Mittwoch, 29. Juni 2022

Konferenzen und Fernreisen

Aus dem Arbeits­alltag einer Dol­met­scherin können Sie auf diesen Seiten einiges er­fah­ren. Meine Muttersprache ist Deutsch, ich arbei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch. Die Pandemie hat unseren Beruf verändert, die Umweltkrise verändert ihn weiter

Der Ton ist metal­lisch, voller Echo, die Sil­ben schei­nen ein­zeln durch­ge­scho­ben zu werden, dann knal­len die Wör­ter so schnell aus der Lei­tung wie eine Salve aus dem Ge­wehr­lauf. Wir sind im Dol­metsch­stu­dio bei einer Arbeit, die in­zwischen zur ei­ner Grund­übung unse­res Berufs avan­ciert ist. Dabei sit­zen jene, die wir ver­to­nen, an einem an­de­ren Ort, vie­le Ki­lo­meter von uns ent­fernt.

Vor einigen Jahren haben wir An­bieter von Fern­dol­met­schen alias Re­mote Si­mul­ta­neous In­ter­pre­ting (RSI) noch ausge­lacht, so geschehen in Berlin auf einem Be­rufs­kon­gress. Wir haben uns ver­äp­pelt gefühlt. Das konnte doch nicht ernst­ge­meint sein: Irgend­wo in einer Box sitzen, ganz ohne Kon­takt- und Nach­fra­ge­mög­lich­keit in der Kaf­fee­pause oder die kurze Erin­ne­rung an aus­ste­hende Prä­sen­ta­tionen, ohne den Be­suchs­an­teil vor Ort, ohne Be­sich­ti­gungen und di­rek­ten Ein­blick zum Thema zu er­hal­ten, wie das sonst häufig der Fall ist? Statt­des­sen ir­gend­wo ab vom Schuss in einer Box zu hocken wie eine x-be­li­ebige Person im Te­le­fon­mar­ke­ting, das hat un­se­xy und vor allem wenig prak­ti­kabel geklungen.

Online-Kon­fe­renz­sof­tware hat un­sere Arbeit ver­ändert

 

Dann schlug auch bei uns die Pan­demie ein wie eine Bombe. Die di­gi­tale Re­vo­lu­tion wird indes von den Ge­ge­ben­heiten hier­zu­lan­de ausgebremst. Deutsch­lands Ruf in Sachen Technik ist bes­ser als das, was vor­han­den ist. Sogar jetzt, im 3. Corona­jahr, gibt es noch Prob­leme mit ver­zerr­tem Ton, der kompri­miert ist oder ab­ge­hackt, mit schwachen Lei­tungen und unzu­rei­chenden Set­tings bei den Teil­neh­men­den "drau­ßen". Die meisten Probleme, so meine Be­ob­ach­tung, entstehen tat­säch­lich dort, an der Aus­gangs­seite mit ge­rin­ger Leis­tung, ab­we­sen­der Netz­an­bin­dung des Rech­ners (Wlan reicht oft nicht) und ­ feh­len­den Head Sets.

Um mehrs­pra­chi­ge Sitzungen erfolg­reich betreuen zu können, ist viel Team­ar­beit zwischen den Dol­met­scher:innen nötig, aber auch mit den Red­ne­r:in­nen, die lang­sam be­grei­fen, was ihr An­teil ist.

Und die auch sonst Ver­ant­wortung übernehmen. Vorbe­reitung auf ein Event, der Redner bleibt zu­hau­se und schreibt sehr freund­lich: "Ich wurde ge­be­ten, den Key­note-Vortrag zu hal­ten. Das habe ich zunächst abgelehnt, weil ich ein Flug­zeug für die Reise hätte be­nutzen müssen, denn die Nacht­züge sind ausgebucht (...) Seit Jah­ren nehme ich keine Einla­dun­gen mehr außerhalb Europas an. Innerhalb des Kontinents reise ich, wo immer möglich, mit dem Nacht­zug. Daher werde ich jetzt zum Event zugeschaltet."

Ja, finde ich über­zeu­gend, zumal er weiter schreibt, er könne als Wissenschaftler nicht ständig die Verschwen­dung von Res­sour­cen und die Ver­schmut­zung der Um­welt anpran­gern und unver­ändert so weitermachen: "Wie kann ich sonst mei­nen Kin­dern erklä­ren, wie der Pla­net in Zu­kunft aus­sehen wird?"

Es ist wichtig, dass das stän­dige Flie­gen nicht mehr als eine nor­ma­le Sache ver­­stoff­wech­selt wird. Ja, Flug­scham muss statt­des­sen nor­mal werden. Und gleich noch ein Ja: Freun­de von uns leben in den USA, die Groß­eltern in der Schweiz. Natür­lich wird da ge­flo­gen. Aber eben auch nicht häu­fig (und sie spen­den viel für Ausg­leichs­pflan­zun­gen). Wir brauchen mehr Viel­flieger, die sich verant­wortlich verhalten, und, wenn mög­lich, auf den Zug um­steigen.

An deut­schen Flug­häfen herrscht dieser Tage Chaos, denn in der Kri­se wurde dort (trotz hoher Sub­ven­tio­nen) Per­so­nal ein­ge­spart. Wir müssen in die Schiene in­ves­tie­ren, die gut beim Pub­li­kum an­kommt, wenn sie be­zahl­bar ist, was das Ex­pe­ri­ment Neun-Euro-Ticket gerade beweist. "Wir brau­chen mehr Züge" sa­gen auch die Fach­leute, hier ein ak­tu­eller Link.

Zurück in die Kabine. Erst Stil­le, dann macht es einmal plopp! ... und poly­per­kus­sive Pat­tern pum­pen sich durchs Netz. Ja, RSI ist häu­fig noch eine Zu­mu­tung, auch hier muss inves­tiert werden. Es ist wohl die schwie­rigste Ar­beits­wei­se in unserem Berufs. Wie gut, dass wir alle im Netz­werk in den letzten Jahr­zehn­ten viel Er­fah­rung sam­meln konnten, so dass wir ge­­wapp­net wa­ren dafür.

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Foto:
C.E. (Archiv)

Dienstag, 28. Juni 2022

Das Maskottchen des Dolmetschbüros

Ein­blicke in den Berufs­all­tag einer Über­setzerin­ und Dol­met­scherin kön­nen Sie hier be­kom­men. Wie die Mehr­zahl bin auch ich selb­stän­dig. Der­zeit macht die Hitze die Ar­beit etwas be­schwer­lich ...

Gestern war es dem Bü­ro­tier, einem kleinen Nil­pferd, zu heiß. Im Büro waren es 30° Celsius, und es ist leicht durchgedreht (klick). Warum muss Hippo hier als Mas­kott­chen mit­ar­bei­ten? Mein Nil­pferd ist ein altes Steiff­tier, und ich habe es mal ges­chenkt be­kom­men. Damals war kein Kind zum Wei­ter­ver­schenken in der Nähe. Jetzt hat es hier ein Ge­wohn­heits­recht.

Ich finde Fluss- oder Nil­pferde schön. Sie wich­tig und auch ein wenig skurril. Leider sind auch sie vom Aus­ster­ben be­droht. Und hierin sind sie unsere Hel­den: Sie kön­nen ihre Ohren ver­schlie­ßen — sie machen ein­fach zu und nichts kommt mehr her­ein. Bei den Fluss­pferden geht's vor allem um das Was­ser. Als Dolmet­scherin wür­de ich mir sowas wün­schen, um nicht stän­dig der Umwelt aufs Maul hören zu müssen. Wir können näm­lich nicht so einfach weg­hören. Wir sind darauf trai­niert, Zu­sam­men­hänge zu be­grei­fen und hören selbst dann mit halbem Ohr mit, wenn wir in der Kabine Pause haben, wir dürfen ja den An­schluss nicht ver­lie­ren. Und lei­der färbt das auf den All­tag ab. Wer wie wir der­art aufs Hin­hören ge­schult ist, hat Mühen, weg­zu­hören.

Sein grie­chi­scher Name Hip­po­po­ta­mus wird auch auf Eng­lisch ver­wen­det. Im Kin­der­garten ha­ben wir ein wun­der­ba­res Arche-Noah-Lied ge­lernt, das mich als Mini vor allem bei beim Vers mit dem Fluss­pferd be­geis­tert hat. Und wenn ich als Kind dann das Zim­mer nicht ver­las­sen wollte, verwandelte ich mich subito in ein Fluss­pferd und habe zi­tiert: The big hip­po­po­ta­mus stuck in the door

Als ich dann ein Grund­schul­kind war, sa­ßen mei­ne Mom und ich mal im Zir­kus in der Lo­ge, die Kar­ten waren mein Ge­burts­tags­ge­schenk, al­ler­dings direkt neben dem Ma­ne­gen­ei­ngang: Wir haben al­le Tricks und Tie­re nur von hin­ten ge­se­hen und das große Tier der Stadt, den Bür­ger­meis­ter, von vorn. Mein Schul­bild der Ar­che Noah zeig­te dann et­li­che Jahre spä­ter auch die Tiere von hin­ten, wie sie paar­weise auf die Ar­che zu­lau­fen.

Das Kinder­bild ist ver­lo­ren gegangen. Und ich kann lei­der nicht mehr so kind­lich-naive Dar­stel­lungen liefern, wie ich mir das wün­sche. Hier eine kleine Neu­in­ter­pre­tation, allerdings ohne big hip­po­po­ta­mus, dafür mit Katze und Maus als Schluss­licht. Das wird schon damals so gewesen sein. Eine Ge­denk­mi­nute für unsere da­ma­lige Haus­katze Biche.

The Animals Went in Two by Two



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The Animals Went in Two by Two
(Zur Musik "When Johnny Comes Marching Home")

The animals went in two by two, hurrah, hurrah,
The animals went in two by two, hurrah, hurrah.
The animals went in two by two,
The elephant and the kangaroo
And they all went into the ark, for to get out of the rain.

The animals went in three by three, hurrah, hurrah,
(... Wiederholungen wie oben)
The wasp, the ant and the bumble bee,
And they all went into the ark, for to get out of the rain.

The animals went in four by four, hurrah, hurrah,
(...) The big hippopotamus stuck in the door,
And they all went into the ark, for to get out of the rain.

The animals went in five by five, hurrah, hurrah,
(...) By hugging each other they kept alive,
And they all went into the ark, for to get out of the rain.

The animals went in six by six, hurrah, hurrah,
(...) They turned out the monkey because of his tricks,
And they all went into the ark, for to get out of the rain.

The animals went in seven by seven, hurrah, hurrah,
(...) The little pig thought it was going to heaven,
And they all went into the ark, for to get out of the rain.

The animals went in eight by eight, hurrah, hurrah,
(...) The turtle thought he was coming late,
And they all went into the ark, for to get out of the rain.

The animals went in nine by nine, hurrah, hurrah,
(...) Marching up in a long straight line,
And they all went into the ark, for to get out of the rain.

The animals went in ten by ten, hurrah, hurrah,
(...) The last one in was the little red hen,
And they all went into the ark, for to get out of the rain. :|

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Illustration:
C.E.

Montag, 27. Juni 2022

Auf dem Schreibtisch (LXV)

Hel­lo, bon­jour, gu­ten Tag! Ein­blicke in das Le­ben einer Sprach­ar­bei­te­rin kön­nen Sie hier er­hal­ten. Ich bin Dol­met­sche­rin für die fran­zö­si­sche Spra­che mit Deutsch als Mut­ter­spra­che. Ich über­set­ze auch aus dem Eng­li­schen, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Sprache.

Andere planen ihren Urlaub, wir planen die kommenden Arbeitswochen. Eine(r) muss ja die Stellung halten ... Auf dem Programm:

Kalender, Eiffelturm, Stofftier
Auf dem Se­kr­etär, Hippo macht Unfug
⊗ Rech­nungen schrei­ben
⊗ Lek­to­rat ei­nes Dreh­buchs
⊗ Baustel­len­lexik à jour brin­gen
⊗ Bau­stel­len-Jour Fixe (on­line)
⊗ Nach­be­rei­ten der Le­xi­ken der letz­ten Woche (Po­li­tik, Menschen­rech­te)
⊗ Erneutes Einlesen in The­men der Kli­ma­an­pas­sung der Land­wirt­schaft
⊗ ... und der Bo­denre­ha­bi­li­ta­tion, des Hu­mus­auf­baus, der mi­kro­biel­len Di­ver­si­tät
⊗ Vor­be­rei­tung einer internationalen Ge­werk­schafts­kon­fe­renz
⊗ Wei­ter in der Buch­über­set­zung
⊗ Gar­de­robe prü­fen und à jour brin­gen für ei­nen einwöchigen Som­mer­ein­satz mit Po­­li­­ti­­ker:in­nen

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Foto: C.E.

Freitag, 24. Juni 2022

Amor vs. Hermes, die Erste

Ob zu­fäl­lig oder ge­plant: Sie sind hier auf Sei­ten eines digi­talen Tage­buchs aus der Ar­beits­welt gelan­det. Ich bin (mit Deutsch als Muttersprache) Dol­met­scherin für die fran­zösische Spra­che (und aus dem Eng­li­schen), und ich be­rich­te hier aus dem All­tag.

Ohne Dolmetschbedarf
Kurioses aus dem Dol­metsch­bü­ro: Eine Frau ruft an, stellt sich vor, bittet um Ent­schul­di­gung für die Störung. Sie sei in gerade Frank­reich und würde leider nach einigen Jahren Schul­fran­zö­sisch kaum Fran­zösisch spre­chen. Sie habe einen Mann ken­nen­ge­lernt, der kein Deutsch und kaum Eng­lisch spräche. Nun ha­be sie seine Tele­fon­num­mer ver­lo­ren. Sie wisse aber, wo er ar­bei­tet. 

Nur sei er dort nicht an­zu­tref­fen. Er habe ihr un­längst etwas von arrêt de tra­vail gesagt. Was er ihr habe mit­tei­len wollen, möchte sie wissen.

Ich grinse still. Nor­ma­ler­weise wird in Kun­den­ge­sprä­chen nach der Er­klä­rung des Be­darfs über Geld gesprochen. Nicht so hier. 

Wenn der kecke Ben­gel Amor seine Pfeile verschießt und Götter­bote Her­mes, das ist jener, der für die Kom­mu­ni­ka­tion zuständig ist, ihm in den Arm fällt, ist ein wenig Dolmetschpower Ehrensache.

Arrêt de travail heißt üb­li­cher­weise Krank­schreibung, sage ich ihr. Das hät­te sie auch her­aus­ge­fun­den, meint die An­ru­fe­rin. Viel­leicht habe er etwas an­de­res sagen wollen, denn er sei kern­gesund. Er habe sich möglichst ein­fach aus­ge­drückt, um ihre mini­malen Fran­zö­sisch­kennt­nis­se nicht über­zu­stra­pa­zieren.

Cette semaine, j'arrête de tra­vailler, hat er vielleicht gesagt, wörtlich: "Die­se Wo­che höre ich zu ar­bei­ten auf." Ich spre­che den Satz laut vor, sie bejaht. Wie kann das sein ge­meint sein? "Diese Woche beende ich die Arbeit", ich habe bei der Firma gekündigt, na klar, aber auch: "Das ist meine letzte Ar­beits­wo­che" für im­mer und ewig. (Ich kenne je­man­den, der in Frank­reich mit 55 Jahren in Rente ge­gan­gen ist, da er als jun­ger Mensch eine Zeit­lang für ein Berg­bau­un­ter­neh­men tätig war. Glück­wunsch auch auf diesem Weg!) Oder aber er hat schlicht gemeint, dass es die letzten Ar­beits­ta­ge vor der Som­mer­pau­se sind.

Leider kom­men wir nicht weiter, kann ich hier nicht weiter­helfen. Ich wünsche der Dame alles Gute und erlaube ihr, mich bei Be­darf wieder zu stören. Solche Stö­run­gen sind selten, kommen vor und nein, dies hier ist keine Er­mu­ti­gung, mich als lau­fen­des Wör­ter­buch an­zu­spre­chen. Ich bin Kon­fe­renz­dol­met­scherin und Über­set­zerin, ver­di­ene damit mein Geld, und werde den Sommer über gro­ßen­teils die Stel­lung halten, wäh­rend die Kol­leg:innen im Ur­laub sind (oder sich von Covid-19 er­ho­len).

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Foto:
Motiv von der Frankfurter Buchmesse (2017)

Donnerstag, 23. Juni 2022

Sommerkabine

Ein­blicke in den Berufs­all­tag von Über­setzer:in­nen und Dol­met­scher:inn­en be­kom­men Sie hier. Die meis­ten von uns sind selb­stän­dig. Die Co­ro­na­pan­de­mie hat die wirt­schaft­li­chen Grundlagen der meis­ten von uns er­schüt­tert, die Arbeit an­stren­gen­der ge­macht. Was sich lang­sam ändert ist, dass die Sommer­pause später ein­setzt. Und ja, das ist gut so, auch wenn es an­stren­gen­der ist.

Blick nach drau­ßen
Dol­met­schen an heißen Som­mer­ta­gen oder: Wo sind ei­gent­lich die Kühl­pads, wenn sie ge­­braucht werden? Heiß, heißer, am dol­metsch­ka­bi­nen­hei­ßes­ten. Drau­ßen sind's 30 Grad Cel­sius, die Grade in der Dol­met­sch­ka­bine blei­ben un­er­fasst. Wir lei­den und schweigen nicht. Al­ler­dings spricht bei der Arbeit nie­mand über die Hitze. Lam­pen aus, die Birn­­chen er­zeu­gen mehr Wärme als Hel­lig­­keit. Wa­rum gibt's gleich drei davon?

Stilles Wasser rinnt die Keh­len hinunter, im­mer nur kleine Fläsch­­chen, weil der Nach­schub gut gekühlt sein muss. So oft haben wir nie im Wechsel die Box ver­lassen.

Die Hüt­ten sind ja nicht sehr groß, etwas mehr als andert­halb Me­ter zum Qua­drat, und nicht sehr hoch, von den we­ni­gen Män­nern im Beruf be­kom­men jene, die auf zwei lau­fen­de Meter zugehen, innen drin Probleme. Aber die Din­ger sind ja nicht zum Drin­rum­laufen oder Drin­rum­stehen gemacht. Also fällt es an nor­ma­len Tagen nicht auf. Nur an hei­ßen Tagen könnte ein Mathe­hirn, solle es nicht gerade vom Weg­schmel­zen be­droht sein, ausrech­nen wol­len, wie viel Luftraum bei 1,6 x 1,6 x 2,0 m die Teile bie­ten. Manches ist nicht han­dels­üblich, nicht ISO-konform, also noch kleiner.

Nur nicht auf die Wän­de schau­en: Tep­pich­bo­den, graue Schlinge, darunter ir­gend­ein spät­aus­ga­sen­des Plastik, das nach neuer Turn­halle riecht und die Jahres­zeit dazu nutzt, sich olfaktorisch in Er­in­ne­rung zu bringen. Die Tür der Selbst­bau­box geht nicht ganz zu, gut so. Jeder Luft­hauch ist will­kom­men.

Wann ist endlich wieder Pau­se? Wir sitzen bei ei­nem Hybrid­event, mal fällt am ei­nen Stand­ort das Bild aus, mal beim an­de­ren der Ton. Es entstehen will­kom­me­ne Päus­chen. Wir üben uns in Geduld (und sind we­niger gut drin, wenn es so heiß ist). Der Aus­tausch­be­darf ist riesig, er hält alle bei der Stange, uns auch. Wir ar­bei­ten mit den Spie­gel­neu­ro­nen, mit Empa­thie, ver­ges­sen im Eifer des Gefechts, auf Französisch übrigens le feu de l'action, das Feuer der Aktion, die ei­ge­nen Be­dürf­nisse.

Der Arm reagiert mit Hitze­pickeln. Inmitten der kleinen Pünk­tchen sitzen zwei juckende Mücken­stiche. Packe ich jetzt das An­ti-Juck-Spray von der Imkerin aus? Es hat einen zar­ten Duft nach Arnika, Spitzwegerich und Pro­po­lis? In der Kabine sind Par­fü­me tabu, viele von uns nutzen be­wusst un­par­fü­mierte Seifen und Deos, um die je­weils andere nicht im Ge­rings­ten mit un­er­war­te­ten Aromen zu nahe zu treten. Also das Zeug in der Tasche lassen.

Rechner aus! Lämp­chen aus!

Und dann scheint es auch noch dem In­ter­net zu heiß zu sein. Erst fällt hier das Bild aus, dann wackelt da der Ton: Die Wör­ter rut­schen schnell durch die Lei­tung und pur­zeln kas­ka­den­artig auf­ein­ander auf unserer Seite wieder raus, dann ist es für Se­kun­den­bruch­tei­le still, dann folgt eine Art Quiet­schen, eine Ver­zer­rung. Zwi­schendurch sind Wör­ter zu verstehen.

Die Kol­legin macht eine An­sa­ge: "Leider kön­nen die Dol­met­sche­rin­nen keine kon­ti­nu­ier­liche Über­tra­gung ga­ran­tie­ren" ... dann probieren wir, was eben möglich ist: Eine schreibt mit, was sie erkennt, die an­dere spricht. Im Zu­sam­men­hang und durch die Wie­der­ho­lun­gen ent­steht dann doch noch Sinn.

Irgend­wann stelle ich sogar den Com­pu­ter aus, weil auch der "mit­heizt". Am Ende ver­las­sen wir die die Kabine fluchtartig.

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Fotos: C.E.

Museum der Wörter (29)

Bien­ve­nue auf den Sei­ten einer Sprachar­bei­te­rin. Wir Über­setzerin­nen, Über­set­zer, Dol­met­sche­rin­nen und Dolmetscher ar­beiten seit Beginn der Pan­demie an­ders als zu­vor. Ich sitze öfter im Zug, zu­samm­en mit den privat ver­an­lass­ten Reisen seit einem halben Jahr­zehnt, und die Bahn hat mir in­zwi­schen die gol­de­nen Schul­ter­klap­pen der Vie­lrei­sen­den verpasst oder sowas in der Art. Auf der Rei­se fiel wie­der was fürs Wör­ter­mu­seum ab.

Mobilität und Grün im Berliner Regierungsviertel
Ansage der Zug­be­glei­te­rin: "Liebe Rei­sen­de, die Abfahrt des Zu­ges ver­zögert sich lei­der noch auf un­be­stimm­te Zeit, wir war­ten auf weitere Fahr­plan­un­terlagen!"
— Reisende Eins (Grund­schü­le­rin): "Einmal bei Google nach­sehn viel­leicht?"
— Rei­sen­der Zwei (Papa): "Na, ist der Drucker wieder kaputt?"
— Reisende Drei (Oma): "Schaut doch ins Kurs­buch!" 


Ach, das Kurs­buch, wieder so ein Fall fürs Mu­seum der Wörter!

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Foto:
C.E.

Dienstag, 21. Juni 2022

Auf dem Schreibtisch (LXIV)

Bonjour & hel­lo! Sie sind auf den Sei­ten eines digitalen Ta­ge­buchs aus der Welt der Sprachen ge­landet. Seit 2007 blog­ge ich hier über das Be­rufsle­ben der Über­set­zer und Dol­met­scher. Meine Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch, da­ne­ben auch mit Eng­lisch. Und schon ist wie­der Som­mer­an­fang!

Rush, rush wieder in den Büroalltag reingerauscht, dort den Blick auf den Schreib­tisch gewagt:

Stillleben im Arbeitszimmer
⊗ Bank­ter­mi­ne für eine Pri­vat­kun­din machen
⊗ Über­set­zung für ein Museum
⊗ Baustel­len­lexik à jour brin­gen
⊗ Rech­nungs­ein­gang prü­fen
⊗ Kol­le­gin für ei­nen Si­mul­tan­dol­metsch­ein­satz in der Ur­laubs­zeit su­chen
⊗ Wei­ter in der Buch­über­set­zung
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Foto:
C.E. (Archiv)


Montag, 20. Juni 2022

Wetterfest

Bon­jour & hel­lo! Sie sind auf den Sei­ten eines digitalen Ta­ge­buchs aus der Welt der Sprachen ge­landet. Seit 2007 blog­ge ich hier über das Be­rufsle­ben der Über­set­zer und Dol­met­scher. Seit dem Aus­bruch der Co­ro­napandemie arbeite ich über­wie­gend für die In­dus­trie und auch ein wenig für Pri­vat­kund:in­nen.
Tisch, Tastatur, Stempel ... die coronakonforme Abtrennung ist zu erahnen
Die Trennscheibe ist eine akustische Erschwernis

Gestern wa­ren es 37 Grad Cel­sius in Ber­lin, heute sind es 14 Grad. Solche Tem­pe­ra­tur­stürze sind un­ge­wöhn­lich, vor allem dann, wenn sie (hier im geo­gra­fisch öst­li­chen Teil der Stadt) nur mit 15 ¾ Re­gen­trop­fen ver­bun­den sind: statt er­gie­bi­gem Land­re­gen gab's etwas Blitz und Don­ner und viel Wind. Der Wind hat die Wald­brän­de süd­west­lich von Berlin an­ge­facht, wo 100 Hektar und etliche Ort­schaf­ten be­trof­fen sind; die Fotos se­hen nach In­fer­no aus.

Hun­derte Men­schen wurden eva­ku­iert. In den Medien spre­chen die Feuer­wehr­leu­te inzwi­schen Klartext: "Der Klima­wan­del ist da!" Noch vor einigen Jahren war meine Auf­merk­sam­keit in diesem The­ma auf ver­gleich­bare Er­eig­nis­se in Kalifornien be­schränkt.

Dieser Tage bin ich wieder viel un­ter­wegs: zwei be­rufs­be­ding­te Reisen, für Stamm­kun­den fahre ich so viel, dass ich jetzt die goldene Kun­den­karte der Bahn bekom­me, sowie eine fa­mi­lien­be­dingte Reise, neben der Bahn auch mit Auto, U-Bahn, Bus und zu Fuß, in Summe knapp 3000 Kilo­me­ter in zehn Ta­gen. Zwi­schen­durch in Ber­lin Wä­sche wa­schen und auf dem Amt für Freunde dol­met­schen. Die Braut in Spe war vor Jahr­zehn­ten als Fille au pair in Frank­reich ge­we­sen, er kommt aus Qué­bec. Frös­telnd eile ich ins Rat­haus. Ich hatte unter­schätzt, wie stark die Au­ßen­tem­pe­ra­tur ge­sun­ken war.

Vor Ort dann eine neue Erfahrung des Si­mul­tan­dol­met­schens: Die Stan­des­be­am­tin |sagt| nuschelt hinter ihrer Glas­scheibe zwei Sätze, ich dol­metsche den ersten, der die Hauptinfo im zweiten Satz an­mo­deriert, und bevor ich dazu komme, den zweiten Satz zu dol­met­schen, überträgt die Braut, die bei anderen Behör­den­gän­gen regel­mäßig die Verstän­di­gung ihres Zu­künf­ti­gen si­cher­stellt, das Résumé des zweiten Satzes. Der Bräu­ti­gam, der zwi­schen uns sitzt, grinst, und er kom­men­tiert: "So hab ich mir das Si­mul­tan­dol­met­schen immer vorgestellt!"

Schnell nach­hause, ver­nünftig anziehen! And a short note to self: Die Braut in spe hat recht. Bei in­for­mel­len Ge­sprä­chen kommt es auf das We­sent­li­che an, nicht so sehr auf rhe­to­ri­sche Schlenker.

P.S. (Abend): Die Brän­de vor Ber­lin sind zum Glück erst­mal be­ru­higt, dort kam wohl mehr Re­gen runter. Aber die Bö­den sind nur an der Ober­flä­che feucht, da­run­ter ist er noch glü­hend­heiß, außerdem gibt es Torf­ge­biete und Mu­ni­tions­reste.
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Foto:C.E.

Dienstag, 14. Juni 2022

Distanz

Hel­lo, bon­jour, gu­ten Tag! Ein­blicke in das Le­ben einer Sprach­ar­bei­te­rin kön­nen Sie hier erhalten. Ich bin Dol­met­sche­rin für die fran­zö­si­sche Spra­che mit Deutsch als Mut­ter­spra­che, und ich über­set­ze auch aus dem En­g­li­schen. Wir sind mit­ten in der (wieder verlangsamten) Früh­jahrs­sai­son nach zwei sehr schwie­rigen Jah­ren.

Das Dol­met­scher:in­nen­le­ben kann mitunter ziem­lich kom­pli­ziert sein. Die Pande­mie ver­än­­dert unser Ver­hal­ten nach­haltig. Ich bin kein großer Fan mehr von Hän­de­schüt­telei.

Dieses Schild wäre ein gutes T-Shirt-Motiv
Neu­lich, vor ei­nem Kurz­ein­satz, woll­ten mir die Haupt­be­tei­lig­ten ganz rus­tikal die Hän­de schüt­teln. Ich war da nicht so be­geis­tert. Zie­rte mich ein we­nig in der Hoff­nung, die Leute wür­den mer­ken, dass ich das nicht so gut fin­de als Idee. Lei­der ha­ben sie es nicht ge­spürt.

Was tun in sol­chen Fäl­len? Et­was sa­gen? Rasch zum nächs­ten Punkt übergehen, es ge­wis­ser­ma­ßen ver­ges­sen?

Rück­blen­de: In einem früheren Leben, in einem früheren Jahr­hun­dert war ich kurz nach dem Stu­dium Re­dak­teu­rin im da­ma­li­gen ORB, im Sender Bran­den­burgs, kurz nach der deutschen Ein­heit. Damals kamen die Chefs fast alle aus dem Wes­ten und wurden als dis­tan­ziert wahr­ge­nom­men. Ost­chefs und -kol­le­gen galten als viel di­rek­ter und handfester ... im wahrs­ten Worts­inn. Sie gaben die Hand, sie lie­ßen Haut­kon­takt zu. Der Hände­druck sagt viel über Men­schen aus. 

Dieser Kon­takt, diese Kom­mu­ni­ka­tion fehl­ten vielen Menschen im Osten. Im Wes­ten war das Hände­schüt­teln vor dem Mauer­fall fast ausge­storben, zumin­dest in vie­len Be­völ­ke­rungs­schich­ten. Dann kam es in eini­gen Re­gionen wie­der. Nun kann es meinet­we­gen erneut aus­ster­ben ... sagt eine, die in Frank­reich einen Teil der Jung­er­wach­se­nen­so­zia­li­sa­tion erlebt hat. Dort be­kommt man sich viel mehr mit durch la bise, Küss­chen links, Küss­chen rechts. Als ich dann nach Deut­schland zu­rück­kam, ging es mir wie den Os­sis mit den Wes­sis: Alle so dis­tan­ziert hier!

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Foto:
C.E. (Archiv)

Montag, 13. Juni 2022

Lebenslanges Lernen

Was und wie Über­setzer und Dol­met­scher arbeiten, können Sie hier mitlesen. Die meis­ten von uns sind selb­stän­dig. Co­ro­na hat unsere Bran­che ganz schön mit­ge­nom­men.
Im Regierungsviertel

Tages- und We­ge­­pla­­nung für die kom­­men­den Tage und Wochen. Eine Kol­le­gin sendet uns In­for­ma­tio­nen zu einem Ver­an­stal­tungs­ort zu, der noch sehr neu klingt. Neulich kam sein Name zum ersten Mal an mei­nen Oh­ren vorbei. Der Ort klang nicht nur neu, er lag auch in einer mir un­be­kann­ten Straße.
Nun habe ich Berlin 1988 das ers­te Mal be­tre­ten. Natür­lich wurden seit­her viele Straßen um­be­nannt — aus bekann­ten Gründen.

Natürlich war ich auch zwi­schen­durch viel weg, Mo­nate, Jahre, und ist die Stadt sehr groß: Et­li­che Vier­tel ent­ste­hen ge­ra­de neu, da ist stän­dig etwas hin­zu­zu­ler­nen. 

Veran­stal­tungs­orte sollte ich als erfah­rene Dolmet­scherin aller­dings kennen. Die Post­lei­tzahl sah bekannt aus, nach Nach­bar­schaft, fast so wie meine. Mich hat das ge­fuchst. Habe ich etwa grobe Er­in­ne­rungs­lücken nach Covid-19?

Die Ein­la­dung ging dann so wei­ter: "Das Oyoun kennen man­che von euch viel­leicht unter sei­nem alten Namen 'Werk­statt der Kulturen'. Es liegt in der Lucy-Lameck-Str. 32, die Straße wurde ebenfalls umbenannt. Mehr Infos zu Lucy La­meck findet Ihr hier: Wikipedia zu Lucy Lameck."

Lifelong learning, sag' ich da nur. Jetzt ist die zwei­te echte Kon­­fe­­renz dieses drit­ten Co­ro­na­früh­som­mers in Sicht. Vorfreude. Und die anderen Ter­mi­ne sor­tie­ren sich soweit ganz gut. In Sachen Nach­hol­ef­fe­kte und Fast-ein-Pan­de­mie­päus­chen sei hier zu Protokoll gegeben, dass wir Si­mul­tan­dol­met­scher:innen im Durch­s­chnitt, was die Nachfrage angeht, mit klassischen Kon­fe­ren­zen ver­mut­lich aktuell ir­gend­wo gegen Ende der Frühjahrssaison 2020 stehen.

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Foto:
C.E. (Archiv)

Freitag, 10. Juni 2022

Doppelpumpsystem

Bonjour und gu­ten Tag! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, na­tür­lich auch die ":innen" im Be­ruf, also wie wir ar­beiten, ist hier, in mei­nem di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buch, seit 2007 Gegen­stand in Form kur­zer Epi­soden. Die Pan­demie hat die Arbeit ver­än­dert. Die Dol­metsch­ein­stel­lungen der gän­gi­gen Online­kon­fe­renz­sei­ten sind in­des oft zu we­nig fle­xi­bel.

Split Screen mit zwei Personen: Handy am Ohr / Skizze
Screenshot (Ausschnitt)

Fern­dol­met­schen für die Bau­stel­le eines französi­schen Kun­den in Westdeutschland: Der Bau hat mehrere Monate Ver­zug, es man­gelt an Material und Hand­wer­kern. Dass die Lie­fer­ket­ten ge­stört sind, spü­ren wir täg­lich. Vielleicht ist just in time, wie der Missbrauch der Autobahnen als rollende Lager­hallen kaschierend genannt wird, doch keine so gute Idee.

Beim Dolmetschen jedenfalls jong­liere ich von jetzt auf gleich mit Fach­be­grif­fen. Zum Glück läuft ein Teil der Baukom­mu­ni­kation auch über meinen Mail­account, so dass ich beim Kor­rek­tur­lesen der maschinellen Übertra­gung via DeepL-Fir­men­account alles re­cher­chieren und mir auch die Termi­no­lo­gie raus­schrei­ben und ler­nen kann.

Oben ein Foto davon, wie Ferndol­metschen beim Planungs­termin aussieht. Eben hatten die verschie­denen Gewerke ihren Termine der kom­men­den Woche be­spro­chen. Das lassen wir sie auf Deutsch machen. Die Gewerke ver­wen­den "Microsoft Teams", hier gibt es keinen geson­derten Dolmetsch­kanal. Den franzö­sischen Si­mul­tan­dol­metsch­ton liefere ich per Handy, weshalb der Kunde in Frankreich hier noch ein Handy am Ohr hat.

Bei den Kanälen der ande­ren Anbieter gibt es 'nur' die übliche Konfe­renz­schal­tung, da lässt sich entweder die eine oder eben die andere Sprache verfolgen. Ich muss aber auch für alle immer wieder hörbar sein, muss schnell hin- und her­schalten können zwischen FR für einen und DE oder zwei­sprachige Kom­men­tare, ganz fix, an alle, was bei Konfe­renzen ein/e Mo­de­rator/in machen würde. 

Wir haben die Sache mit dem Handy so vereinfacht, dass ich mei­nen französischen Dol­metschton wegschalte, während die Vertreter der Gewerke spre­chen, dann klicke ich das Mikro von "Teams" aus (oben links zu sehen). Manch­mal lasse ich wie beim Fernseh­ton den Anfang meiner Verdol­metschung stehen oder schalte mich am Ende noch zu, damit die anderen, die mehr­sprachig zu arbei­ten ge­wöhnt sind, wis­sen, dass die dolmetschbedingte "Überlap­pung" eben zu­en­de geht.

Einschub und Erklärung der Überlappung für Leser:innen, die das Thema noch nicht kennen: Anders bei der Vertonung von Interviews in TV-Reportagen zum Beispiel ist Simul­tan­dol­metschen nie zu hundert Prozent syn­chron, denn unser­einer muss ja erstmal ein wenig zuhören und begreifen, wo­von die Rede ist, bevor gedol­metscht werden kann. Ent­spre­chend verlängert sich die "Dol­metsch­sprech­zeit". Einschub­ende.

Heute wird es wieder sehr technisch. Mir fehlt, wenn ich das Handy selbst halte, die dritte Hand, denn parallel zum Dolmet­schen muss ich tippen und weitere Fach­be­griffe nach­schlagen. Das geeignete Tisch­stativ dafür habe ich noch nicht ge­fun­den (meistens ein Problem der Hal­te­rungen, der kip­pe­ligen Beinchen und der Sta­tiv­länge).

Am Ende habe ich nur noch zwei Teil­nehmer. Es geht um Pla­nungs­de­tails. 

Küchenbetriebe, Hotels und Gast­stätten müssen soge­nannte Fettabscheider in­stal­lie­ren, um das Schmutz­wasser vor der Einleitung in die Kanalisation vor­zu­rei­nigen. Das deutsche Nor­mungs­ins­ti­tut nennt derlei "Abschei­der­an­lagen für Fette", wobei man sich hier der Schwerkraft bedient: Wasser, Fett und Schmutz­partikel sind un­ter­schiedlich dicht, sie trennen sich im Abschei­de­be­hälter von selbst. So ein Be­häl­ter muss re­gel­mä­ßig ent­leert werden, und es sind Vor­­keh­­rungen zu tref­fen für Stark­re­gen­er­eignisse.

Schematische Darstellung, Fettabscheider und nachgelagerte Pumpen
1: séparateur de graisse
, 2: système de pompage
, 3: tuyau d’aération
, 4: boucle de retenue



Ist der Fettabscheider unterhalb der Rückstauebene eingebaut, ist die Installation einer "nachgelagerten Hebeanlage" nötig, damit kein Wasser reingedrückt wird und sich schlimms­ten­falls im Zufluss in den Fettabscheider ein Fettpropfen bildet. Rück­schlag­ven­ti­le sind hier nicht zugelassen. Die Abwasserhebeanlage hat nicht nur eine Pumpe, sondern zwei, sollte eine mal ausfallen.

Es scheint wohl Hybridlösungen zu geben, bei denen sich die elektrischen Pumpen nur dann einschalten, wenn es kritisch wird, aber möglicherweise nur für kleine Fettabscheider. Das wird noch recherchiert. Ich finde es tragisch, dass seit Jahr­zehn­ten überall nur mit Lö­sun­gen geplant wird, die ständig Energie ver­brau­chen. Hier ist der Ein­falls­reich­tum der Damen und Herren "Ingenieurwesen" gefragt.

Vokabelliste
Wasserentsorgung — évacuation des eaux
Ruhewasserspiegel — niveau d’eau au repos
Abwasser — eaux vannes [BAU] / eaux usées [UMWELT]
Fettabscheider — séparateur de graisse
Rückstauebene — niveau de reflux / de retenue
Starkregenereignis — fortes précipitations
Einsickern — infiltration
Wasserlauf [= Höhe] — fil d'eau
Hebeanlage — système de pompage
Doppelpumpsystem — poste de relevage à double pompe
Rückschlagventil — clapet anti-retour
Revisionsöffnung — trappe de visite
Magnetventil — l'électrovanne

POST SCRIPTUM: Eine Hybrid-Hebe­an­lage ist es dann auch ge­wor­den. Nor­ma­­ler­wei­se läuft das Was­ser im freien Gefälle in die Ka­na­li­sa­tion, die Schwer­kraft macht ihre Ar­beit. Nur wenn es zum Rück­stau kommt, wird die Pumpe zu­ge­schal­tet. Das spart im lau­fen­den Be­trieb Ener­gie!
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Illustrationen: direkt aus der Arbeit

Donnerstag, 9. Juni 2022

MiShu-Hocker

Hal­lo, bon­jour & einen gu­ten Mor­gen! Sie le­sen gerade im Blog einer Kon­fe­renz­dolmet­sche­rin. Ich ar­beite seit der zwei­ten Hälf­te der Nul­ler Jah­re als Dol­met­scherin in Ber­lin. Unser Be­ruf ist oft sehr in­ten­siv. Und er spricht alle Sinne an. Hier veröf­fent­liche ich kleine No­ti­zen über Dinge, die ich bei der Arbeit am We­ges­rand ge­funden haben.

miShu-Hocker aus München, gefunden zweiter Hand in Berlin
Der MiShu-Hocker wurde in München erfunden
Häufigeres Sitzen im Büro hat mich an den Satz des einzigen wirk­lich guten Ortho­päden erin­nert, den ich jemals hatte: La meilleure posture est celle qui suit ! Auf Deutsch: "Die beste Kör­per­hal­tung ist die nächste!"

Für eine Buch­über­set­zung sitze ich jetzt wieder häu­fi­ger. Also Recherche und Nach­fragen im Freun­des­kreis. Von zwei Seiten kommt "MiShu", ein thera­peu­ti­scher Stuhl, zu dem es kaum Preis­an­gaben im Netz gibt. 

Nach einigen Such­mi­nu­ten gebe ich auf. Einer der Freun­de raunt mir zu: "... vierstellig! Aber es lohnt sich!" Ich suche weiter.

Unter "Kleinanzeigen" finde ich akzeptabel drei­stellig angesichts der Ruh­mes­lie­der, die auf den Hocker ge­sun­gen worden sind. Zwei Tage später stehe ich bei N. und C. im Wohn­zim­mer. Nein, stimmt nicht, ich sitze. Und bin spontan bei der Ent­schei­dung.

Der Hocker gehört N., ihr Mann C. regelt die Übergabe. Kurz vor der Ver­ab­schie­dung: "Ich hatte Deine Nummer übrigens schon im Tele­fon­spei­cher — als 'Caroline, Dolmetscherin'". Wir überlegen hin und her. Er ist Jour­na­list, arbeitet im Bereich Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit, sie Lehrerin für Theater und Eng­lisch. Wir rätseln noch eine Weile und finden es wirklich nicht.

Und das in einer Mil­lio­nen­groß­stadt! Jetzt kann ich mich nicht be­ruhigt zurück­lehnen, dazu lädt der Hocker wirklich nicht ein, sondern mobil sitzen und die Dauer täglich erhöhen. Wichtig ist beim Über­setzen, viel Zeit zu haben und dass der Kopf gut durch­blutet ist, der Körper nicht ver­krampft. Diesem Ziel fühle mich jetzt einen großen Schritt näher.

Ein detaillierter Testbericht folgt später.

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Fotos:
Archiv / MiShu

Mittwoch, 8. Juni 2022

Schwierig, schwierig ...

Herz­lich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, und na­tür­lich auch wir Frau­en im Be­ruf, wie sie bzw. wir ma­chen, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema. Wir ar­bei­ten oft nah am Kun­den und der Kun­din, was un­se­ren Alltag nicht er­leich­tert.

Kunden aus der Höl­le, die kein Mensch braucht, sollte diese kleine Por­trait über­schrie­ben sein. Es ist beschämend — bis hin zur eigenen Scham.

Kinder der 70-er kennen diese Nerven­säge
jemand an und braucht eine Über­setzung. Das ist erstmal nicht unge­wöhnlich für ein Büro, in dem Über­set­zun­gen ent­ste­hen. Nur, dass es hier um of­fi­ziell beglaubigte Über­set­zun­gen geht. Was ich nicht an­bi­ete.

Warum biete ich das nicht an? Warum hatte ich einen Hinweis dazu ein Jahrzehnt lang auch im Google-Firmen­hinweis stehen?

Dem Gesetzgeber ist vor vielen Jahren in seiner un­ver­gleich­lich weisen Art ein­ge­fal­len, die Honorare der be­ei­dig­ten Übersetzer:innen für of­fi­ziel­le Dokumente zu kürzen. Sie haben richtig ge­le­sen, zu kürzen.

Einige Sätze wurden erhöht und zugleich wurde die Kategorie, die am meisten Ar­beit macht und die gefühlt 95 Prozent der Fälle ausmacht, einfach abge­schafft, der höchste Satz für die Über­setzung von "nicht editier­baren Doku­menten". Sprich: Das ist nichts, was sich per Copy and Paste mit "aus dem Original exzerpieren und die For­ma­tie­rung überneh­men" lässt, sondern es sind Dokumente auf Papier, oft noch hand­schrift­lich, auf verbli­chenem, hadernhaltigen Papier und mit vielen Stem­peln. Hier ist alles zu übersetzen, von der Anschrift der Behörde bis hin zur unleser­lichen Unter­schrift. Kärrnerarbeit.

Abgeschafft, gestri­chen, ersatzlos. Durch die Presse ging: "Honorarsätze wurden erhöht." In Wirklich­keit ist der Rückfall auf den zweit­höchsten Satz auch nach des­sen Erhöhung eine Honorar­kürzung. Viele Kol­leg:in­nen haben anschlie­ßend aus Pro­test die Stempel zurückgegeben.

Der Bedarf bleibt gleich. Das Telefon klingelt bei mir täglich zwei Mal zu diesem Thema. Bislang habe ich 'nein' gesagt und für Freun­de dann doch übersetzt, Kol­le­gin­nen haben be­glaubigt.

Dann traf ich eine Kollegin im einstigen Ostd­eutschland. Sie macht den Job weiter gerne. Sie muss keine über­höhte Ber­liner Miete zahlen. Wir tüteten eine Ko­ope­ra­ti­on ein. Die Sachen gehen nur über meinen Schreib­tisch, ich werfe einen Blick auf die Original­do­kumente, sehe, dass sie nicht gefälscht sind (soweit ich das be­ur­tei­len kann), dazu verpflich­tet unser­einen zurecht der Gesetz­geber, denn es ent­steht mit der beglaubigten Übersetzung ja ein neues Original. Der Rest ist die Sache der Kollegin. Mir verlangt es einige Termin­zusagen ab, that's all. Keine große Sache, no big deal.

Ab und zu komme ich dann doch an meine Grenzen. Da ist der Kunde, der, obwohl ihm wiederholt gesagt worden ist, die Original­do­ku­mente mitzubringen, ohne sie vor der Tür steht. Und dann anfängt, mich zu beschimpfen. Er sei extra vom an­de­ren Ende der Stadt angereist und was ich mir raus­neh­men würde. Ich solle aber subito mit ihm ins Auto steigen, wir würden zu ihm nach­hause fahren, dort könne er mir das Original zeigen.

Es gibt Menschen, die explo­dieren von jetzt auf gleich. Die sind nicht nur jäh­zor­nig, sondern auch körper­lich dominant. Ich war froh, ihn vor der Tür ab­zu­fer­ti­gen. Eigentlich hatte ich ihm die Anwei­sung gegeben, im Hofgarten auf mich zu waren. Aber er liest nicht nur nicht, er hört auch nicht.

Im Hof hätte es zur Not mehr Men­schen gegeben, die eingeschritten wären, als nur auf dem Treppen­absatz.

Ein Mann ohne Empa­thie und Mitdenken, ohne Interesse an den anderen, ohne Höf­lich­keit, Freund­lichkeit, Respekt, Zuhören. Dabei ist meine Rolle hier die einer Dienst­­leis­te­rin an der dokumen­ten­armen Mensch­heit und der Kollegin, das war's. Damit verdiene ich nicht meine Bröt­chen. Selbst, als ich ihm das sage, bleibt er bei seinem Text.

Zwischen­durch hatte er schon x-fach dasselbe gefragt, nach 22.00 Uhr angerufen (macht mensch einfach nicht), hatte uns mit Mails bombar­diert und war schließlich zur Abholung ohne meine Adresse los­ge­gan­gen und alles mög­liche andere, was sich unser­einer so vorstellen kann ... und noch viel mehr, denn meine Phan­tasie in Sa­chen Schief­lauf­po­ten­tial war begrenzt. 

Ich schaffe es an besagtem Tag, ihn |rauszu­schmeißen| hin­aus­zu­kom­pli­men­tie­ren, bin aber kurz davor, die ge­sam­te Nachbarschaft her­bei­zu­brüllen. [BRÜLLEN. Ich? Wir Dolmetschpersonen sind derart in Diplo­matie gewalkt, dass wir eher zu den Leise­tretern zählen.]

Zwei Tage später kommt er wieder vorbei, pünktlich, bleibt brav auf der Straße, bedankt sich (ein erster Schritt) und hört sich sogar den Hinweis geduldig an, dass es für Zuge­wanderte exzel­len­te Deutsch­kurse an den Volks­hoch­schulen ge­be, dass die All­ge­­mein­­heit diese auch finan­ziere, und für jene, die mit der lateinischen Schrift Probleme hätten, sogar Lese- und Schreibkurse. 

Denn irgendwann ist meiner Kollegin und mir eingefallen, dass dieses Pracht­ex­em­plars eines HB-Männchens vielleicht ein Analphabet sein könnte. Und nun sind wir doppelt peinlich berührt.

Ein Tag im Leben des HB-Männchens

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Foto: HB und YouTube

Dienstag, 7. Juni 2022

Auf dem Schreibtisch (LXIV)

Über den Arbeits­alltag einer Dol­met­scherin können Sie auf diesen Seiten einiges er­fah­ren. Meine Muttersprache ist Deutsch, ich arbei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch. Wenn ich nicht ge­ra­de Kon­fe­renzen ver­tone, sitze ich am Über­set­zer­schreib­tisch.

Das Außenbüro hat wieder geöffnet. Hier steht an:
Beispielbild aus Neukölln

⊗ Schei­dungs­ur­teil (hat die Kol­legin über­setzt, ich prüfe und über­rei­che nur)
⊗ Unter­ti­te­lung eines So­cial-media-Wer­be­kurz­films
⊗ Ver­ein­ba­rung von Bank­ter­minen für einen Kun­den
⊗ Ver­ein­ba­rung von No­tar­ter­minen für einen Kun­den
⊗ Te­le­fon­kon­fe­renz­ter­min zur Be­triebs­küche
⊗ Kol­le­gin­nen­suche für einen Ein­satz im Juli

Erin­ne­rung: Beim Dolmet­schen wird das Gesag­te münd­lich über­tra­gen, beim Übersetzen schrift­lich, siehe die oben­ste­he­nde "Logline". 

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Foto:C.E. (Archiv)

Montag, 6. Juni 2022

Instantbuchung

Hal­lo, gu­ten Mor­gen und einen schö­nen Tag! Sie le­sen gerade im Blog einer Kon­fe­renz­dolmet­sche­rin. Ich ar­beite seit der zwei­ten Hälf­te der Nul­ler Jah­re als Dol­met­scherin in Ber­lin. Unser Be­ruf ist oft sehr in­ten­siv. Und er for­dert uns mit­un­ter von einer Mi­nu­te zur an­de­ren.

Bäume, Wasser, Himmel, Spiegelungen
Loh­müh­leninsel und Trep­tower Brücke (rechts)
Die schnells­te Bu­chung aller Zei­ten: Ich schlen­de­re nichts­ah­nend einen Spazier­weg ent­lang, als vor mir ein Mann in Zeit­lupe erst schräg geht, dann kippt und zu Bo­den geht. Wenige Se­kun­den später bin ich bei ihm. Er ist an­spre­chbar, spricht ver­nu­schelt und stot­te­rig, eine Ge­sichts­hälf­te hängt auf­fäl­lig.

Dann sackt er weg. Ein an­de­rer Pas­sant hilft, wir posi­tio­nie­ren ihn in die stabile Sei­ten­la­ge. 

Ich schaue hin: Er ist um die 60, weder über­ge­wich­tig noch sonst irgendwie auf­fäl­lig. Ich schaue, während der Mann die Ret­tung anruft, in der Innen­tasche seines Jacketts nach Infor­ma­tionen. Finde eine Auf­stel­lung der Me­di­kamente, die er nimmt, einen Or­gan­spen­der­ausweis, einen Reise­pass. Der Mann ist Franzose, was meinen Ein­druck bestätigt, dass die Silben Franzö­sisch waren.

Der Anrufer hält mir kurz das auf laut ge­stell­te Handy hin: "Sie haben mit ihm ge­spro­chen!" Ich erkläre kurz die Lage, sage, dass es für mich als Nicht­me­di­zi­nerin nach Schlag­anfall aus­sieht.

Schnitt: Im Ret­tungs­wa­gen geht es ins Kran­ken­haus. Mich hat man gleich mitge­nom­men, zu­nächst für die Ehe­frau ge­hal­ten, weil der Pa­tient und ich auch als er wieder bei Be­wusst­sein war Fran­zö­sisch mit­ein­an­der ge­spro­chen haben, aber "an Sonn- und Feier­tagen sind Sprach­mitt­ler schwer zu er­reichen" gefolgt vom Satz: "In Berlin um­zu­kip­pen und eine Dol­met­scherin ist schon vor Ort, das nen­ne ich mal Glück im Un­glück."

Schnitt: Der Mann ist stabi­li­siert. Wir rasen zum Kranken­haus. Der Not­fall­sani­tä­ter: "Verdacht auf Apo­ple­xie". Die Dolmet­sche­rin nickt.

Entwurzelter Baum
Plötzlich umgefallen
Schnitt: Im Kranken­haus dann alle mög­li­chen Unter­su­chungen, Gesprä­che, Anruf der (echten) Ehe­frau, Erklä­rung der Behand­lung, ruhig, langsam, mit vielen Wie­der­ho­­lun­gen. Und ja, wir hatten leider recht, zum Glück ist es ein min­der­schwe­­rer Fall.

Schnitt: Stun­den später der Arzt zu mir: "Sie waren sein Schutz­en­gel."

Vokabelnotizen
Bildung von Blutgerinnsel — formation des caillots
Blutverdünner — anticoagulant, fluidifiant sanguin
Schlaganfall — AVC (accident vasculaire cérébral)
Sauerstoffunterversorgung im Gehirn — apport déficitaire en oxygène au cerveau
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Foto:
C.E.

Freitag, 3. Juni 2022

Höhen und Tiefen

Ein­blicke in den Berufs­all­tag von Über­setzer:in­nen und Dol­met­scher:in­nen be­kom­men Sie hier. Die meis­ten von uns sind selb­stän­dig. Die Co­ro­napandemie hat die wirt­schaft­li­chen Grundlagen der meis­ten von uns er­schüt­tert, die Arbeit an­stren­gen­der ge­macht. Und es hört und hört nicht auf ...

Der netteste Moment dieser Berliner Arbeitswoche: In der sonnigen Pause auf ei­nem Mäuerchen der Spree sitzen, das Metall­tab­lett von der indischen Garküche vor und ei­nen fran­zö­si­schen Industrie­manager (Kunde) neben mir und infolge einer ex­zel­len­ten Frage begreifen, dass vor 28 Jahren exakt fünf Mi­nu­ten über meine beruf­liche Zukunft entschie­den haben. Und dann um­ge­hend vom Ma­na­ger geduzt werden. (Diese Story erzähle ich später mal.)

Sinnbild für eine Online-Reise nach Marokko
Der traurigste Moment der Ar­beits­wo­che: Der CO2-Auditor, mit dem ich nächste Wo­che nach Marokko reisen sollte, hat Covid-19. Das Auditing soll jetzt on­line statt­fin­den. Nun wird meine Vergütung aufgrund in­terner Regeln beim Kunden so berechnet, dass ich nur durch die Zu­la­ge für den Auslands­einsatz auf meinen üb­li­chen Tages­satz komme. Und durch den Wech­sel zu einem rei­nen Online-Termin entfallen die Be­triebs­füh­run­gen vor Ort, die für mich beim Ein­ar­beiten in ein neues The­ma wichtig sind. Die zu­nächst ge­plan­te "Be­suchs­kern­zeit" bleibt un­ver­än­dert, was zur Ver­dich­tung des Programms führt, das jetzt so aus­sieht, als ob es bes­ser von ei­nem Dol­met­scher­team und nicht von einer Ein­zel­dol­met­sche­rin be­treut werden sollte.

Die Be­rech­nungs­grund­lage meiner Zu­sa­ge hat Covid-19 also kom­plett verändert.

Der Hin­ter­grund der be­son­de­ren Hono­rar­be­rech­nung, die mich mög­li­cherweise den Job kosten wird, weil der Kunde mit Verständnis für mei­ne Lage reagiert, aber of­fen­bar an den Ber­ech­nungs­grund­sätzen fest­hält, ist wohl der, dass Auditoren auf Hono­rar­basis weniger ver­lan­gen als wir Dolmet­scher:innen. Nun haben Fach­in­ge­nieu­r:innen in der Regel nicht maxi­mal 70 bezahlte Arbeits­tagen per annum in vorcoronösen Zeiten wie ich (und die in Pandemie­zei­ten groß­ar­ti­ge Zahl von ca. 30 vol­len Ta­gen im drit­ten Corona­jahr), sondern mehr. Ein kurz befragter Kunde, Bau­sach­ver­stän­diger aus Berlin, kommt auf 190 bis 200 (von 250 möglichen) Ar­beits­ta­gen; das Corona­virus habe ihn kaum be­ein­träch­tigt.

Wir Dolmet­scherinnen haben ein sehr hohes Berufsethos. Wenn wir ein­mal zu­ge­sagt haben, bleiben wir in der Regel dabei. Wie an­stren­gend unser Beruf ist, er­ah­nen viele Men­schen nicht. Wir Dol­met­scher:innen müssen häufig viel frisch An­ge­­lern­tes durchs Hirn schleu­sen und das lässt es schneller heiß­laufen wie Alt­be­kann­tes. Das führt zu größerer Ermü­dung und Qua­li­täts­ver­lusten, wenn Pau­sen fehlen. Ver­gleich­bar ist das mit einem Computer, der entweder von der Festplatte arbeitet (= Altbekanntes) oder eine Riesen­menge Tabs und Programme parallel ge­öff­net hat. Daher brau­chen wir immer mehr Zeit: Zur Vorbe­rei­tung und zur Er­ho­lung nach stres­sigen Einsätzen.

Also Gespräche, Nach­denken, Zögern ... und ich bereite mich weiter­hin parallel dazu vor. Man weiß ja nie.

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Foto:
C.E. (der deutsche doppelkammrige
Teebeutel mit einem Hauch von Marokko)