Sie lesen hier einen Blog aus der Arbeitswelt, genauer: aus dem Alltag einer Dolmetscherin. Meine Muttersprache ist Deutsch, ich arbeite überwiegend mit Französisch und Englisch, die Bürokollegin übersetzt in die englische Sprache. In der Regel arbeiten wir für Direktkundinnen und -kunden.
"Ihre Honorarvorstellung übersteigt das Budget", schreibt mir eine Agentur, die mich für einen fordernden Einsatz angefragt hatte. Die Worte 'Agentur' und 'Budget' haben es in sich. Manche Menschen, die den Dolmetschmarkt nicht kennen, halten Agenturen für das Premiumsegment.
Dabei sind wir unabhängigen Dolmetscher und Dolmetscherinnen der Premiummarkt.
So "sieht" uns die KI, erneut im Stil von Henri Matisse |
Die Preisdifferenz zum Preisgebot ist die (nicht zu knappe) Gewinnmarge der Agentur, bei der die ökonomischen Interessen im Vordergrund stehen. Das führt auch dazu, dass solche Firmen bei Ausschreibungen mitbieten, auch wenn sie selbst keine Dolmetscher sind oder im Vorfeld überprüft haben, ob eine ihr bekannte qualifizierte Fachkraft am fraglichen Termin überhaupt verfügbar ist.
Agenturen verfügen nicht, anders als es manche Laien annehmen, über festangestellten Fachkräfte, die sie dann entsenden, sondern telefonieren den Markt ab, um eine freie Person zu finden, die sie selbst oft nicht aus der Arbeit kennen.
Es gibt inzwischen nur noch wenige Dolmetschagenturen, die anders ticken, die selbst von aktiven Konferenzdolmetscher:innen betrieben werden und die ihre Kolleg:innen gut behandeln. Die Branche ist nicht gesetzlich reguliert, weshalb es im Internetzeitalter viel Wildwuchs gibt.
Wir freiberuflichen Dolmetscher:innen kennen in der Regel aus der Dolmetschkabine jene, die wir in unser Netzwerk aufnehmen bzw. von den engsten Kolleg:innen haben mehrere die Betreffenden bereits bei der Arbeit erlebt. Dieses "Kooptation" genannte Prinzip führt in der Regel zu hoher Qualität.
Im Wechsel stellen wir selbst regelmäßig Teams zusammen. Auch das ist ein Grund, weswegen Freiberufler:innen erst dann mit einem Preisangebot auf Anfragen antworten wenn klar ist, dass der Termin von Netzwerkkolleg:innen übernommen werden kann. Normalerweise sind wir beim Einsatz mit von der Partie. Sollte die Arbeit über Gebühr aufwändig sein, berechnen wir den Managementaufwand üblicherweise gesondert, ziehen das Entgelt für diese Zeit dafür also nicht von den Honoraren derjenigen Dolmetscherkollegen und -kolleginnen ab, die schließlich dolmetschen, denn das wäre nicht fair.
Unser Berufsleben ist kompliziert genug. Da hilft nur Klarheit. Deshalb heute diese Richtigstellung. Sie fällt mir schwer, denn solche Zeilen sind ein Ritt auf Messers Schneide und eine diplomatische Herausforderung.
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Foto: Dall:e (OpenAI, korrigiert)
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