Montag, 4. April 2022

Reisetipps

Bonjour und guten Tag! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, na­tür­lich auch die ":innen" im Be­ruf, also wie wir ar­beiten, ist hier, in mei­nem di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buch, seit 2007 Gegen­stand in Form kur­zer Epi­soden und immer mit einem schar­fen Blick auf die Sprache(n).

Eigent­lich wollte ich diesen Blog­post "Reise­tipps vom Profi" überschreiben. Da "vom Profi" streng genommen einen Mann bezeichnet, habe ich das weggelassen.

Heute, in der Mail eines französischen Produzenten auf die Frage, ob er eine Dreh­buchüber­set­zung ge­gen­dert ha­ben möchte: "Könnten Sie dazu bitte etwas mehr schreiben, ich verstehe die Frage nicht."

Techniktasche: Adapter, externe Festplatte, Ladekabel, Speicherstick, Aspirin etc.
Technikbeutel mit Aspirin

Beim Thema Gendern bin ich hin- und her­gerissen. Ich bin irritiert, wenn man von mir in der männ­lichen Form spricht: "Der Dolmetscher in der Ka­bi­ne braucht Ihr Manus­kript auch noch." OK, das Glas­fens­ter spie­gelt, Ihr seht nicht, dass ich eine Frau bin. Aber Gen­dern soll uns sicht­bar machen, vor Dis­kri­mi­nie­rung schützen. Doch es gibt so­gar Dis­kri­mi­nie­run­gen von Frauen durch Frauen. Bei­spiel: Ein Frau­en­team fühlt sich durch einen Mann "aufgewertet" und stellt einen Mann fest ein.

Große Techniktasche plus zwei kleine Täschchen für Kopfhörer, Tampons, Handcremedöschen
Plus Minibeutelchen, auch für Ersatzkopfhörer
In den Dol­­metsch­kabinen sitzen zu 95 Pro­zent Frauen, er war der ein­zi­ge Mann im Ver­fah­ren und "hat be­son­ders her­­aus­ge­stochen aus den Be­wer­bern", wie spä­ter zu hören war. (Ich kenne die Be­hör­de, in der das pas­siert ist, zu­fäl­lig gut, da­her die Ori­gi­nal­zi­ta­te.) Fest­an­stel­­lungen sind in un­se­rem Beruf sel­ten, in Pan­de­mie­zei­ten be­son­ders wert­voll. Das Frauen­team hat den Mann ausgewählt, "weil er ja eine Familie zu er­näh­ren hat." Mo­ment, Frauen etwa nicht? Und al­lein­stehende Frau­en (oder Män­ner) gibt es nicht?

Die Epi­sode beweist: Frauen sind nicht per se besser, was ja grund­sätz­lich eine ziem­lich dum­me Be­mer­kung ist. Auch gegen solche "ge­wohn­heits­mä­ßi­ge Dis­kri­mi­nie­rung" könnte die Gen­de­rei lang­fristig hel­fen. In Dreh­­bü­­chern und literarischen Texten finde ich sie indes höchst mühsam zu lesen. Sie tut mir auch ein wenig in den Fingern weh. Ist einfach mehr zu tip­­pen, macht lan­ge Tex­te noch länger. Oder ist es nur eine Frage der Gewöhnung?

Festes Deo, Nagelknipser, Haargummi, Zahnputztabletten
Nicht abgebildet: Standard-Hautcreme

Dass es in der Welt draußen von Frau­en­dis­kri­mi­nie­rung wim­melt, sollte man/Mann inzwischen mit­­be­kom­men haben. Die Me­dizin forscht und verschreibt für den white cau­casian man of 160 pounds, der weiße Mit­tel­eu­ro­päer von 80 Kilo ist überall Norm. Wo bleiben Frauen und Kin­der und alte Menschen mit Ko­mor­bi­di­täten?

Fehl­an­zeige.
Endome­triosen zählen zu den am we­nigs­ten erforschten Volks­krank­hei­ten, be­trifft ja nur ma­xi­mal die Hälf­te der Be­völ­kerung. 

Die Be­han­d­lung von Li­pö­de­men wird erst dann von den Kas­sen übernom­men, wenn die Pa­tien­tin­nen schwerstens ein­ge­schränkt sind, um nur zwei Bei­spie­le zu nennen.

Diskri­mi­nie­rung gibt es auch da, wo niemand damit rech­net: Bei Online-Berufs­­netz­­wer­ken, wo mo­nat­lich ein gewisser Obolus fällig ist, über den Frei­be­ruf­ler:in­nen auf sich aufmerksam machen können. Da hab ich jahre­lang viel Geld ge­las­sen, nie ist da­rüber auch nur eine Anfrage rein­ge­kom­men. Die wenigen männ­li­chen Kol­le­gen konn­ten sich in der Zwischenzeit vor Zuspruch kaum retten. Später habe ich her­ausgefunden, dass Profile, die weib­lich be­zeich­net waren, schlicht nicht an­ge­zeigt worden sind von der internen Suchmaschine. Ich stand da natürlich als Dol­met­scherin und nicht als Dolmetscher.

Festes Deo, Bambuszahnbürste, Creme, Haargummi, Nagelknipser, Nagelfeile, Zahnputztabletten
Das ist alles (die Kappe für die Bürste fehlt)
Und ja, wir wissen alle, wo das alles her­kommt. Lese­hinweis: Der Mensch ist männ­lich, Spek­trum, von Esther Megbel, veröf­fent­licht am 2.4.22.

Jetzt bin ich ganz von mei­nem The­ma ab­ge­kom­men. Hier rasch noch vier Fotos. Wenn ich reise, reise ich leicht. An­ge­fan­­gen hat es da­mit, dass ich zweimal bei un­ter­schied­li­chen Teilen der Fa­mi­lie mei­nen Kul­tur­beutel und den Kul­tur­beu­tel­er­satz ver­ges­sen habe. Die Mi­nia­tu­ri­sie­rung hat zur Fol­ge, dass ich den ech­ten Beu­tel nur noch in den Ur­­laub mit­neh­me.

Mi­ni­ma­lis­mus in der Reise­tasche kann ich, nach­hal­tig und leicht. Und in Sa­chen Spra­che: Wir werden uns um­ge­wöh­nen und teilweise auch anders schre­iben. Spra­che, er­leich­tert von Dingen, die sich überlebt haben. So, wie heu­te schon man­che Begrif­fe nicht mehr ver­wen­det wurden. Nein, keine Bei­spie­le.


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Fotos: C.E. (Wenn Sie mit dem Cursor auf die Bil-
der gehen, können Sie lesen, was abgebildet ist.)

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