Seit 2007 geht es hier regelmäßig um Themen aus dem Leben von Konferenzdolmetscher:innen und Übersetzer:innen, genauer: über meinen deutsch-französischen Alltag in der Welt der Sprachen und der Kommunikation.
Heute vor 60 Jahren wurde der Élysée-Vertrag unterzeichnet. Das deutsch-französische Jubiläum begehe ich dieses Jahr nur privat. Die Festakte werden überwiegend von den in den Ministerien festangestellten Kolleg:innen gedolmetscht, von denen so viele in der Pandemiezeit sehr wenig zu tun hatten. Wir anderen begehen den Tag still und auch mit persönlichen Erinnerungen.
An eine Begebenheit wurde ich diese Woche durch die Frage einer Schreibtrainerin erinnert. Kathrin (Katinka) Kulens-Feistl stammt aus der Filmbranche und zählt zu den Mitbegründerinnen von Pro Quote Film, über die ich hier wiederholt geschrieben habe. Die Regisseurin hat gerade ihr erstes Buch vorgelegt, My lovely Shame, und ist als Dozentin aktiv. Sie lancierte in den Sozialen Medien die Frage: "Wie war das, als einmal alles für Dich auf dem Spiel stand?"
Und so fiel mir eine vergessene Episode ein. Die Vorgeschichte: Als deutsche Oberschülerin habe ich schon vor dem Abitur Hochschulkurse in den Sommerferien besucht. Im Ende der zweiten "Sommerschule" im französischen Tours durfte ich nicht nur die Abschlussgala moderieren, sondern bekam von der Institutsleiterin einen weiterführenden Termin in Paris 'oktroyiert', den ich auf der Rückreise wahrnahm. (Jugendherbergsbett- und Zugumbuchung organisierte und bezahlte das Institut!) Ich legte damals (ohne es genau zu wissen) den Begabtentest "ESEU" für ein Hochschulstudium ab, hatte also ein Jahr vor dem Abitur schon die Studienplatzzusage und entschied mich für die Sorbonne (wo heute die Feierlichkeiten stattfinden).
Zeitsprung, ein Jahr später: Die Ankunft in Paris war holprig, c'est la grève, es ging mit Streik los. Der Orient-Express, der mich über Nacht nach Paris bringen sollte, stand stundenlang auf irgendwelchen Gleisen rum und wir mussten sitzen, die Liegewagenwagons fehlten. Die Zimmersuche in der Stadt meiner Träume war quälend. Am Ende entschied sich alles in einem Augenblick.
Denn irgendwann nahte
der Rückmeldungsschlusstermin an der Uni, dazu brauchte ich aber ein
Konto, um mit dem Scheck die Semestergebühren bezahlen zu können, sowie
eine Wohnadresse. Auch für die Eröffnung eines Bankkontos brauchte ich eine
Adresse sowie einen Status, z.B. Studentin (belegbar durch Ausweis). Es
war die perfekte Quadratur des Kreises.
Ich legte das nochmal in der Filiale am Boulevard Saint-Michel Ecke Saint-Germain dar. Die
Dame vom Bankschalter musterte mich kurz und sagte: "Dann, mein Kind, ist
die Idee mit dem Studium in Paris vielleicht zu groß für Sie!" und
wandte sich brüsk ab.
(Auf Französisch: Là, vous avez peut-être visé trop haut, mon enfant, avec l'idée d'aller étudier à Paris. Solche Sätze brennen sich einem wörtlich ein.)
Der Blick nach oben |
Dann hatte ich eine Eingebung. Ich ging in die Telefonzelle und rief in der Bank an. Ich bat mit fester Stimme darum, mit dem Direktor verbunden zu werden. Ich weiß nicht warum, aber ich wurde vermittelt. Ich sagte: "Ich brauche Ihre Hilfe! Von Ihnen hängt ab, ob ich in Paris studieren kann oder nicht!" und erklärte die Details. Der Bankdirektor ließ mich ausreden und atmete hörbar aus. "Wo sind Sie jetzt?", fragte er.
"Vor der Bank in der Telefonzelle", ich darauf. Ich hob erneut die Augen, sah, wie innen Jalousielamellen hochgezogen wurden.
Ein Kopf erschien, wir tauschten Blicke.
Er nickte.
Eine Stunde später durfte ich dort das erste Scheckheft meines Lebens abholen — mit der Adresse der Jugendherberge drauf! Ich bin viele Jahre in Frankreich geblieben und bekam irgendwann die falschen Komplimente: "Ihr Deutsch ist ja hervorragend!" Für mich ist die deutsch-französische Freundschaft gelebter Alltag, wie es das schon für etliche meiner Vorfahren der Fall war, bis dann die Nazizeit alles zerschlug ... das aber ist ein anderes Kapitel.
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Foto: Photomaton, Paris
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