Montag, 27. November 2023

Premiummarkt

Sie lesen hier einen Blog aus der Ar­beits­welt, genauer: aus dem All­tag einer Dol­met­scherin. Meine Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich arbei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, die Büro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. In der Re­gel ar­bei­ten wir für Di­rekt­kun­din­nen und -kun­den.

"Ihre Ho­no­rar­vor­stel­lung über­steigt das Bud­get", schreibt mir eine Agen­tur, die mich für einen for­dern­den Ein­satz an­ge­fragt hatte. Die Wor­te 'Agen­tur' und 'Bud­get' ha­ben es in sich. Man­che Men­schen, die den Dol­metsch­markt nicht ken­nen, hal­ten Agen­tu­ren für das Pre­mi­um­segment.

Da­bei sind wir un­ab­hän­gi­gen Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen der Pre­mi­um­markt.

Zwei Dolmetscherinnen mit Kopfhörern, Mikrofonen und Computern, die aus einem Fenster auf den Konferenzsaal schauen (im Stil von Henri Matisse)
So "sieht" uns die KI, erneut im Stil von Henri Matisse

Ein "Bug­det" mag eine End­kun­din oder ein End­kun­de in der ei­ge­nen Kal­ku­la­ti­on ha­ben, hier aber han­delt es sich um den Satz, den die Agen­tur im Wett­be­werb mit an­de­ren ge­bo­ten hat — also mit uns Frei­be­ruf­ler:in­nen. Die Agen­tur hat die Aus­schrei­bung ge­won­nen, da sie mög­li­cher­wei­se un­se­re Ho­no­ra­re un­ter­bo­ten hat. Und nun fragt sie uns an, die frü­he­ren Kon­kur­ren­t:in­nen, ob wir be­reit sind, den Ein­satz für die Hälf­te bis zwei Drit­tel un­se­rer üb­li­chen Sät­ze zu er­le­di­gen. 

Die Preis­dif­fe­renz zum Preis­ge­bot ist die (nicht zu knap­pe) Ge­winn­mar­ge der Agen­tur, bei der die öko­no­mi­schen In­ter­es­sen im Vor­der­grund stehen. Das führt auch dazu, dass solche Fir­men bei Aus­schrei­bun­gen mit­bie­ten, auch wenn sie selbst kei­ne Dol­met­scher sind oder im Vor­feld über­prüft ha­ben, ob eine ihr be­kann­te qua­li­fi­zier­te Fach­kraft am fra­gli­chen Ter­min über­haupt ver­füg­bar ist.

Agen­tu­ren ver­fü­gen nicht, an­ders als es man­che Lai­en an­neh­men, über fest­an­ge­stell­ten Fach­kräf­te, die sie dann ent­sen­den, son­dern te­le­fo­nie­ren den Markt ab, um eine freie Per­son zu fin­den, die sie selbst oft nicht aus der Ar­beit kennen.

Es gibt in­zwi­schen nur noch we­ni­ge Dol­metsch­agen­tu­ren, die an­ders ti­cken, die selbst von ak­ti­ven Kon­fe­renz­dolmetscher:innen be­trie­ben wer­den und die ihre Kol­leg:in­nen gut behandeln. Die Bran­che ist nicht ge­setz­lich re­gu­liert, wes­halb es im In­ter­net­zei­tal­ter viel Wild­wuchs gibt.

Wir frei­be­ruf­li­chen Dol­met­scher:innen ken­nen in der Re­gel aus der Dol­metsch­ka­bi­ne jene, die wir in un­ser Netz­werk auf­neh­men bzw. von den en­gs­ten Kol­leg:in­nen ha­ben meh­re­re die Be­treff­en­den be­reits bei der Ar­beit erlebt. Die­ses "Koo­pta­ti­on" ge­nann­te Prin­zip führt in der Re­gel zu ho­her Qualität.

Im Wech­sel stel­len wir selbst re­gel­mä­ßig Teams zusammen. Auch das ist ein Grund, wes­we­gen Frei­be­ruf­ler:innen erst dann mit einem Preis­an­ge­bot auf An­fra­gen ant­wor­ten wenn klar ist, dass der Ter­min von Netz­werk­kol­leg:in­nen über­nom­men wer­den kann. Nor­ma­ler­wei­se sind wir beim Ein­satz mit von der Par­tie. Soll­te die Ar­beit über Ge­bühr auf­wän­dig sein, be­rech­nen wir den Ma­nage­ment­auf­wand üb­li­cher­wei­se ge­sondert, zie­hen das Ent­gelt für die­se Zeit da­für also nicht von den Ho­no­ra­ren der­je­ni­gen Dol­metscherkollegen und -kolleginnen ab, die schließ­lich dol­met­schen, denn das wäre nicht fair.

Un­ser Be­rufs­le­ben ist kom­pli­ziert ge­nug. Da hilft nur Klar­heit. Des­halb heu­te die­se Rich­tig­stel­lung. Sie fällt mir schwer, denn sol­che Zei­len sind ein Ritt auf Mes­sers Schnei­de und eine di­plo­ma­ti­sche Her­aus­for­de­rung.

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Foto:
Dall:e (OpenAI, korrigiert)

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