Montag, 6. September 2010

Mehr Luft!

Hoppla, ich muss mir mal im Affekt ein wenig Luft verschaffen, das ist wirklich unglaublich! Selbst mir erscheint unvorstellbar, was mir da gerade passiert ist.

Eben rief in meinem Büro jemand von einer kleineren Übersetzeragentur "aus der Provinz" an, wie es in Frankreich heißen würde. Für diese Firma habe ich vor Ewigkeiten mal die eine oder andere Übersetzung gefertigt.

Dame an der Strippe: "Ja, also, wir hätten hier eine Übersetzung aus dem Französischen, eine Projektskizze, irgendwas mit Medien, machen Sie das auch?"
Ich: "Ja, sogar oft. Je nach Schwierigkeitsgrad kostet das zwischen 80 Cent und 1,70 Euro die Übersetzernormzeile." (Ich weiß, dass diese Provinzagentur eher nur einen Euro zahlt, aber es gibt ja doch durchaus unterschiedliche Schwierigkeitsgrade ...)
"Ähm, da haben Sie ja jetzt eine schöne Spanne. Dürfen wir Ihnen mal eine Textprobe mailen?"

Sie darf. Der Text ist ziemlich komplex, ich veranschlage 1,30 Euro je Zeile. Ein zweiter Anruf lässt nicht lange auf sich warten: "Also, das ist jetzt wirklich zu viel, soviel zahlen wir in der Regel nicht. Sie müssen verstehen, dass wir das von einer Agentur aus Dresden haben, die wollen auch ihre 40 Cent machen."
"Naja, wieviel würden Sie denn zahlen?" .....
"50 Cent. Sie haben doch viel Erfahrung, das müsste Ihnen doch schnell von der Hand gehen."

Da bleibt mir erstmal die Luft weg.

"Das tut mir Leid, das liegt Welten unter allem, was wir bislang bekommen haben. Selbst die Agentur XYZ zahlt mehr." (XYZ ist als Billigheimer verschrien.)
"Ja aber Sie müssen sehen, dass wir vertraglich gebunden sind."
" Sorry, aber das sind Ihre Verträge, nicht meine. Zu Niedrigpreisen haben wir auch mal gearbeitet. Aber ich sehe nicht ein, warum ich wildfremde Agenturen durch meine Arbeit ernähren soll. Von dem, was am Ende übrig bleibt, kann ich meine Bude und mich selbst nicht erhalten."
"Ja, ich bin für die Bedingungen nicht verantwortlich, wir haben das selbst von der anderen Agentur so reingekriegt und ..."

Ich wurde dann sehr deutlich und habe gesagt, dass ich mir doch nicht von Firmen, die unter Preis arbeiten, den Markt kaputtmachen lasse und dann auch noch für sie arbeite. Sie hat eingehängt. Bon débarras ! (Fort mit Schaden!)

Ich bin genervt, dass ich jetzt nicht in Ruhe an meiner Arbeit weiterwerke, sondern enerviert bin. Dass ich stattdessen die Anruferin beobachte (erst reagiert sie freundlich, dann flehentlich, am Ende beleidigt.)

Mich ärgert, dass ich so viel Zeit mit der Sache verplempert habe. Und die Dreistigkeit, mit der mir eine Textprobe zugeschickt wird, obwohl ja ganz am Anfang klar gewesen ist, dass selbst meine Einstiegspreise weit über dem Wunschpreis der Agentur liegen.

Und es kommt richtig Wut auf, weil mir jetzt wieder sehr präsent ist, wie ich zu Beginn der Krise mitbekommen habe, dass mancherorts derlei fremdernährtes Personal offenbar derart unterbeschäftigt war, dass einige nicht davor zurückschreckten, systematisch den Markt abzugrasen. (Das ist ein strukturelles Problem, eine größere Bude zu erhalten kostet nun mal.) Dabei hat dann ("der Markt ist frei!") jemand auch Referenzlisten abtelefoniert. Wir haben Kunden, die haben erst nach Vertragsunterschrift gemerkt, dass  sie er ein ganz anderes Dolmetscherteam angeheuert haben. Die Vortäuschung falscher Identitäten lief telefonisch, insofern konnten wir uns nicht einmal wehren.

Ärgern hilft nicht, ich habe mir jetzt meine eigene Antwortmaske für derlei unsittliche Telefonate erstellt. Und Dampf abgelassen mit diesem Blogeintrag.

Und "uns geht's ja noch gold", wie die alte Mutter Kempowski jetzt gesagt hätte. In weitaus schwierigeren Verhältnissen lebt die Masse der Filmschaffenden, deren Werke wir bearbeiten. Hier gibt es Kurzfilme aus diesem Frühjahr zum Thema.

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Foto: Filmstill aus dem Spot "Autorin" der Reihe "Wir sind mehr wert",
Buch: Christoph Brandl, Regie: Marina Caba Rall, Produzent: Wille Bartz für connexx.av

3 Kommentare:

Françoise hat gesagt…

Hallo Caroline,

was Du beschreibst, geht seit Mitte der 90-er Jahre schleichend und ist auf die Marktmechanismen der Globalisierung zurückzuführen. Das vermeintlich leichte Finden von Mitarbeitern, die Vergabe/Lieferung, ohne, dass man sich auch nur zu Gesicht bekommt (via Internet), hat die Sitten nur verschlechtert.

Das kann nur jede/r durch sehr hohe Qualität und mit Geduld und Ruhe für sich selbst abändern, denn mit einem Grundstock an Direktkunden lässt es sich gut leben. Bei mir hat's gute 16 Jahre gedauert, bis die Firma lief, etwas langsamer ging's durch Fräulein Tochter, aber auch nicht viel.

Aber Du machst das ja ganz offensichtlich gut!
Bis bald, Gruß aus dem Süden,
F.

Uli hat gesagt…

Schön wäre es jetzt zu wissen, was die Agentur, die den Auftrag als erste übernahm, dem Kunden berechnet.
Nicht ägern, nur wundern.
Gruß,
Ulrike

Anonym hat gesagt…

Frau Elias,

nicht ärgern und auch nicht meckern! Die ARD brachte heute, dass In Deutschland Akademiker im Schnitt 75 Prozent mehr verdienen als Menschen ohne Hochschulabschluss.

Dass sich da mancher Nichtakademiker überlegt, die Mehrfachdiplomierten ein wenig abzschöpfen, zeigt doch nur, dass bei uns noch Spielräume sind ;-)

Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr
P.W.