Willkommen auf meinen Blogseiten aus der Welt der Sprache. Meine Fachgebiete sind Wirtschaft, Politik, Soziales, Kultur und Film. Die Berlinale geht heute los. Noch ist es ruhig für mich.
Allgemeine Texte in der Presse seien ebenso relevant wie wenn eine bekannte Frauenzeitschrift über das Liebesleben der Pinguine schreiben würde, urteilt eine Kollegin über die irreführende Wiedergabe von Zitaten, die aus dem Kontext gerissen sind. In diesem Fall wird allerdings kein Rechercheinterview zitiert, sondern die Online-Diskussion eines Fachartikels. Konkret geht es um sachlich Falsches, das eine Tageszeitung veröffentlicht hat.
Medien prägen durchaus das Bild, das sich die Bevölkerung von unserem Berufsfeld macht.
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Vor Inbetriebnahme Handbuch lesen! |
Auf den Gruppenseiten eines sozialen Netzwerks debattieren wir über DeepL, ein Übersetzungsangebot, das aus Linguee hervorgegangen ist. Das wiederum ist eine Seite, die Begriffsentsprechungen im Kontext auffindet und einander gegenüberstellt. DeepL geht weiter. Die Webseite bietet gratis Übertragungen an, die besser sind als das, wozu Babelsfish und Google bislang imstande waren.
„DeepL ist inzwischen oft besser als manche Humanübersetzer“, wird heute Übersetzerkollegin Andrea Bernard in einem
Artikel zitiert, den der „Tagesspiegel“ gebracht hat. Dass sie dabei in der Diskussion unter einem Fachartikel gerade keine Profis gemeint hatte, daher der etwas verkrampfte Begriff „Humanübersetzer“, sondern Schüler, Studenten oder Menschen, die ihren Alltag mit Lernen, Haushaltsführung oder Pflege verbringen und vielleicht am Abend über dubiose „Agenturen“ noch den schnellen Taler zu machen hoffen, wird indes nicht wiedergegeben. Das Zitat ist also entstellend. Hier schreibt ein Journalist mit überraschend geringer Recherche- und Reflexionstiefe.
Andrea Bernards Beitrag hatte auf der
Blogseite des Verbands DVÜD exakt die gegenteilige Schlussfolgerung gehabt, dass nämlich die vermeintliche Eleganz und Verständlichkeit mancher „Lösungen“ maschineller Übersetzung die Nutzer blenden würde, sodass sogar schwerwiegende Entstellungen und Verkehrungen möglicherweise unentdeckt blieben.
Aber auch wir nutzen Dienste wie Linguee und DeepL zwischendurch: Um unsere Neuronen zu lockern, um vielleicht auf Musterübersetzungen zu stoßen oder als eines unter mehreren Wörterbüchern. Ersetzen wird uns sowas in absehbarer Zeit nicht. Dafür ist Sprache viel zu komplex, zu emotionsgeladen und unvollständig, zu wechselhaft, gruppengebunden und improvisiert.
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En un tour de manivelle — im Handumdrehen |
Lustig las sich für mich noch ein Zitat im Tagesspiegelartikel. DeepL-Entwickler Kutylowski definiert Dolmetscher als jemanden, der/die „sich mit gesprochenen Texten beschäftigt ...“ Vor meinem geistigen Auge scheinen jetzt eckige Sprechblasen in DIN-Format mit Eselsohren und Randnotizen auf, die rascheln, wie Papier eben raschelt. Hier äußert sich ein Profi mit überraschend geringer verbaler Trennschärfe.
Ich nutze die Gelegenheit, um einen Link nachzutragen. Ralf Lemster, Vizepräsident des Bundesverbands der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) wurde neulich von der
Süddeutschen Zeitung interviewt. Der Experte für maschinelle Übersetzung meint: "Die Texte sind zu komplex und den Programmen fehlt der Kontext."
Kontext, der ewige Schlachtruf der Spracharbeiterinnen und Spracharbeiter! Und Lemster weiter: "Der Horizont der gängigen Übersetzungssysteme ist der Satz und endet mit dem Punkt. Ein Mensch weiß, was drei Sätze zuvor stand und kann einen Zusammenhang herstellen."
Was war sonst heute? Termine machen, lernen, erster Berlinaleempfang, dort Beratung zum Umgang mit gedrehtem, fremdsprachigem Material. Die Frage nach einer Publikation zum Thema kommt auf. Gut, jetzt habe ich also ein Buchprojekt für die Industrie und gleichermaßen für die Forschung. Noch ein Buchprojekt ... Ich weiß jetzt, was ich dieses Jahr hauptberuflich neben dem Dolmetschen machen werde: schreiben!
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Foto: C.E.