Mittwoch, 25. Januar 2023

Montagsschreibtisch (3)

Bon­jour & hel­lo! Sie lesen hier ein digitales Ta­ge­buchs aus der Welt der Spra­chen, das es seit 15 Jah­ren gibt. Ich über­setze ins Deutsche und dolmetsche bila­te­ral Franzö­sisch/Deutsch. Gerade befinde ich mich im winter­lichen Bo­xen­stop. Und es bremst mich nicht nur der Winter aus.

Altes Büro mit Tisch am Fenster und Hermes auf dem Sockel
Hermes wacht (also eigentlich ...)
Heute ist schon wieder Mon­tag! Also nach der Menge des Schief­ge­lau­fe­nen geurteilt, schon. Her­mes, der Göt­terbote und Schutz­patron der Händler, Reisen­den und Kauf­leute, aber auch der Diebe, der Rhetorik und der Magie ist sicher auch für unser­einen zuständig. Offenbar hat­te er mit seiner anderen Kund­schaft heute so viel zu tun, dass für mich nichts blieb.

Erst brach der Rech­ner zu­sam­men, dann musste ich mein Mail­pro­gramm wieder zu­sam­men­frickeln, dabei fiel mir ein bislang unbekanntes, extrem großes Spam-Post­fach in die Hand, in dem sich auch Nach­richten ernst­zu­neh­men­der Kund:innen be­fan­den, das war dann per Hand zu sor­tie­ren, dann lackierte jemand in der Nach­bar­schaft per elektrisch betriebener Spritzpistole ein Regal mit acht­hundert Fä­chern, mein ganzes Büro stank so nach Lack wie eine Chemiebude, dass ich ab­bre­chen musste. (Wir haben alte Fenster mit von mir rein­ge­kleb­ter Dichtung, Alt­bau.)

Eigentlich hätte ich, à propos Lackierungs­arbeit, heute irgendwo außerhalb Berlins dol­met­schen sollen. Am Telefon war alles klar, Kun­den­besuch aus Frankreich, die tech­ni­schen Probleme, die sprach­lich zu bewältigen sein würden, waren an­ge­ris­sen, erste Begriffe notiert. Dann kam eine schrift­li­che Absage: "Mein Kollege hat in der Zwi­schen­zeit einen Freund an­ge­fragt, der uns helfen wird."

Klasse Berufsqualifikation: Freund. Ich empfahl nachzufragen, wie gut der Be­kann­te Französisch spricht und wo erlernt. Mancher Laie schiebt mit Talent Begriffe hin und her und hält auch fünf, zehn Minuten durch. Fremd­spra­chen­kennt­nisse ma­chen in unserem Beruf allerdings maximal die Hälfte aus, der Rest ist Dol­metsch­tech­nik, Ausdauer, Be­rufs­er­fah­rung und Recherche­methoden, diploma­ti­scher Um­gang und derlei. Einen pro­fes­sio­nellen Austausch ermöglichen nur Pro­fis. (Die Aus­nahme, die die Regel bestätigt, liegt im Promil­lebereich.)

Die Lackier­firma würde sicher kein Schulkind an ihre Geräte lassen, weil es sich im poly­tech­nischen Unterricht oder im Fach „Werken“ recht ge­schickt ange­stellt hat? Oder das Kran­ken­haus die Ände­rungs­schnei­de­rin an den OP-Tisch, weil sie mit Sche­re, Nadel und Faden umgehen kann?

"Und wie war das nochmal mit dem 'Montag'?", höre ich jeman­den laut rein­rufen, "... das verstehen doch nur Mut­ter­sprach­ler:innen! Erklär das bitte noch­mal!"

"Mon­tags­pro­duktion" beschreibt ein Objekt, das dauer­kaputt ist, wie lieblos an ei­nem Montag gefertigt, die Ge­dan­ken des Arbeiters oder der Arbei­terin sind noch in Themen des Wochenendes gefangen, vielleicht fehlt Schlaf, ist Rest­al­ko­hol im Blut.

Beispiel: Ich bekam mal einen Foto­ap­pa­rat zum Ge­burts­tag, der mir leider kaum Freude bereitet hat. Er fiel wiederholt gröblich aus, wurde zwei Mal eingeschickt, kam dann angeb­lich repariert zurück. Nach dem Abitur, von dem Alter hatte ich es ja eben erst, wur­de ich mein Ju­gend­zim­mer foto­gra­fiert, bevor ich es leer­ge­räumt und meiner kleinen Schwester über­ge­ben habe. Als die Fotos aus dem Labor ka­men, saß auf jedem Bild ein per­fektes schwar­zes Quadrat in der linken oberen Ecke. "Mon­tags­pro­duktion", sagte darauf­hin der Mensch vom Foto­fach­ge­schäft.

Auf dem Schreibtisch an diesem Tag, der eine Mon­tags­pro­duk­tion ist: Nachrich­ten durch­sehen, alte Nachrichten löschen, Kos­ten­vor­an­schlä­ge schreiben. Dann weiter: siehe Montag.

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Foto:
Fotoarchiv Elias Lossow

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