Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mitten in ein Arbeitstagebuch hineingeraten, in dem sich alles um Sprache, Dolmetschen, Übersetzen und Kulturen dreht. Als freiberufliche Sprachmittlerin denke ich jeden Tag über meine Arbeitsmittel nach. Jeden, aber auch jeden Tag, ob ich will oder nicht.
"Wann ist nochmal Ostern?", fragt der nächste Mitmensch beiläufig. Ich bin sofort hellwach, denn mit Zeitangaben habe ich mitunter Schwierigkeiten.
Alles eine Frage der Perspektive |
Das geht schon mit der Uhrzeit los. Bei "es ist dreiviertel fünf" höre und sehe ich die Ziffer 5, dazu ¾, schön. Nur was jetzt bitte in welcher Reihenfolge. Oder cinq heures et demie, da ist auch die Ziffer 5, dann ½. Einfacher ist das cinq heures moins le quart, fünf Uhr weniger ¼, das sehe ich sofort bildlich vor Augen, hier ist plötzlich das moins stark genug.
Bei Uhrzeitansagen muss ich mir immer kurz überlegen, in welchem Idiom ich gerade denke oder spreche. Denn die Sprachen haben ihre jeweils eigene Logik: Bei "dreiviertel Fünf" sind schon drei Viertelstunden von der fünften Stunde vergangen, ok, damit ist es viertel vor fünf, während bei cinq heures et demie die halbe Stunde zur fünften hinzukommt.
Als Schülerin hatte ich eine Dyskalkulie, Zahlen waren für mich sehr lange nicht mit Werten verbunden, die Sechs und die Neun sahen irgendwie gleich aus, 6 / 9, ist ja nur gespiegelt und Ähnliches, die Drei und das Schreibschrift-E zum Beispiel. Wann immer Zahlen ins Gespräch kamen, setzte bei mir für eine Schrecksekunde lang das Gehirn aus. Meine Dolmetschkolleginnen in der Kabine mussten mir immer die Zahlen aufschreiben.
Das mache ich jetzt seelenruhig selbst, wo wir pandemiebedingt oft allein in der Bütt sitzen. Zum Glück hat dieser Übergang geklappt. Ich habe ja jetzt auch lange genug mit Zahlen zu tun gehabt.
Und dann die Frage: "Wann ist nochmal Ostern?" Der Kopf rotiert: Nächste Woche, kommende Woche? Für mich klingen die Begriffe wie Synonyme. Hier muss eine (irgendwie hinkende) Gedankenbrücke her! Das "nächste" ist mit "allernächste" steigerbar, ergibt ein zusammenhängendes Wort — und das ist dann nicht ein- und dasselbe. Beim kommenden Wochenende ist es das JETZT kommende Wochenende, das gemeint ist, dafür brauche ich ein zweites, ein anderes Wort, also ist das kommende Wochenende wirklich dasjenige, das jetzt als allernächstes ansteht.
Irgendwie hilft das manchmal. Ich antworte, weil ich gewisse Begriffe vermeide: "Karfreitag ist am 15!" Darauf der nächste Mitmensch: "Ach so ... und ich dachte, es wäre schon dieses Wochenende!" (Ich darauf: leicht verwirrt.)
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Collage: C.E.
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