektioniert wurden, und niemand käme auf die Idee, sie ins Museum zu verweisen, nur weil es parallel Tiefkühlgerichte, Halbfertigware und Mikrowellen gibt. Haute Cuisine ist Präzisionsarbeit, sie braucht Raum, Zeit, Abstimmung, Handwerk und Werkzeuge, die genau dafür gemacht sind, und wird nicht dadurch entwertet, dass es schnellere und billigere Alternativen gibt.
Genauso verhält es sich mit High-End-Dolmetschen. Diese Maßarbeit ist für Situationen gedacht, in denen Nuancen zählen, Vertrauen entscheidend ist und Kommunikation mehr ist als reine Informationsübertragung. Nicht jede Veranstaltung braucht die gleichen hohen Sicherheitsstandards. Es gibt Kontexte, in denen Ferndolmetschen sinnvoll sein kann. Ich habe selbst Elternabende aus der Ferne begleitet, das Gerät ausgeschaltet, als es am Ende um Einzelschicksale ging. Und ich habe mich in einem Fall per Telefon wieder zugeschaltet.
Dass die moderne Technik des Ferndolmetschens existiert, macht Arbeitssituationen nicht beliebig austauschbar. Und natürlich werden solche Firmen ihre potentiellen Kunden stets im eigenen Interesse beraten und auch Eigentumsansprüche auf (die von uns erstellten, unter uns geteilten) Glossare erheben, oder wenn das System unsere Arbeit ‚mitschreibt‘. Keine guten Aussichten.
Die eigentliche Bedrohung geht wirklich nicht von der Technik aus. Bedrohlich sind Menschen, die unsere Arbeit vermarkten wollen, während sie so tun, als verstünden sie die Vorgänge, die sie vereinfachen und abwerten müssen, um sie auf ein Produkt zu reduzieren. Denn es ist einfacher, schlichte Lösungen mit guter Marge zu verkaufen, als eine komplexe professionelle Praxis.
Mein Tipp: Wer Rahm abschöpfen will, sollte lieber eine Molkerei aufmachen. Damit wäre der Nichtabgebildete übrigens wieder in seiner früheren Branche, er war in der Gastronomie tätig und hat davor so Dingelchen zum Einhaken mitentwickelt, die ‚multifunktionell‘ erlauben, eine Tasche am Caféhaustisch zu befestigen.
Schuster, ...!
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Illustration: Netzfund (verändert)

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