Freitag, 19. Dezember 2025

Respekt (3)

Hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin mit Erst­spra­che Deutsch und Zweit­spra­che Fran­zö­sisch. Die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Die Be­ru­fe sind an­spruchs­voll und schwer. Man­che Zeit­ge­nos­sen ma­chen ihn noch schwe­rer: Gras­sie­ren­de Res­pekt­lo­sig­keit, ge­mischt mit Her­ab­las­sung, lässt mich ir­ri­tiert zu­rück. Mehr Res­pekt, bit­te! Hier äl­te­re Fol­gen: (1) und (2).

Ein Fo­to auf ei­ner Web­sei­te, über die üb­li­cher­wei­se Be­rufs­tä­ti­ge netz­wer­ken: Es zeigt ei­ne Dol­metsch­ka­bi­ne und da­rin ei­nen la­chen­den Mann. Auf den ers­ten Blick lacht er uns an. Da­bei lacht er et­was aus.

Mann sitzt lachend in der Dolmetschkabine
„My first time ever in a booth“
Ne­ben dem Fo­to steht ein Kom­men­tar, der das Set­ting als „ab­surd“, „ab­so­lu­ter Non­sense“ und „mu­se­um­reif“ be­zeich­net, die Tech­nik als zu schwer und zu alt. Noch feh­len Red­ner:­in­nen auf dem Bild­schirm und Pub­li­kum im Saal di­rekt da­vor, doch das sei völ­lig über­flüs­sig in ei­ner Welt, in der man doch re­mote, be­quem aus der Ferne, KI-ge­stützt und an­geb­lich ef­fi­zi­ent ar­bei­ten kön­ne.

Der Spott rich­tet sich da­bei ge­gen ei­ne gan­ze Pra­xis und ge­gen die Men­schen da­hin­ter, ge­gen uns und un­ser Ar­beits­um­feld, das als über­kom­me­nes Re­likt dar­ge­stellt wird, nicht weil es nicht funk­tio­niert, son­dern weil es dem ei­ge­nen Ge­schäfts­mo­dell im Weg steht. Auf der Web­sei­te kann kom­men­tiert wer­den. Kol­leg:in­nen ant­wor­ten. Die Stim­mung kocht hoch.

Vor-Ort-Dol­metsch­en in der Box wird nicht we­gen Kon­so­len, Ka­beln oder In­fra­rot ver­tei­digt, son­dern we­gen des Set­tings und we­gen al­lem, was dort mög­lich ist und sich nicht di­gi­ta­li­sie­ren lässt: die Be­zie­hun­gen zu Auf­trag­ge­ber:­in­nen, Red­ner:­in­nen und Pu­bli­kum, die Ge­sprä­che in der Kaf­fee­pau­se, die Rück­fra­gen, die wir stel­len, be­vor sie auf der Büh­ne zum Pro­blem wer­den, so­wie die Re­ak­tio­nen im Raum, die wir hö­ren, se­hen und spü­ren, lan­ge be­vor sie sich in Wor­te über­set­zen las­sen. Au­ßer­dem we­gen der kon­zen­trier­ten Ar­beits­stim­mung, die die meis­ten von uns nur in der Ka­bi­ne er­le­ben, oh­ne Stö­run­gen wie im „Home­of­fice“.

Kom­mu­ni­ka­ti­on ist zwi­schen­mensch­li­che Ar­beit, Dol­metsch­en kein iso­lier­ter Vor­gang zwi­schen Kopf­hö­rer und Mi­kro­fon, son­dern Teil ei­nes so­zia­len Ge­sche­hens. Wir Dol­met­sche:rin­nen ar­bei­ten nicht ab­strakt für ei­nen Aus­tausch, son­dern sind Teil der Vor­gän­ge.

Vie­le ah­nen nicht, was Team­ar­beit in der Ka­bi­ne bedeutet. Wir spre­chen hier nicht nur im Wech­sel ins Mi­kro­fon, son­dern ar­bei­ten mit Bli­cken, Ges­ten und No­ti­zen: Es wer­den Zah­len mit­ge­schrie­ben, Be­grif­fe ein­an­der zu­ge­spielt und Do­ku­men­te ge­teilt. Wir ko­or­di­nie­ren ges­tisch Über­ga­ben, hel­fen Miss­ver­ständ­nis­se ab­zu­fan­gen. Das ist kei­ne Sen­ti­men­ta­li­tät, son­dern pro­fes­sio­nel­le Re­dund­anz, die un­se­re oh­ne­hin schon ho­he kog­ni­ti­ve Be­las­tung senkt und Qua­li­tät si­chert, ge­ra­de dann, wenn es schwie­rig wird.

Wenn heu­te von „mo­der­nen Be­din­gun­gen“ die Re­de ist, sind meist Re­mo­te-Set­ups ge­meint, er­gänzt durch KI-Cap­tions und au­to­ma­ti­sche Glos­sa­re, die in der Pra­xis mehr Rei­ze und Un­si­cher­heit er­zeu­gen als Ent­las­tung, denn ich kann die­se KI-Pro­duk­te in der Schnel­le nicht prü­fen. Aber ich weiß, dass die KI vie­le Feh­ler macht. KI-Glossare fragwürdiger Qualität brauche ich auch nicht. Für mich ist im Vor­feld das Er­stel­len ei­ge­ner Le­xi­ken Teil der Lern­ar­beit. Auch die Kol­le­gin in ei­nem wei­te­ren, zu­sätz­li­chen Fens­ter zu se­hen, ist kei­ne gro­ße Hil­fe.

Wenn Men­schen zu schnell spre­chen, hel­fen erst recht kei­ne KI-Un­ter­ti­tel, dann hilft Prä­senz, ein Schritt aus der Ka­bi­ne, ein Zei­chen Rich­tung Mo­de­ra­ti­on oder Red­ner­pult. So ein Mo­ment ret­tet die Kom­mu­ni­ka­tion, ist na­tür­lich un­schön, weil wir die Auf­merk­sam­keit auf uns zie­hen, aber hier wird kurz die ach so mensch­li­che Me­cha­nik sicht­bar. Wer spä­ter spricht, schaut öf­ter zu uns rü­ber, zü­gelt sein Te­mpo, macht Päus­chen. (Dan­ke!) Da­mit wer­den wir wie­der un­sicht­bar.

Auch die Fra­ge des Klangs ist kei­ne der Nos­tal­gie, son­dern der Kon­trol­le, denn ana­lo­ge, lo­kal kon­trol­lier­te Sys­te­me lie­fern sta­bi­le­ren Ton, ge­rin­ge­re La­tenz und we­ni­ger Schwan­kun­gen als in­ter­net­ba­sier­te Lö­sun­gen, die den Ton stau­chen, bei denen es zu un­kon­trol­lier­ten Peaks kommt, was al­les un­ser Ge­hör be­las­tet. Für die Ren­di­te ano­ny­mer In­ves­to­ren ris­kie­re ich doch mei­ne Ge­sund­heit nicht!

Kurz: Die ver­spot­te­ten Tech­nik-Old­ti­mer sind be­währt, be­rech­en­bar und ver­trau­ens­wür­dig, denn Tech­ni­ker be­treu­en sie in der Werk­statt, und sie be­treu­en den Klang (und schüt­zen un­ser Ge­hör) bei den Ver­an­stal­tun­gen. Dass gro­ße In­sti­tu­tio­nen wei­ter­hin dar­auf set­zen, ist kei­ne Träg­heit, son­dern ei­ne Ent­schei­dung für Qua­li­tät, Kon­trol­le und, last but not least, auch für Da­ten­schutz.

Ein Ver­gleich aus der Kü­che macht das greif­bar: Nie­mand wür­de ei­ne Fünf-Ster­ne-Kü­che aus­la­chen, nur weil dort Ge­rä­te ste­hen, die seit Jahr­zehn­ten per­fek­tio­niert wur­den, und nie­mand kä­me auf die Idee, sie ins Mu­se­um zu ver­wei­sen, nur weil es pa­ral­lel Tief­kühl­ge­rich­te, Halb­fer­tig­wa­re und Mi­kro­wel­len gibt. Hau­te Cui­si­ne ist Prä­zi­si­ons­ar­beit, sie braucht Raum, Zeit, Ab­stim­mung, Hand­werk und Werk­zeu­ge, die ge­nau da­für ge­macht sind, und wird nicht da­durch ent­wer­tet, dass es schnel­le­re und bil­li­ge­re Al­ter­na­ti­ven gibt.

Ge­nau­so ver­hält es sich mit High-End-Dol­metsch­en. Die­se Maß­ar­beit ist für Si­tua­tio­nen ge­dacht, in de­nen Nu­an­cen zäh­len, Ver­trau­en ent­schei­dend ist und Kom­mu­ni­ka­ti­on mehr ist als rei­ne In­for­ma­ti­ons­über­tra­gung. Nicht je­de Ver­an­stal­tung braucht die glei­chen ho­hen Si­cher­heits­stan­dards. Es gibt Kon­tex­te, in de­nen Fern­dol­metsch­en sinn­voll sein kann. Ich ha­be selbst El­tern­aben­de aus der Fer­ne be­glei­tet, das Ge­rät aus­ge­schal­tet, als es am En­de um Ein­zel­schick­sa­le ging. Und ich ha­be mich in ei­nem Fall per Te­le­fon wie­der zu­ge­schal­tet.

Dass die mo­der­ne Tech­nik des Fern­dol­met­schens exis­tiert, macht Ar­beits­si­tua­tio­nen nicht be­lie­big aus­tau­sch­bar. Und na­tür­lich wer­den sol­che Fir­men ih­re po­ten­tiel­len Kun­den stets im ei­ge­nen Interesse be­ra­ten und auch Ei­gen­tums­an­sprü­che auf (die von uns er­stell­ten, un­ter uns ge­teil­ten) Glos­sare er­he­ben, oder wenn das Sys­tem unsere Ar­beit ‚mit­schreibt‘. Kei­ne gu­ten Aus­sich­ten.

Die ei­gent­li­che Be­dro­hung geht wirk­lich nicht von der Tech­nik aus. Bedroh­lich sind Men­schen, die un­se­re Ar­beit ver­mark­ten wol­len, wäh­rend sie so tun, als ver­stün­den sie die Vor­gän­ge, die sie ver­ein­fa­chen und ab­wer­ten müs­sen, um sie auf ein Pro­dukt zu re­du­zie­ren. Denn es ist ein­fa­cher, schlich­te Lö­sun­gen mit gu­ter Mar­ge zu ver­kau­fen, als ei­ne kom­ple­xe pro­fes­sio­nel­le Pra­xis.

Mein Tipp: Wer Rahm ab­schöp­fen will, soll­te lie­ber ei­ne Mol­ke­rei auf­ma­chen. Da­mit wäre der Nicht­ab­ge­bil­dete üb­ri­gens wie­der in sei­ner frü­he­ren Bran­che, er war in der Gas­tro­no­mie tä­tig und hat da­vor so Din­gel­chen zum Ein­ha­ken mit­ent­wickelt, die ‚mul­ti­funk­tio­nell‘ er­lau­ben, ei­ne Ta­sche am Ca­fé­haus­tisch zu be­fes­ti­gen.
Schus­ter, ...!

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Il­lus­tra­tion: Netz­fund (ver­än­dert)

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