Mittwoch, 10. Dezember 2025

Konserven: nein!

Wie Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­sch­er le­ben und ar­bei­ten, kön­nen Sie, lie­be Le­se­rin, lie­ber Le­ser, beim ers­ten deut­schen Dol­met­sch­web­log aus dem In­ne­ren der Dol­metsch­ka­bi­ne seit 2007 mit­le­sen. Als Dol­met­scher­in für die fran­zö­si­sche Spra­che über­set­ze ich auch, letz­tens aus dem Eng­li­schen ins Deut­sche. Da­bei er­schwert uns nicht die KI der­zeit die Ar­beit, son­dern die un­fass­ba­re Nai­vi­tät Ih­rer Nutze­r:in­nen so­wie die Geld­geil­heit man­cher Fir­men.

Die­ses Jahr ha­be ich über 30.000 Buch­sei­ten ge­hört. Ja, ge­hört, und da­zu noch tau­sen­de von Sei­ten ge­le­sen. Ich mag Hör­bü­cher. Es gibt Pha­sen, in de­nen ich er­schöpft bin, nach sehr an­stren­gen­den Ein­sät­zen zum Bei­spiel. Oder ich bin im War­te­mo­dus an der Sei­te ei­ner be­­tag­­ten ver­wand­ten Per­son. Drit­tes Mo­ment: der Haus­putz. Und schließ­lich die Näch­te, in de­nen mich Hit­ze­wal­lun­gen wach­hal­ten. Seit zwei Jah­ren er­le­be ich das, was vie­le Frau­en er­le­ben. (Es ist, wie fast al­les, was mit Frau­en zu tun hat, in Deutsch­land fast ein Ta­bu.)

Hör­bü­cher be­glei­ten mich in sehr kör­per­li­chen, sehr vul­ne­ra­blen Si­tua­tio­nen. Sie sind nah. In­tim. Ich lässe ei­ne Stim­me an mich her­an, oft über Stun­den.

Ich lie­be gu­te Stim­men.

Wie­der­holt ha­be ich Bü­cher ab­ge­bro­chen oder, so­fern ge­kauft, zu­rück­ge­ge­ben, weil sie schlecht ge­spro­chen klan­gen: leb­los, span­nungs­los, in­halt­lich flach, auch bei an­spruchs­vol­len Tex­ten. Ir­gend­wann wur­de mein Ver­dacht zur Ge­wiss­heit: Hier ist KI am Werk. Und zwar schlech­te.

Ei­ne mei­ner Freun­din­nen ar­bei­tet haupt­be­ruf­lich als Spre­che­rin. Ich selbst spre­che als Dol­met­sche­rin be­ruf­lich ja auch und be­kom­me oft ent­spre­chen­de Rück­mel­dun­gen, die mich er­mu­ti­gen sol­len, den Weg Rich­tung Hör­bü­cher wei­ter­zu­ge­hen. Doch hier holt uns die Tech­nik ein. Der Freun­din droht der Ver­lust der Le­bens­grund­la­ge. Mir wür­de Plan C ver­baut. Und wie­der dro­hen die nächs­ten Nerds, durch die Ver­nich­tung kul­tu­rel­ler Leis­tun­gen ih­re Ge­win­ne auf Kos­ten von Men­schen zu ver­viel­fa­chen.

Die Ent­wick­lung geht der­zeit ra­send schnell. Be­glei­tet von neu­en tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten lässt sich ei­ne er­schwe­ren­de Ten­denz be­ob­ach­ten: Das brei­te Pu­bli­kum wird zu­neh­mend an­spruchs­lo­ser. In der U-Bahn wird im­mer schlech­te­res Deutsch ge­spro­chen, auch die Kom­men­tar­spal­ten der Zei­tun­gen (on­li­ne) strot­zen vor Stol­per­stel­len: Denk- und Schreib­feh­ler, un­lo­gi­sche Schluss­fol­ge­run­gen, ideo­lo­gi­sche Ver­dre­hun­gen.

Der Au­dio­markt ver­än­dert sich mas­siv. Do­ku­men­tar­film­pro­duk­tio­nen nut­zen ver­mehrt KI-Stim­men, um ih­re Erst­fas­sun­gen Re­dak­tio­nen und Ko­pro­duk­tions­fir­men zu prä­sen­tie­ren. Das nor­ma­li­siert den KI-Ge­brauch, das nimmt An­fän­gern die Ein­stiegs­chan­cen. Bei You­Tube, im oh­ne­hin kaum be­zahl­ten Feld, hau­en grau­en­haft mo­no­to­ne KI-Stim­men und Übel­set­zun­gen im Voice-o­ver Sa­chen raus wie „75 Qua­drat­me­ter“ statt 75 Fuß. Te­le­fon­an­sa­gen oder die be­rühm­ten Stim­men im öf­fent­li­chen Nah­ver­kehr kom­men längst vom Band, fal­sche Be­to­nun­gen in­klu­si­ve, was nicht nur Ur­ber­li­ner:in­nen stört. Es droht die Spra­che zu ver­än­dern. In Ber­lin ist ei­ne für Au­ßen­ste­hen­de „fal­sche“ Be­to­nung rich­tig: Es heißt Fál­ken­see und nicht Fal­ken­sée.

KI-Pro­jek­te gel­ten als bil­lig. Sie be­die­nen sich ge­klau­ter Stim­men. Wir ha­ben ein mas­si­ves Ur­he­ber­rechts­pro­blem. Denn Tan­tie­men be­kommt der­zeit nie­mand für die ei­ge­ne Stim­me.

Mikrofone, Mischpult
Auch das hier zeigt ech­te Be­ru­fe
Da­bei kön­nen wir Men­schen hö­ren, ob et­was stimmt, ob je­mand lügt, ob je­mand ei­ne Ma­schi­ne ist oder nicht. Das ge­schieht oft auf Ebe­nen, die wir nicht be­wusst wahr­neh­men: sub­li­mi­nal. Hör­bü­cher, bei de­nen ich das mer­ke, ge­hen so­fort zu­rück. So et­was lang­weilt mich. Ich kom­me nicht rein in die Er­zäh­lung.
Au­ßer­dem bin ich fal­schen Be­to­nun­gen ge­gen­über in­to­le­rant.

Und das be­trifft vie­les, was täg­lich in den Me­di­en zu hö­ren ist, denn auch hier sin­ken die Stan­dards. Leip-zick, Ho-nick, wich-tick, Kö-nick: die­se fal­sche Aus­lau­tung ist nur ein klei­nes Bei­spiel.

Es gibt in den Kon­ser­ven so vie­le Feh­ler, die kein Mensch hät­te ma­chen kön­nen: ent­stel­len­de Fehl­be­to­nun­gen zu­sam­men­ge­setz­ter Wör­ter et­wa. Mensch­li­che Stim­men ha­ben manch­mal hier ein Zö­gern, da ein Gluck­sen, ganz grund­sätz­lich ein Je-ne-sai-quoi, das sie un­ver­gleich­lich schön macht.

Ich hof­fe, dass mehr Men­schen die­se Sen­si­bi­li­tät mit­brin­gen und dann ein­fach so re­a­gie­ren, wie es sich ge­hört: Kon­ser­ve, nein, zu­rück­ge­ben, be­stimm­te Ver­la­ge mei­den.

In Dä­ne­mark wird der­zeit ein Ge­setz vor­be­rei­tet, das die Nut­zung von Stim­men und Fo­tos an­de­rer Men­schen ver­bie­ten soll, ein Co­py­right auf die­se bio­me­tri­schen Merk­ma­le, vor al­lem um Deep­fakes ein­zu­he­gen. Ge­schich­ten dar­über, wie di­gi­ta­le Fäl­schun­gen Ein­zel­ner An­ge­hö­ri­ge um mehr als nur den Spar­strumpf er­leich­tert ha­ben, er­zie­len ho­he Ein­schalt­quo­ten. Das dä­ni­sche Mo­dell klingt gut: Der „di­gi­ta­len Ko­pier­ma­schi­ne“ wür­de ein Rie­gel vor­ge­scho­ben, ei­ne kla­re Grund­la­ge für Kla­gen ge­schaf­fen, so der dä­ni­sche Kul­tur­mi­nis­ter ge­gen­über dem Guar­di­an. Ei­ne schon et­was äl­te­re Mel­dung da­zu gibt es beim Deutsch­land­funk Kul­tur. Glück­li­cher­wei­se gibt es ei­ne Aus­nah­me: Pa­ro­die und Sa­ti­re blei­ben er­laubt.

Der KI-Müll ver­stopft zu­neh­mend die Ka­nä­le, das ist von den Tech-Bros so be­ab­sich­tigt: flood the zo­ne with sh*t. Am En­de ist nichts mehr wahr, nichts mehr wich­tig. Die KI nimmt Pro­fis den Le­bens­un­ter­halt, den an­de­ren die Hob­bies: Ma­len, Zeich­nen, Schrei­ben, Mu­si­zie­ren. An­statt das zu tun, wo­für wir Ro­bo­ter lie­bend gern nut­zen wür­den: Haus­putz, Wä­sche, Din­ge re­pa­rie­ren.

Stim­men sind kei­ne Wa­re, sie sind Aus­druck von Kör­per, Bio­gra­fie, Er­fah­rung. Wer das nicht hört, hört viel­leicht bald gar nichts mehr.

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Il­lus­tra­tion:
pixlr.com (Zufallsfund)


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