Wie Übersetzer:innen und Dolmetscher:innen arbeiten,
erfahren Sie auf diesen Seiten. Ich bin
Teil eines internationalen Netzwerks, die Bürokollegin
übersetzt ins Englische. Für uns Sprachmenschen ist es
immer wichtig, die aktuelle Lage im Auge zu behalten.
Schneeregen in der Nacht plus minimaler Temperaturabfall haben ganze Arbeit geleistet: Sechs Zentimeter Neuschnee auf streckenweise vereisten Böden können böse ins Auge gehen.
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Ein Brückenkopf im Norden Neuköllns |
Dabei scheint sich Berlin echten Winter fast abgewöhnt zu haben. Vor meinem Haus eilt die Besatzung eines Rettungswagens einem Armbruch zu Hilfe.
Normalerweise kennen wir Anrainer:innen vom Kanal das: An den Brückenköpfen müssen wir immer besonders aufpassen, weil die veränderten Luftströme dort alles extra auskühlen. Besonders schlimm ist das Wetter für die Obdachlosen, für die eine engagierte Nachbarin unweit einer Brücke eine Art Nahrungsmittelstützpunkt und Treffpunkt unterhält (den regelmäßig das Ordnungsamt abräumt). Nachbar:innen bringen vor Fernreisen überschüssige Lebensmittel dorthin, andere kaufen ab und zu etwas mehr ein: Brötchen, Bananen oder Orangen.
Lebensmittelstützpunkte
Es soll inzwischen mehrere Stellen wie diese in Berlin geben, manche mit einem konfessionellen Hintergrund, andere mit einem humanistischen.
Und ja, an Terminen wie Weihnachten kommen auch Nachbar:innen auf die Idee, etwas zu kochen und hinzubringen, das erweitert sich jetzt auch auf andere Momente im Jahr. Auch mein riesiger Familiensuppenkochtopf wurde (in Zusammenhang mit unverkäuflichen Überschüssen aus dem Biosegment) schon wiederholt einbezogen. (Derzeit unterbrochen, weil einer der Begünstigten in einer Psychose leider das große Transportgeschirr samt Kellen in den Kanal geschmissen hat.)
Hilfe in der Not
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Hier leben zwei Osteuropäer |
Oft fahren andere Helfende von Ort zu Ort, verteilen Essen und Kleidung, Isomatten und Schlafsäcke
— oder sie bieten einen Platz in der Notübernachtung an. Auf Französisch heißen solche Hilfstouren
la maraude, ausgesprochen, als würden wir es auf Deutsch
Ma-Rohd' schreiben. Was darin als Begriff steckt wird klar, wenn wir uns beim lauten Lesen vergegenwärtigen, dass "au" auf Französisch wie das deutsche "o" klingt: Wir erkennen das Wort 'marodieren' wieder.
Spannend, dieser semantische Switch von der marodierenden Meute, die plündert und zerstört, hin zur den
maraudes sociales / maraudes alimentaires in Städten wie Paris, wo Hilfsgüter an Bedürftige verteilt werden. Noch ein anderer Link dazu:
Observatoire du partage.org.
Diesen Begriff gibt es auf Deutsch nicht, die Obdachlosenhilfe der deutschen Hauptstadt nennt das schlicht eine
Hilfstour. Dass sich Ehrenamtliche engagieren, ist in beiden Ländern ähnlich. Mit dem Wortfeld ist auf Deutsch außerdem der "Kältebus" verbunden, der Hilfsmittel bringt, im Notfall Menschen auch zur Notunterkunft begleiten kann (mir ist noch keine frz. Entsprechung bekannt).
Kältebusnummer: am besten aufschreiben und ins Portemonnaie
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Kältebus (von 20.00 bis 2.00 Uhr): 030 690 333 690, Wärmebus (18.00 bis 24.00 Uhr): 030 600 300 1010 |
Weiter im Wortfeld: Der
clochard als Begriff für Wohnsitzlose wird immer mehr ins Feld eines romantisierenden Narrativs verwiesen, das mit der Wirklichkeit nicht viel gemein hat. Neutraler ist
le/la SDF — sans domicile fixe — Obdachlose, r.
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Immer mehr psychisch Kranke sind obdachlos |
Vor 13 Monaten habe ich bereits über das Thema geschrieben:
Wärme- und Kältegedanken. Damals habe ich auch
"housing first" beschrieben, die zentrale Forderung der Wohnraumversorgung für Obdachlose und zugleich ein bewährtes Aktionskonzept.
Diese Themen haben mich als Dolmetscherin schon beschäftigt, als ich mit französischen Vertreter:innen der aufsuchenden Sozialarbeit in Neukölln unterwegs war. Sie betreffen mich auch als Mensch. Ich finde es ein himmelschreiendes Drama, das so viele Menschen, von denen viele psychisch krank sind, sich selbst überlassen werden.
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Fotos: C.E., #Flokatimann vom #Hermannplatz