Sonntag, 22. Januar 2023

Jubiläum

Seit 2007 geht es hier re­gel­mä­ßig um Themen aus dem Leben von Kon­fe­renz­dol­met­scher:innen und Über­setzer:innen, genauer: über meinen deutsch-fran­zö­si­schen All­tag in der Welt der Spra­chen und der Kom­mu­ni­ka­tion.

Heute vor 60 Jahren wurde der Élysée-Vertrag unterzeichnet. Das deutsch-fran­zö­si­sche Jubi­läum begehe ich dieses Jahr nur privat. Die Fest­akte werden über­wie­gend von den in den Mi­niste­rien fest­an­gestell­ten Kol­leg:in­nen ge­dol­metscht, von denen so viele in der Pan­de­mie­zeit sehr wenig zu tun hat­ten­. Wir ande­ren bege­hen den Tag still und auch mit persön­lichen Erin­ne­run­gen.

An eine Bege­ben­heit wurde ich diese Woche durch die Frage einer Schreib­trai­nerin er­in­nert. Kathrin (Katinka) Kulens-Feistl stammt aus der Film­branche und zählt zu den Mit­be­grün­de­rin­nen von Pro Quote Film, über die ich hier wiederholt ge­schrie­ben habe. Die Regisseurin hat gerade ihr erstes Buch vor­ge­legt, My lovely Shame, und ist als Dozentin aktiv. Sie lancierte in den Sozialen Medien die Frage: "Wie war das, als einmal alles für Dich auf dem Spiel stand?"

Und so fiel mir eine verges­sene Epi­sode ein. Die Vor­ge­schichte: Als deutsche Ober­schülerin habe ich schon vor dem Abitur Hoch­schul­kurse in den Sommer­ferien be­sucht. Im Ende der zweiten "Som­mer­schule" im fran­zö­si­schen Tours durfte ich nicht nur die Abschluss­ga­la mode­rieren, son­dern bekam von der Ins­ti­tutsleiterin einen weiterführenden Termin in Paris 'oktroyiert', den ich auf der Rück­reise wahr­nahm. (Jugend­her­bergs­bett- und Zug­um­bu­chung or­ga­ni­sierte und bezahlte das Ins­ti­tut!) Ich legte damals (ohne es ge­nau zu wissen) den Begab­ten­test "ESEU" für ein Hoch­schul­studium ab, hat­te al­so ein Jahr vor dem Abi­tur schon die Stu­dienplatz­zu­sage und ent­schied mich für die Sor­bon­ne (wo heu­te die Fei­er­lich­kei­ten statt­finden).

Zeit­sprung, ein Jahr später: Die Ankunft in Paris war holp­rig, c'est la grève, es ging mit Streik los. Der Orient-Ex­press, der mich über Nacht nach Paris brin­gen sollte, stand stun­den­lang auf irgend­welchen Gleisen rum und wir mussten sitzen, die Lie­ge­wa­gen­wa­gons fehlten. Die Zimmer­suche in der Stadt meiner Träu­me war quä­lend. Am Ende ent­schied sich alles in ei­nem Augen­blick.

Denn irgend­wann nahte der Rück­mel­dungs­schlus­ster­min an der Uni, dazu brauchte ich aber ein Konto, um mit dem Scheck die Se­mes­ter­ge­bühren bezah­len zu können, sowie eine Wohn­adresse. Auch für die Eröffnung eines Bank­kontos brauchte ich ei­ne Adresse sowie einen Status, z.B. Studentin (bele­gbar durch Ausweis). Es war die perfekte Qua­dra­tur des Kreises.

Ich legte das nochmal in der Filiale am Boulevard Saint-Michel Ecke Saint-Germain dar. Die Dame vom Bank­schal­ter musterte mich kurz und sagte: "Dann, mein Kind, ist die Idee mit dem Studium in Paris vielleicht zu groß für Sie!" und wandte sich brüsk ab. (Auf Französisch: Là, vous avez peut-être visé trop haut, mon en­fant, avec l'idée d'aller étu­dier à Paris. Solche Sätze bren­nen sich einem wört­lich ein.)

Der Blick nach oben
Ich verließ die Fi­lia­le, ließ mich auf der Bank vor der Bank fallen und kämpfte mit den Trä­nen. Neben mir eine Te­le­fon­zelle. Mein Blick wanderte hoch: Im ersten Stock überall die glei­chen Ja­lou­sien, anders als bei anderen Fens­tern, wo unter­schied­liche Vor­hänge hingen. Aha, dachte ich mir, da oben sind also Büros.

Dann hat­te ich eine Ein­ge­bung. Ich ging in die Te­le­fon­zelle und rief in der Bank an. Ich bat mit fester Stimme darum, mit dem Di­rek­tor ver­bun­den zu werden. Ich weiß nicht warum, aber ich wurde ver­mit­telt. Ich sa­gte: "Ich brauche Ihre Hilfe! Von Ihnen hängt ab, ob ich in Paris studieren kann oder nicht!" und er­klär­te die De­tails. Der Bank­­di­­rek­­tor ließ mich aus­re­den und atmete hör­bar aus. "Wo sind Sie jetzt?", fragte er.

"Vor der Bank in der Te­le­fon­zelle", ich da­rauf. Ich hob erneut die Augen, sah, wie in­nen Ja­lou­sie­la­mellen hoch­ge­zogen wur­den.

Ein Kopf erschien, wir tauschten Blicke.

Er nickte.

Eine Stun­de später durfte ich dort das erste Scheck­heft meines Lebens abholen — mit der Adres­se der Ju­gend­her­ber­ge drauf! Ich bin viele Jah­re in Frank­reich ge­blie­ben und bekam ir­gend­wann die fal­schen Kom­pli­men­te: "Ihr Deutsch ist ja her­vor­ra­gend!" Für mich ist die deutsch-fran­zö­sische Freund­schaft ge­leb­ter Alltag, wie es das schon für etliche meiner Vor­fah­ren der Fall war, bis dann die Na­zi­zeit alles zer­schlug ... das aber ist ein an­de­res Ka­pi­tel.

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Foto:
Photomaton, Paris

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