Mittwoch, 6. April 2022

Nächstes oder kommendes?

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin denke ich jeden Tag über meine Arbeits­mit­tel nach. Jeden, aber auch jeden Tag, ob ich will oder nicht.

"Wann ist noch­mal Ostern?", fragt der nächste Mit­­mensch beiläufig. Ich bin sofort hellwach, denn mit Zeitan­gaben habe ich mit­un­ter Schwie­rig­keiten.  

Kalender, Zifferblatt, Kreisel in Drehung und liegend
Alles eine Frage der Perspektive

Das geht schon mit der Uhrzeit los. Bei "es ist drei­viertel fünf" höre und sehe ich die Ziffer 5, dazu ¾, schön. Nur was jetzt bitte in welcher Reihen­fol­ge. Oder cinq heures et demie, da ist auch die Ziffer 5, dann ½. Ein­facher ist das cinq heures moins le quart, fünf Uhr weniger ¼, das sehe ich so­fort bildlich vor Augen, hier ist plötz­lich das moins stark genug.
Bei Uhr­zeit­an­sagen muss ich mir im­mer kurz über­le­gen, in wel­chem Idiom ich gerade denke oder spre­che. Denn die Spra­chen haben ihre je­weils ei­ge­ne Logik: Bei "dreiviertel Fünf" sind schon drei Vier­tel­­stun­den von der fünf­ten Stun­de vergangen, ok, damit ist es viertel vor fünf, während bei cinq heures et demie die halbe Stunde zur fünften hin­zu­kommt.

Als Schü­lerin hatte ich eine Dyskalkulie, Zah­len waren für mich sehr lange nicht mit Wer­ten verbunden, die Sechs und die Neun sahen irgendwie gleich aus, 6 / 9, ist ja nur gespie­gelt und Ähn­­li­­ches, die Drei und das Schreibschrift-E zum Beispiel. Wann im­mer Zah­len ins Gespräch kamen, setzte bei mir für eine Schreck­se­kun­de lang das Gehirn aus. Meine Dolmetsch­kol­le­gin­nen in der Ka­bi­ne muss­ten mir immer die Zahlen aufschreiben. 

Das mache ich jetzt see­len­ruhig selbst, wo wir pan­de­mie­bedingt oft allein in der Bütt sitzen. Zum Glück hat dieser Über­gang geklappt. Ich habe ja jetzt auch lange genug mit Zah­len zu tun gehabt.

Und dann die Frage: "Wann ist nochmal Ostern?" Der Kopf rotiert: Nächste Wo­che, kom­men­de Woche? Für mich klingen die Begriffe wie Sy­no­ny­me. Hier muss eine (irgendwie hin­kende) Ge­dan­ken­brücke her! Das "nächste" ist mit "aller­nächs­te" steigerbar, ergibt ein zu­sam­men­hän­gen­des Wort — und das ist dann nicht ein- und dasselbe. Beim komm­en­den Wo­chen­ende ist es das JETZT kommende Wo­chen­en­de, das gemeint ist, dafür brauche ich ein zweites, ein anderes Wort, also ist das kom­men­de Wo­chen­en­de wirk­lich dasjenige, das jetzt als al­ler­nächs­tes ansteht.

Irgendwie hilft das manchmal. Ich antworte, weil ich gewisse Begriffe vermeide: "Karfreitag ist am 15!" Darauf der nächste Mitmensch: "Ach so ... und ich dachte, es wäre schon dieses Wochenende!" (Ich darauf: leicht verwirrt.)

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Collage:
C.E.

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