Einen typischen Berlinale-Tag gibt es nicht. In der ersten Stunde des Tages dolmetschte ich fürs Forum der Berlinale ein Publikumsgespräch, dann ging's im Taxi nach Hause. Zwischen halb zwei Uhr und acht Uhr Nachtruhe, für Berlinale-Zeiten ist das viel. Nach einem Frühstück mit meinen Logiergästen habe ich mich vier Stunden lang auf die nächsten Einsätze vorbereitet und mittags zwar Suppe aus der Tiefkühlung aufgetaut, aber nicht gegessen: ich hatte vergessen, dass sie mit Knoblauch gekocht war, und der ist in Dolmetschzeiten tabu.
Um vier Uhr ging's flugs zum Potsdamer Platz. Im "Billy Wilder's" traf ich einen ehemaligen Mitarbeiter von "Unifrance", dem französischen Unternehmen, das international französische Filme promotet - er wirbt heute für Frankreich als Drehort und erklärte mir, wie sich die französische Filmförderung der Regionen weiterentwickelt, ich schrieb handschriftlich mit, meine Notizen sind eine Mischung aus Fachinfos und Lexik. Dann rasch zum nächsten Termin, ins Café des CineStar hinter der Glaswand des Arsenal-Foyers, ein Interview zum Thema "Dolmetschen auf der Berlinale" (Ergebnis hier). Nach einer Stunde ein paar Hausnummern weiter zum Empfang von "german films" ins Restaurant Essenza. German films ist das Unternehmen, das sich im Auftrag der deutschen Filmexporteure um die Bewerbung deutscher Filme im Ausland kümmert (also die Entsprechung von Unifrance). Hier aß ich am Buffet zu Abend, erfahre filmpolitische Hintergründe, sprach mit Fernsehleuten und Produzenten, potentiellen Neukunden für Beratung und Sprachdienstleistung.
Draußen tobte derweil der Bär: Limousinen fahren auf, Menschenmassen standen links und rechts des roten Teppichs vor dem Berlinale-Palast, Fernsehjournalisten machten ihre Aufsager in die Kamera.
Und als der Wettbewerbsfilm angefangen hat, gehe ich die Potsdamer Straße ein wenig runter und sitze wenig später in der fast leeren VW-Lounge des Hyatt. Hier sichte ich jetzt auf dem Laptop einen Wettbewerbsfilm, den ich morgen simultan einsprechen werde, die Scheibe dazu hatte am Hotelempfang auf mich gewartet. Es ist bequem hier oben im ersten Stock mit Blick über das untere Ende der Potsdamer Straße, den roten Teppich, die Bäume mit wieder ausgepackter Weihnachtsbeleuchtung und den festlich strahlenden Globen. Ein Kellner verwöhnt mich mit Spezereien des Hauses, während mir der Kopf raucht. Ich sehe den Film und schlage parallel dazu immer wieder (online) Vokabeln nach, flüstere schnelle Passagen mit, mache mir mit viel Geduld den Film mundgerecht. Fachwissen und Vorbereitung sind die halbe Miete ...
"Pling!", jetzt landet die Rede von Dieter Kosslicks Büro im Briefkasten, die er morgen auf Jeanne Moreau halten wird. Später am Abend gehe ich noch kurz auf eine Party - oder auch nicht. Ausreichend Schlaf sind weitere 25 % für das Gelingen meiner Einsätze. Und die restlichen 25 %? Wie wär's mit Gelassenheit und Glück?
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