Mittwoch, 31. August 2016

Klappern gehört zum Mundwerk

Ob ge­plant oder zu­fäl­lig, Sie lesen hier auf den Sei­ten einer Sprach­ar­bei­ter­in. Was Dol­met­scher für Fran­zö­sisch (und Über­setzer) so machen, darüber schreibe ich hier seit mehr als neun Jahren. Der letzte Augusteintrag wird gefeiert.

"Es klapperten die Klapperschlangen, bis ihre Klappern schlapper klangen ... "

Einmal im Jahr nehme ich meine Arbeit in der Kabine auf Tonträger auf und be­spre­che sie mit einer Freundin, die Sprecherzieherin ist. Und zwar ganz offiziell im Rahmen einer Coachingeinheit, in der ich das vor zwei Jahrzehnten Gelernte auf­fri­sche.

Die richtige Betonung und das Haushalten mit der Atemluft steht seit Jahren im Focus. Ich dolmetsche auf YouTube und in meinen geliebten Bildungskanälen (Uni­ver­si­té de tous les savoirs u.a.) gefundene Vorträge und interpretiere auch Texte, als wäre ich eine Schauspielerin.

Das sind mir jedes Jahr die liebsten aller Werbungskosten.  Die Sache mit dem Wer­bung-für-sich-selbst-Machen fällt mir indes nicht so leicht.

Sommerbild mit Meer, Leuchtturm und Schwalben
Sommerimpression (Übungsblatt)
Beleg dafür wäre die sta­ti­sche Dolmetscher-Webseite mit Werbetexten, an der ich seit längerem immer mal wie­der baue und deren Stadien mich bislang noch nicht zu­frie­den­ge­stellt ha­ben. Ich bin eher eine Macherin, zeige am liebsten, was ich so kann. (Daher hier auch ein kleiner Einblick in mein Hobby.)

Coachings gehören bei uns frei­be­ruf­li­chen Dolmetschern wie das tägliche Auf-dem-Lau­fen­den-Halten mit zur (un­be­zahl­ten) Arbeitszeit.

Sprachnotiz
Werbungskosten werden Ausgaben genannt, die der Er­wer­bung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen dienen.
Werbung, früher auch Reklame genannt, sind Informationen, die im Hinblick auf Um­satz­för­de­rung ver­brei­tet wer­den; sie sollen das Kaufverhalten beeinflussen.

______________________________  
Illustration und Text: C.E.,
Bleistift und Aquarellfarbe

Dienstag, 30. August 2016

Novlangue

Hier be­grüßt Sie ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin, auf de­ren Sei­ten Sie ge­­plant oder zu­­fäl­­lig ge­lan­det sind. Ob in Berlin, Paris, Schwerin oder Lille, ich arbeiter überall als Dol­met­schern und Übersetzerin. Als Berufssprecher hören wir jede Form der Stimm­ver­än­de­rung, die meistens auf Inhalte zurückgeht.

Der Redner wechselt von Körper- zu Kopfstimme. Das ist ein klares Anzeichen von Stress. Er berichtet über das soziale Deutschland, über "Arbeitsscheue", "Hartz-IV-Dynastien", über "Fitmachen" für die Arbeitswelt und über die "soziale Hän­ge­mat­te".

Gesehen in Neukölln
Das ist die Sichtweise, bei der Menschen nur nach ihrer Teilnahmemöglichkeit am Er­werbs­le­ben beurteilt werden. Eine ziem­­lich einseitige Wahrnehmung, wie ich finde.
Wir sind bei einem Hin­ter­grund­ge­spräch in irgendeiner Regierungsstelle, Vertreter des Staats und ein Kirchenmann, fran­zö­sisch­spra­chige Gäste. Der Kirchenmann fängt nun an, von einem ganz anderen Menschenbild zu sprechen. Obwohl keiner Glaubensgruppe angehörig, gefällt mir diese Darstellung viel besser. Zumal es ja eigentlich gar kein Problem mit Ar­beits­lo­sen gibt, sondern nur mit der oft man­geln­den Bildung, mit Art und Menge sowie der Verteilung der Arbeit.

In der Kaffeepause spricht mich Redner Nummer Eins an. Wie lange es denn brau­chen würde, bis meine Arbeit von Maschinen erledigt werden würde, fragt er. Das kommt nie, sage ich, denn Menschen sind immer zu komplex und zu individuell in ihren Äußerungen, vermischen Soziolekte, stottern und sprin­gen in den Ge­dan­ken. Um dem zu folgen, braucht es ein menschliches Gehirn. Und ich deute an, dass mir die Worte des Geistlichen viel besser gefallen hatten als seine. Der Kri­ti­sier­te schaut sich kurz um und sagt dann mit leiser Stimme, dass er hier die Meinung sei­nes Amtes wiedergegeben habe, nicht seine eigene. Die Verabschiedung erfolgt mit Handschlag und Augenzwinkern.

NeusprechNewspeak Novlangue
bildungsferne Bürger — bildungsferngehaltene Bürger
sozial schwache Menschen — wirtschaftlich schwache Menschen
Leistungsloses Einkommen bezeichnet in meinen Ohren nicht den Bezug von Hartz IV, sondern Renditen und rentenähnliche Einkommenssituationen aufgrund der un­ge­rech­ten Vermögensverteilung. Die Übersetzung gains sans avoir à fournir de tra­vail ist mir zu lang. Mal schauen, was sich neben une rente künftig einbürgert.


P.S.: Die Frage wird oft gestellt, wie es mir denn damit gehe, Meinungen zu ver­dol­met­schen, die ich nicht teile. Mir geht es total gut damit, denn ich übertrage Stim­men im Meinungsaustausch, und da ist es gleich, ob es Wörter sind, die in der Me­dien­ar­beit gebraucht werden oder in der Politik. Es ist eine zutiefst de­mo­kra­ti­sche Arbeit. Und weil oft kaum jemand dafür zahlt, dass sich auch die Schwächsten der Schwachen ausdrücken können, bin ich daneben ehrenamtlich in der Arbeit mit Ge­flüch­te­ten tätig.
______________________________
Foto: C.E. (Archiv); Gruß + Dank an M.W.
(MUC) für die Erinnerung an ein Wort!

Montag, 29. August 2016

Auf dem Schreibtisch XXXV

Bonjour, hello, guten Tag! Hier schreibt eine Sprach­ar­bei­te­rin über den Be­rufs­all­tag als Dol­met­sche­rin für Fran­zö­sisch (und Über­­­set­­ze­rin). Ich arbeite für ins­ti­tu­tio­nel­le und private Kunden in Marseille, Paris, Berlin, Leipzig und fast überall dort, wo Sie mich brauchen!
 
Das Zeitungslesen gehört bei uns zur Tätigkeitsbeschreibung. Und ja, das hat was von Arbeit, es sind täglich einige Stunden, ich muss verarbeiten, den einen oder an­de­ren Artikel ausschneiden, herunterladen oder ausdrucken und bearbeiten und im richtigen Dossier ablegen, mir Begriffe überlegen und die anderen, bereits ge­fun­de­nen, nochmal überfliegen, das Glossar ergänzen.

Bearbeitete Seiten
Kleinteilige Arbeit
Dabei sind allgemeine Politik, Film- und Medienwirtschaft, Architektur und Stadt­pla­nung ebenso mein Thema wie Bio­plas­tik, Permakultur und Agro­­forst­­wirt­­schaft als Le­se­the­ma. Diese Woche kommen hinzu: Ein Technikthema für die internationale Funk­aus­stel­lung (IFA), eine Web­sei­ten­über­set­zung, ein Text über die Arbeitswelt und wieder Krieg und Flucht und Asyl.

Zurück zu Bioplastik. Konkrete Wege aus der Wirtschaftskrise finde ich immer be­son­ders spannend. Die Welt ersäuft in Plastikmüll, der aberhunderte von Jahren braucht, um zu "zerfallen", wobei er von den Gezeiten nur zu immer kleineren Par­ti­keln zermahlen wird. Damit nähert es sich dem Mikroplastik an, dem Asbest des beginnenden 21. Jahrhunderts. (Weiterlesen hier: Isolierung, das Thema begleitet mich seit 2012, und die Politik hat es noch immer nicht erreicht.)

Wenn wir nicht schleunigst aufhören damit, die Natur als Müllkippe zu miss­brau­chen und anfangen, den Müll wieder einzusammeln, wird bis zum Jahr 2050 mehr Plastik als Fisch in unseren Weltmeeren schwimmen. (Weiterlesen hier: "Kunststoff im Ozean", SZ.)

Dabei gibt es längst Alternativen. Seit 2014 forschen deutsche Unternehmen an der Herstellung von Kunststoffgranulat aus Casein (hier ein Bericht, "Kunststoff aus Milch", SWR). Nordamerikanische Wissenschaftler haben neulich Milchproteine als Grundstoff für Lebensmittelverpackungen vorgestellt und errechnet, dass diese Bioverpackungen zum Beispiel Käse 500 Mal besser vor Sauerstoff und damit vor Austrocknung schützen, als es herkömmliches Plastik bislang getan hat. (Hier ein Artikel dazu: "Edible food packaging made from milk proteins", sciencedaily.com.)

Käse, Teekanne, Messer, Zitrone
Käse auf dem Brettchen
Diese Milcheiweiße, sie hei­ßen Caseine, lassen sich zu einem dichten Netzwerk verbinden. Schicker Gedanke: Ein Milch­pro­dukt, in ein Milchprodukt verpackt. Die Verpackungen sollen sogar essbar sein. Löslicher Kaffee in Por­tions­grö­ße verpackt, wür­de sogar gar keinen Müll mehr pro­du­zie­ren: Die Ver­packung löst sich einfach in der Flüs­sig­keit auf.

Endlich eine Alternative zum irrsinnigen Müllproblem Nespresso. (Derlei ver­wei­ge­re ich zu trinken, und George Clooney ist bei mir auch unten durch wegen seiner Wer­bung für diesen Sch*!)

Dabei können wir alle durch unseren Konsum etwas ändern. Die meisten Sachen kaufe ich unverpackt im Einkaufsladen "Original Unverpackt" (hier schrieb ich dazu) oder auf dem Markt. Mein Käsemann am Käsewagen ver­kauft seine Waren auch schon in einem Naturcellophan, das anschließend auf den Kompost darf (das Thema Kompost beschäftigt mich im dritten Jahr). Oder aber Käse im Wachs­pa­pier. Es gibt so viele Möglichkeiten.

Dabei ist die Verwendung von Rohöl für solche banale Dinge wie Verpackungen wirtschaftlich totaler Irrinn. Die Reservoirs sind begrenzt, Öl ist auch Rohstoff für Wichtigeres. Wir verschleudern hier Ressourcen.

Die Plastikstoffe aus Casein wurden von Forschern des US-Land­wirt­schafts­mi­nis­te­riums vorgestellt. In drei Jahren, so rechnen die Wissenschaftler, sollen sie reif sein für den Alltag der Menschen.

______________________________  
Fotos: C.E. (Archiv)

Sonntag, 28. August 2016

Die Blaubeerensache

Was Dol­met­scher und Über­setzer be­schäf­tigt und wie wir ar­bei­ten, da­rü­ber be­rich­te ich hier im zehn­ten Jahr, außerdem schreibe ich über die französische und deutsche Sprache, Englisch kommt am Rand auch vor, über Kom­mu­ni­ka­tions­si­tua­tio­nen und Landeskundliches. Samstag ist der Tag für meinen Link der Woche.

Obstschälchen aus Pappe
Ta-daaaa! Mein Lieblingsobst!
Die Pappschale aus Altpapier im zeit­lo­sen Rauhfaserdesign und mit Retro-Auf­druck ist heute mein Lieblingsobjekt. Der Aufdruck erinnert mich an eines meiner Lieblingsbilderbücherbücher, "Häns­chen im Blaubeerenwald", von dem ich als Kind entweder ein Reprint oder aber eine alte Ausgabe des erst­mals im Jahr 1901 in Schweden er­schie­ne­nen il­lus­trier­ten Buchs von Elsa Bees­kow ka­putt­ge­liebt habe.

Buchcover
Auf Deutsch­ in den 20-er Jahren veröffentlicht
Meinen bibliophilen Eltern ist zum (ge­glück­ten) Anfixen des Kindes alles zu­­zu­­trau­­en! Vielen herzlichen Dank noch­mal, auch im Namen der Ge­­schwis­­ter! Bei mir hat's doppelt geklappt, ich liebe Bücher und Obst. Umso verstörter war ich neulich, als ich auf meinem Markt, bei meinem Obstlieferanten, einer Bio­gärt­ne­rei aus der Nähe von Berlin, in Plastik eingesperrte Beeren sehen muss­te.

Kinderbuchseite
Leider keine gute Auflösung
Der Naturschutzbund Deutschland e.V. hat Einweg­ver­packungen von Obst und Ge­mü­se untersucht: 63 % dieser in un­se­rem Land gehandelten Le­bens­mit­tel seien vorverpackt, geht aus einer neu­en Stu­die hervor, ein Zuwachs von 78 % bei Obst und von 164 % bei Ge­mü­se (2000 bis 2014). Eine Katastrophe, denn Plas­tik vergiftet 500 Jahre lang, bis es zer­fällt, die Natur. Mi­kro­plas­tik ist das As­best des frü­hen 21. Jahr­hun­derts.

Plastikumverpackung in Serie
Am Berliner Maybachufer
Keine Spur am Marktstand vom Alt­pa­pier­schäl­chen, das ich nach Gebrauch etliche Male zurückbringe, ehe es im Hofgarten innerhalb von drei Monaten zusammen mit den Obst- und Ge­mü­se­res­ten von Regenwurm & Co. zu wun­der­ba­rem Humus verwandelt werden wird. Nein, diesen Plas­tik­müll kann ich nicht kaufen. Das un­ter­stüt­ze ich nicht. Ich oute mich. Ich bin Kon­sum­ver­wei­ge­rin.

Vertrieb: bioFrische GmbH, 10829 Berlin
Öko in Plastik: Das geht gar nicht!
Vor lauter Schreck esse ich zwei Tage lang Trauben, am dritten Pflaumen (zu­sätz­lich zum Apfel, an apple a day keeps the doctor away). Jetzt muss ich nur noch den Obstvertrieb anschreiben, denn die Heidelbeeren hatte der Stand zugekauft. Das mache ich glatt. Mal sehen, ob er ant­wor­tet. Denn als Dol­met­sche­rin ist mir die Stell­schrau­be "Ver­kehr" oft aus der Hand ge­nom­men. Ich ach­te da­her auf mein CO2-Konto.

______________________________  
Illustrationen: C.E. und Netz

Samstag, 27. August 2016

Interdependenzen

Hallo! Hier lesen Sie regelmäßig Neues aus der Dolmetscherkabine, vom Über­set­zer­schreib­tisch und aus der Welt der Idiome ... völlig subjektiv gefiltert von mir, einer Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache. Der sams­täg­li­che "Lieblink" hat einige Monate Pause gemacht, weil ich zunehmend mehr Em­pö­ren­des im Netz ge­fun­den habe. Heu­te fan­ge ich wie­der neu an mit der Rub­rik.

Wir Sprachmenschen haben ein besonderes Ding "zu laufen" mit Sprache. Ich kann mich mit Sprache betrinken, sie nahezu körperlich erleben, fast orgiastisch. Wenn die Schönheit des Ausdrucks, das Wunder des Inhalt sich mit der Eleganz der Bilder verbindet, ist es nochmal schöner. Wie in diesem Film hier. Ich bekomme da Gän­se­haut, auf Französisch übrigens "Huhnhaut" (la chair de poule).

Hier unten mein Lieblink der Woche. Es geht darum, wie Wölfe Flussverlauf, Ve­ge­ta­tion und Artenreichtum verändern. Dass alles mit allem zusammenhängt, hat uns als Kinder in der vierten Klasse ein wunderbar kluger Lehrer am Beispiel des Kom­post­hau­fens erklärt. Ein Lehrer, der alle ungeheuer positiv beeindruckt hat. Ein Menschenfänger im positiven Sinne. Einer, der Extraunterricht in geo­me­tri­schem Zeichnen anbietet und alle, alle machen mit. Ich spreche über Hans Sachs von der Richtsbergrundschule in Marburg an der Lahn. Er war schon ein alter Mann, als er uns unterrichtet hat. Vielleicht hat er Kinder und Enkel, die ich hiermit grüße!




______________________________ 
Film: YouTube

Dienstag, 23. August 2016

Tirer la langue

Willkommen auf den Seiten des ersten deutschen Blogs aus dem Inneren der Dol­met­scher­ka­bine und vom Übersetzerschreibtisch. In Berlin herrscht spät­som­mer­li­che Geschäftigkeit. Und Deutschland diskutiert.

Metallsilhouette mit Blattzunge
Natur trifft Kunst in Kreuzberg
"Jemandem die Zunge ziehen" (tirer la langue à quelqu'un) heißt wörtlich übersetzt auf Französisch eine Un­muts­be­kun­dung, die hierzulande nur ge­ring­fü­gig anders lautet. Nein, lieber Leserin, lieber Leser, ich verhalte mich Ihnen ge­gen­über heute nicht un­bot­mä­ßig. Neu­er­dings be­ob­ach­te an mir nur eine Grenze, die ich bis dato nicht be­merkt hatte.

Eine Grenze, zu viele, zu flache und zu hysterisch geführte öffentliche Debatten er­tra­gen zu wollen. Ich finde es immer wichtig, wenn Themen in der Gesellschaft dis­ku­tiert werden. Mit dem berühmten Niveau des ebenso berühmten Stamm­tischs konn­te ich allerdings als content driven person (etwa: an Inhalten orientiert) noch nie viel anfangen.

Erst wurden die Klotüren erfunden, dann die sogenannten "sozialen Medien". Hier spiegelt sich das, was an nämlichen Stammtischen wohl so abgeht. Nun sind die stammtischgenährten Sprüche von der Klotür erst ins Internet, dann auf manche Zeitungsseite gerutscht.

Dieser Tage überschlagen sich diese Stimmen in den Medien, die oft nur eine Idee verfolgen und für diese einige aus dem Kontext gerissene Aspekte als ver­meint­li­che Beweise anführen, anstatt profund zu diskutieren. Echter Diskussion indes lie­gen Wissen und Beobachtungen zugrunde, Ana­ly­sen, Erklärungsversuche, Nach­den­ken und immer wieder das Nachlesen und Erfragen diverser Hin­ter­grü­nde. Diesen hektisch geführten Schlagabtäuschen zeige ich jetzt die Zunge.

Vor allem dann, wenn ich müde vom Einsatz komme. Ist es das Älterwerden, das mir hier die Verve nimmt mich zu beteiligen, zu hinterfragen, anzumerken oder schlimm Entstelltes richtigzustellen? Bin ich müder als noch vor zehn Jahren nach einem Einsatz? Oder ist es die schiere Wucht des Stammtischs, die mich davon ab­hält, auch nur auf den größten Humbug einzugehen?

Der Hinterkopf formuliert allerdings an einem Grundsatztext. "Unter dem Wan­der­zelt" könnte er heißen. Mal sehen, |ob| wann ich die Ermüdung und auch den Dégoût überwinden kann, die mich angesichts des medialen Rauschens überfällt. Und jetzt freue ich mich erstmal an dem Silhouettenhippie, der es anderen über­lässt, der Welt die Zunge raus­zustrecken.

______________________________
Foto: C.E.

Montag, 22. August 2016

Schonpfotengang

Bonjour, guten Tag! Hier bloggt eine Dol­met­scher­in aus Berlin, Paris, Schwerin und von dort, wo Sie mich brauchen! Mit der Energie zu haushalten ist die halbe Miete, dafür gibt's einen eigenen Begriff.

Als ich ein Kind war, hatten wir Katzen.  Von ihnen habe ich sehr viel gelernt, von ihnen lerne ich bis heute.

Junges Kätzchen
Gaspard de la nuit (mit Anekdote hinter diesem Link)
Der kleine schwarz-weiße Kater Felix, hat­te sich zum Bei­spiel mal ein Pföt­chen ver­staucht. Er konn­te nicht mehr so ele­gant flit­zen und schlen­dern mit seinem ver­füh­re­ri­schen Blick und den O-Bei­nen, und Hum­pe­lei war auch nicht schön, das war un­ter­halb sei­ner Kat­zen­wür­de. Denn Felix hat­te Charakter — und sei­nen Stolz.

Also bewegte er sich langsamer als sonst, belastete das verletzte Beinchen vor­sich­tig und kürzer und schlich am Ende dann doch wieder elegant durch die Wohnung.

Wir haben das "Schonpfotengang" genannt. Vor Dolmetscheinsätzen pauke ich, wie­der­ho­le alles, was ich an den Tagen bis Wochen zuvor gelernt habe, und gehe sonst auf einen intellektuellen Schonpfotengang. Denn das eigentliche Dol­met­schen ent­spricht oft nur 20 % der Arbeit. Wir müssen mit der Energie haushalten.

Auf das Konto dieses Schonpfotengangs geht auch manche lakonische Knappheit. Dazu ein Korrektoratsbeispiel. Streiche: richtig|er|. Anm.: Sie war schwangerer als ihre Schwester.

Keine lange Erklärung. Nicht heute. Donnerstag vielleicht.


______________________________
Merci beaucoup à Mandy Ahlendorf,
ahlendorf communication, fürs Foto
(eines anderen Kätzchens, bien sûr)

Freitag, 19. August 2016

Büroordnung

Abendschicht
Ob geplant oder zufällig, Sie lesen hier in meinem digitalen Tagebuch aus der Ar­beits­welt. Ich bin Dolmetscherin für die französische Sprache (und aus dem Eng­li­schen). An Tagen außerhalb von Kon­fe­ren­zen oder Außenterminen mit Kunden sitze ich am Übersetzerschreibtisch.

Selbstironie ist manchmal nicht so ein­fach. Und die Benennung von Dateien ist Teil der Kom­mu­ni­ka­tion. Das fängt mit der amerikanischen Datierung an, weil sich da­rü­ber alle Dokumente eindeutig nach Termin von selbst sortieren. In den En­dun­gen findet dann die Differenzierung statt. Was Sie nachstehend sehen, ist Satire. Sage ich lieber vorher.

160816_Wichtiges_Dokument_WIP.doc  ... [WIP = work in progress]
160816_Wichtiges_Dokument_DE_korr.doc
160816_Wichtiges_Dokument_DE_def.doc
160816_Wichtiges_Dokument_DE_def_korr.doc
160816_Wichtiges_Dokument_DE_DEF.doc
160816_Wichtiges_Dokument_DE_DEFINITIV.doc
160816_Wichtiges_Dokument_DE_DEFINITVE_FASSUNG_DIESE_HIER_GILT.doc

______________________________  
Foto: C.E. (Archiv)

Donnerstag, 18. August 2016

Henri a raison

Hello, bonjour, hallo! Was Dolmetscher und Übersetzer so erleben, schreibe ich hier auf. Und dabei beobachte ich den Alltag. Übers Wetter zu klagen ist so ziem­lich das Unnützeste, was es gibt. Trotzdem geben sich manche gern dieser Übung hin. Also auch ich.

In den letzten Jahren haben wir durch die Klimaerwärmung den typisch deutschen Sommer ein wenig vergessen. An der Ost­see herrschte Mittelmeerwetter, in Berlin bekamen wir einen Vorgeschmack darauf, dass "wir" im Jahr 2100 kli­ma­zo­nen­tech­nisch das bekommen werden, was heute Rom auszeichnet.

Da fiel mir ein Zitat wieder ein. Ein wunderbares, das lange nicht gebraucht wur­de. Monsieur Henri "Auf-Französisch-nennen-sie-mich-Hass" kannte zum deutschen Sommer einen guten Spruch. "Wer?", mögen Sie fragen. Einen Tipp: Henri, das ist der französisierte Heinrich. "OK, und das andere?", fragen Sie weiter.  

Monsieur Heinri ['aine] ... la haine, der Hass, spricht sich so aus wie der deutsche Name Heine. Von ihm stammt der Satz: "Unser Sommer ist nur ein grün­­an­­ge­­stri­­che­ner Win­ter." (Notre été n'est qu'un hiver peint en vert. Our summer is only a win­ter pain­ted in green.) Über­setzungen des Zitats sind im Netz schwer zu finden. Ich hab das mal schnell er­gänzt.

Flanellhimmel, Malergrün, blauer Akzent
Langfassung: In Kapitel 53 der Reisebilder heißt es:

" ... in unserem Lande ist es sehr frostig und feucht, unser Sommer ist nur ein grünangestrichener Winter, sogar die Son­ne muß bei uns eine Jacke von Flanell tragen, wenn sie sich nicht erkälten will; bei diesem gelben Flanellsonnenschein können unsere Früchte nimmermehr ge­dei­hen, sie sehen verdrießlich und grün aus, und unter uns gesagt, das einzige reife Obst, das wir haben, sind gebratene Äpfel. (...) Kurz, uns fehlt alles edle Obst, und wir haben nichts als Stachelbeeren, Birnen, Haselnüsse, Zwetschen und der­glei­chen Pöbel."

Die sauren, grobschaligen, zum Teil stacheligen oder wurmstichigen mehrheitlich gelbgrünen oder grün-/gelbbraunen Baum- oder Buschfrüchte ausgerechnet "Pöbel" zu titulieren, ist eine tolle Idee! Übernehm' ich glatt! Und den Titel lasse ich auf Französisch, ich mag diese neurechtschreibliche Großschreibung bei "recht haben" nicht. [EDIT: Das Kor­rek­to­rat teilt mir ge­rade mit, dass die Groß­schrei­bung hier zu­rück­ge­nom­men worden ist.] Und die nächs­ten Ta­ge wird es erst­mal wie­der wär­mer. Ouf !

______________________________  
Foto: C.E.

Mittwoch, 17. August 2016

Ehefähigkeitsverfahrensdauer

Herz­lich Will­kom­men auf den Blog­sei­ten einer Sprach­ar­bei­terin. Was mich da um­treibt, ist seit mehr als neun Jah­ren Ge­gen­stand die­ses Blogs. Ich bin Dol­met­sche­rin und Übersetzerin und ar­bei­te mit den Sprachen Französisch und Englisch. Manches Wort bereitet auch beim 100. Mal noch Probleme.

Postkarten mit Sprüchen wie "lächeln!" drauf und Topfflanzen
Berliner Amtsstube
Mal wieder in der "Ringefirma". Re­gel­mä­ßig Ehe­schlie­ßun­gen zu dolmetschen wäre ein schöner Job, wenn nicht der Vorlauf mit­un­ter so kompliziert wäre. Hier treffen sich in den Braut­leuten das Baltikum und Afrika. Wir waren schon zwei Mal vor Ort, immer fehlten Doku­mente, von deren Existenz wir nicht einmal geahnt hatten.

Wobei die Begriffe auch nicht immer zu 100 % klar sind. Manches Dokument gibt es im Ausland nicht, also muss das Ber­li­ner Kammer­gericht entscheiden, dass ein bestimmtes Papier nicht beizubringen ist. Statt­dessen müssen Zeugen­aussagen her, die aber nicht älter als sechs Monate sein dürfen.

Es geht um das "Ehe­fä­hig­keits­zeug­nis", auch Ledigkeitsbescheinigung genannt. Am Ende prüft eine andere Amtsperson die Ehefähigkeit beider Kandidaten. Hof­fent­lich dauert das Ganze am Ende nicht zu lange, sonst sind möglicher­weise die äl­tes­ten Doku­mente schon wieder ungültig.

Zwischendurch quatscht mich eine Rathausdame derartig in Grund und Boden, dass ich eine Erklär­epi­sode auslassen muss vor lauter verbalen Längenunterschieden. Und mehr­wört­rige Zungenbrecher gibt's als Dreingabe auch noch, zum Beispiel die "Erklärung der Abwe­senheit eines Ein­spruchs nach Aufgebot" — certificat d'absence of opposition. Den Blick auf wunderbare Amts­stub­en­deko kriegen wir als Drein­­ga­be.

Der nächste Termin ist beim Steuerberater, wieder mit Kunden. Ich such schon mal raus: Vorsteuerabzugssonderkonto, Ehegattensplittingsparagraph, ... Für den Ehe­fä­hig­keits­zeug­nis­bei­brin­gungs­be­frei­ungs­an­trag ist eine Bescheinigung nötig, ge­nau­er: für die Ehe­fä­hig­keits­zeug­nis­bei­brin­gungs­be­frei­ungs­an­trags­kos­ten­zah­lung.

______________________________
Foto: C.E.

Dienstag, 16. August 2016

Auf dem Schreibtisch XXXIV

Bonjour, hello, guten Tag! Hier schreibt eine Sprach­ar­bei­te­rin über den Be­rufs­all­tag als Dol­met­sche­rin für Fran­zö­sisch (und Über­­­set­­ze­rin). Ich arbeite für ins­ti­tu­tio­nel­le und private Kunden in Marseille, Paris, Berlin, Leipzig und fast immer dort, wo Sie mich brauchen!

In Berlin haben wir einzigartiges Herbstwetter. Ich erinnere mich jedenfalls an keinen August mit einstelligen Plusgraden in der Nacht und dem Griff zum Mot­ten­safe, zum vor Wollfraß versiegelten Wintersachen. In den Restaurants, Cafés und auf der Straße sind alle Sprachen und Akzente zu hören, nur die höchst direkte Berliner Zunge derzeit kaum. Ein wenig fremdele ich mit meiner Heimatstadt, die ähnlich leer wäre wie Paris im August, wenn eben die Touristen nicht wären.

Zwei Asiatinnen am Nebentisch
Subjektive in einem Café am Maybachufer
Es fühlt sich so an, als wäre ich derzeit die einzige Fran­zö­sisch­über­set­ze­rin in der deutschen Hauptstadt. Täglich rufen mich Kunden an, die von mir Dokumente übertragen und beglaubigt haben möchten, dabei mache ich das gar nicht, zumindest derzeit nicht, vielleicht än­dert sich das ja mal. Aber ich leite diese Aufträge immer di­rekt weiter.

Was liegt auf dem Schreibtisch? Hier meine Liste:

⊗ Aktuelle Politik (wie immer)
⊗ Übersetzung einer Webseite
⊗ Sachbuchexposé
⊗ Verschriftung eines Spielfilmklassikers (im Team)
⊗ Rechteabtretung

Zwischendurch kümmere ich mich noch um die Eheschließungspläne eines be­freun­de­ten Paars. Mittags lese ich im Café. An den Tischen neben mir wird Französisch gesprochen, Englisch, eine slawische Sprache und Chinesisch. Zwischendurch reißt mich das Gelächter der Chinesinnen aus dem Text. Sie sprechen weiter, dann bau­en sie ein deutsches Wort in ihr Gespräch ein, erst die eine, dann die andere, als würde sie den Begriff gerade erklären. Das Wort lautet "Unabhängigkeitstag". Stadtluft macht frei, die Berliner Luft offenbar besonders.

______________________________  
Foto: C.E.

Montag, 15. August 2016

La mise en abyme

Welcome, bienvenue, gu­ten Tag! Was Dol­met­scher und Über­setzer machen, kön­nen Sie hier lesen. Meine Sprachen sind Französisch (als Ausgangs- und Ziel­spra­che) und Englisch (Ausgangssprache). Ich arbeite in Paris, Rennes, München, Berlin und überall dort, wo Sie mich brauchen.

La mise en abyme, in Frankreich lernt den Begriff jeder Mensch, der Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft studiert, im 1. Semester, wenn es nicht bereits in der Abiturvorbereitung vorgekommen ist. Das Wörterbuch lehrt mich, dass das Wort abyme vom grie­chi­schen ἄβυσσος (abyssos) stammt, was so viel wie "ohne Boden" oder "unendlich" heißt. Die Sache mit der bodenlosen Erweiterung nach unten merken wir uns mal kurz.

Der Begriff käme aus der Heraldik, lerne ich weiter, aus der Wappenkunde, und be­zeich­ne ein Bild, das ein Bild enthalte, gerne auch sich selbst. Also der Hase mit dem Schild, auf dem ein Hase mit Schild abgebildet ist, das wiederum ...

An der Pariser Universität habe ich es so gelernt, dass André Gide Ende des 19. Jahrhunderts festgestellt hat: J'aime assez qu'en une œuvre d'art on retrouve ainsi transposé, à l'échelle des personnages, le sujet même de cette œuvre par com­pa­rai­son avec ce procédé du blason qui consiste, dans le premier, à mettre le second en abyme. ("Es gefällt mir sehr, wenn der Gegenstand eines Kunstwerks im Spek­trum seiner Charaktere ein weiteres Mal umgesetzt ist – ähnlich dem Verfahren, ein Wappen in seinem Feld wiederum abzubilden." André Gide, Journal 1893.

Auf einer französischen Webseite steht diese mise en abyme inmitten der Be­schrei­bung eines Kulturevents. Es geht um ein Musiktheaterstück für Kinder. Der Be­gleit­text soll die Erwachsenen überzeugen. Aber wer in Deutschland kennt schon das Zitat von Gide und was darauf gefolgt ist?
Französische Schulkinder wissen dafür im­mer­hin, dass man das Wort abîme für Kluft, Untiefe und Abgrund sonst mit einem I statt des Ypsilons schreibt (das auf Französisch das i grec, das griechische I ist).

Und dass das Wörtchen ein "Dächle" be­kom­men hat, wie die Schwaben sagen, wissen sie auf­grund eines Lernreims.

Le chapeau de la cime est tombé dans l’abîme et celui du boiteux est tombé dans la boîte ... auf Deutsch: Der Hut des Gip­fels (la cime, dortselbst kann ich mir be­rech­tig­ter­wei­se so ein "Dächle" vorstellen) ist in den Abgrund gefallen, ins abîme — und da sitzt er nun. Der Satz geht weiter: ... und der des Hinkenden, le boiteux, den wir uns jetzt mit Hut vorstellen dürfen, ist in die Schachtel gefallen, dans la boîte, hier ist wieder ein Accent circonflexe. Der Hinkende ist wohl gestolpert.
Dieser Satz ist mir in Potsdam beim Un­ter­rich­ten an Filmhochschule und Uni vor über zehn Jahren zum Glück im richtigen Au­gen­blick wieder eingefallen.

Ich habe viele Jahre im Studiengang "Europäische Medienwissenschaft" un­ter­rich­tet. Ich werde zu diesem Zeitpunkt etwa zehn Jahre das Wort boîte nicht mehr ge­schrie­ben haben. Aber auch diese Schnurren helfen mir nicht weiter bei der Über­set­zung. Ich suche nach der mise en abyme auf deutschen Webseiten. Die deutsche Kunstgeschichte hat den Begriff unverändert übernommen, es fällt dann immer gleich der Name des Malers Jan van Eyck oder irgendwelche Spiegeleffekte.

In der Epik muss, anders als in der Heraldik, die Binnenhandlung übrigens nicht mit der Rahmenhandlung identisch sein. Ich behelfe mich mit "ein Stück im Stück". Mich lässt es nicht los. Ich suche weiter, obwohl ich schon eine Lö­sung habe.

In Forum des Internetwörterbuchs LEO wird der Romanist Prof. Dr. Ottmar Ette (mit Sitz in Potsdam) mit dem Wort "Verschachtelung" zitiert. Mir fällt wieder ein, dass ich in den Nuller Jahren auch das Konzept der Matrjoschka-Puppen zur Er­klä­rung verwendet habe. Das brachte etwas Lokalkolorit in den noch nach DDR-Rei­ni­gungs­mit­tel Lysol |riechenden| stinkenden Hörsaal, der Abzug der Russen lag noch nicht so weit zurück.

Und als ich weiterlese, stoße ich auf die Erwähnung eines holländischen Ka­kao­her­stel­lers, in dessen Dose bei uns immer der Kochkakao verschwindet: Droste. Ab­ge­lei­tet davon werde auch der Begriff "Droste-Effekt" verwendet. Im Netz finde ich unter diesem Begriff vor allem Seiten auf Holländisch und Englisch. Und mit etwas Weitersuchen auch noch Seiten auf Deutsch, und zwar für Fotografen, De­sig­ner und Kommunikationsfachleute.

Nein, ich bleibe beim "Stück im Stück", das dürften alle verstehen. Den Link zur übersetzten Seite trage ich nach, sobald sie veröffentlicht ist.

______________________________  
Fotos: C.E.

Sonntag, 14. August 2016

Objets trouvés

Bonjour, hier liest, denkt und schreibt eine Dolmetscherin und Übersetzerin. Sonntags folgen die Sonntagsfotos.

Aus dem Arte-Film "Fundstücke" von Stan Neumann
Gefunden von Thomas Ruff
(Maschinenfotos, cf. Arte)
Gefundene Objekte sind der Gegenstand des heutigen Blogeintags. Und unter diesen Objekten blicke ich heu­te besonders auf die Fotos. Arte hat heute Mittag einen interessanten Film über den Umgang von Künstlern mit aufgefundem Fotomaterial gezeigt, l'art approprié. Wer mich kennt, weiß, dass ich mich für Fotografie in­te­res­siere. Besonders spannend finde ich Bilder, die (un­ab­sicht­lich oder ge­plant) etwas über mensch­li­chen All­tag erzählen. Davon finde ich viel in photos trouvés.

Der Arte-Film "Fundstücke" von Stan Neumann, der bis zum 22.8. online zu sehen ist, erzählt allerdings von küns­tle­ri­scher Aneignung solcher Fundsachen, von Um­in­ter­pre­ta­tio­nen und Spiel mit den klassischen Codes von Studio- und Urlaubsfotografie sowie von diversen Abnutzungserscheinungen unseres Blicks, aber auch des Trägermaterials. Mein Medientipp!

Der Film hat mich angeregt, über mein eigenes Ver­hal­ten nachzudenken. Seit vielen Jahren fotografiere ich meine Subjektiven für diesen Blog. Außerdem bringe ich Fundbilder und zeige, was mir auffällt. Die digitale Fotografie führt zu ganz anderen Motiven als früher, wo die Bandbreite geringer war, weil Fotografie schlicht zu teuer gewesen wäre für als banal Empfundenes.

Ich eigne mir neben gefundenen Bildern auch Motive an und emp­fin­de das als Luxus.

Herumprobiert mit Formen und Material haben einst nur Künstler und Lehrlinge. Ich fühle mich manchmal wie eine Schülerin, die immer wieder ihre Experimente anstellt. Und denke darüber nach, welche Fotos fehlen in der Samm­lung meiner Familie und der Photos trouvées vom Flohmarkt. Zum Beispiel der Blick in den al­ten Email­letopf am Sonntag. Der Salat wartet gespült und abgetropft in der ir­de­nen Schüssel, der Fisch brät in der Röhre. Diesen Blick hätte das Urchen, wie mei­ne Urgroßmutter im sächsischen Familienkreis hieß, genauso in den Topf werfen können. Und dieser Blick ist als photo trouvée im übertragenen Sinne eine mise en abyme, denn es ist ein Fundstück im Fundstück. Die mise en abyme erkläre ich hier.

Sieben Kartoffeln in einem schwarzen Emailletopf
Draufsicht, Sonntag halb eins
Das Gestänge vom Gasherd ist heute eine Spur moderner in seiner Zeichnung. Sonst ist alles gleich. Es ist sogar ein Topf aus diesem ur­groß­el­ter­li­chen Haushalt, den die Haus­häl­te­rin wohl in den 1920-er Jahren, weil er einen kleinen Schaden hat, in einen Schrank auf dem Speicher getan hat­te, bei­sei­te­ge­stellt viel­leicht für schlech­te­re Zeiten oder für sehr viel Besuch.

Der Schlüssel des Schranks ging verloren und tauchte erst Anfang der 1990-er Jahre bei der Sanierung eines Brunnens wieder auf. Für meinen Berliner Haushalt konnte ich etliche Dinge übernehmen und habe sie seither in Verwendung. So gesehen ist das Bild der "gefundene Blick" in den "gefundenen" Topf. Im übertragenen Sin­ne die Sto­ry in der Sto­ry.

______________________________  
Foto: C.E.

Freitag, 12. August 2016

Unübersetzbar

Was Über­set­zer und Dol­met­scher so im All­tag ma­chen, kön­nen Sie hier mit­le­sen. Auch manches ver­fol­gen, was sich in der Nacht abspielt. Jetzt folgt ein intimes Geständnis.

Irgendwie gehört zum Lebensgefühl von Spracharbeitern und -innen, dass sich alles übersetzen lässt. Wirklich alles. Es ist Freitag, der Tag ist keine drei Stunden alt, Berlin ist wolkenverhangen, kein Per­se­i­den­ne­bel ist von hier aus zu bewundern.

Ich liege im Bett. Und dann wache ich auf und denke: "Die Sterne sind mir schnup­pe."

That's fucking untranslatable.

EDIT: In der Kürze jedenfalls ... sonst: siehe Kommentar!

______________________________
Foto: folgt später

Donnerstag, 11. August 2016

Durch Blättern

Bonjour, hier liest, denkt und schreibt eine Dolmetscherin und Übersetzerin. Ich ar­bei­te in Paris, Berlin, Cannes, War­ne­mün­de und dort, wo Sie mich brau­chen.

Allein durch Fotografieren hat die Spracharbeiterin hier etwas be­wirkt.

Durch Aufmerksamkeit kam es zum Nachdenken. Durch Nachdenken kam es zur Lösung.

Durch die Lösung kam die visuelle Verbesserung des Berliner U-Bahn­hof­kiosks.

Und durch einen Zeitsprung: 1. und 9. August 2016 ...

Die neue deutsche Recht­schreib­de­form wurde gerade 20 Jahre alt. Spätfolgen!

______________________________  
Fotos: C.E.

Mittwoch, 10. August 2016

Basics (II): Drehbücher

Zur täg­li­chen Arbeit der Dol­met­scher­in gehört die Lek­tü­re von Zeitungen und das Hin­ter­fra­gen des Ge­le­senen. Gleich­zeitig mache ich mich in mehreren Sprachen kundig und lege bei Themen, zu denen ich in nächster Zeit Einsätze erwarten darf, eigene Wortlisten an. Außerdem dürfen wir immer wieder die Grundlagen unserer Arbeit erklären. Heute durfte ich zurückdenken an einen Blogbeitrag aus dem Jahr 2010. Es ging und geht um das Übersetzen von Drehbüchern.

Im Jahr 2009 habe ich zehn Drehbücher übersetzt, insgesamt eine Mil­lion Zei­chen (in­klu­si­ve Leerzeichen), das war viel Arbeit. (Seither ist es etwas we­ni­ger ge­wor­den, weil ich mehr dol­met­sche.)

Schreibtisch mit Kalender
Terminplanung mit Drehbuchstapel
Ich hätte noch mehr über­set­zen können, wenn mich man­cher aus den Pro­duk­tions­fir­men mit meinen Fragen und Anmerkungen ernst ge­nom­men hätte. Denn als erste externe Leserin, über deren Schreibtisch viele Dreh­bü­cher wandern, sehe ich Baufehler in der Dramaturgie, höre ich Papier ra­scheln bei Dia­lo­gen, spüre Schwächen von Cha­rak­te­ren.

Natürlich übersetze ich (oft im Team) viele Arbeitsfassungen. Dabei ist jene, die gerade in Arbeit ist, selten bereits das shooting script. Oder aber wir erstellen die Fassung für die internationale Vermarktung, bei Dokumentarfilmen den Spre­cher­ka­bi­nen­text.

Hier geht's weiter: Drehbücher übersetzen.

______________________________  
Foto: C.E. (Archiv)

Dienstag, 9. August 2016

Ressourcenplanung

Hallo, bonjour, hello auf meinen Blog­seiten aus dem Le­ben einer Pro­fi­dol­met­scher­in. Hier schreibe ich im neunten Jahr über die Arbeitswelt der Sprachen. Ich arbeite in Berlin, Leipzig, Hamburg, Lyon, Pa­ris und dort, wo Sie mich brauchen. Ich bin diesen Sommer im Berliner Büro.

Gestern war der Earth overshoot day, der Tag der Übernutzung der Welt. Seit heu­te nutzen wir mehr Ressourcen, als der Globus uns für das Jahr 2016 anbieten kann. Zwei Jahre vor Mauerfall lag der Übernutzungstag am 19. Dezember. Wir müs­sen also mit den Ressourcen anders umzugehen lernen. Dringend.

Auch mit anderen Ressourcen. Geaast wird in diesem Land in Sachen Lebensmittel und Kleidung, mit Gewicht von Karossen, dem Fahren von Autobahnkilometern, mit Abwrackprämien I und II (die neue heißt anders, die mit den Elektrikautos), Investitionsprogrammen I und II der Bundesregierung ... in der sächsischen Ge­burts­stadt meines Vaters wurde das eben reparierte Pflaster der Gehwege auf­ger­is­sen und seit über 150 Jahre in der Mitte des Trottoirs liegende Gra­nit­plat­ten wur­den durch kleinteiliges Granitpflaster ersetzt. Direkt neben dieser re­pa­ra­tur­in­ten­si­ve­ren Pflasterung verfallen Baudenkmale oder werden nur durch privates En­ga­ge­ment gesichert.

Gestern kam heraus, dass dieser Tage ein Tourist als China in die deutsche Asyl­be­wer­ber­müh­le geraten ist. Eigentlich war er nur wegen eines verlorenen Por­te­mon­naies in Heidelberg zu der Behörde gegangen, die er für die Polizei gehalten hat. Man habe ihm dort zum Ausfüllen des Formulars einen Dolmetscher an die Seite gestellt, war in den Medien zu lesen. Offenbar war dieser Dolmetscher nicht der Sprache des Reisenden kundig, ein Profi kann er auch nicht gewesen sein, ein Profi hätte diesen Umstand schlicht kom­mu­ni­ziert.

So geriet der 31-Jährige in ein Auffanglanger. Fast zwei Wochen saß er dort fest, bis er es dank der automatischen "Übersetzungs"funktion seines Mobiltelefons doch noch geschafft hat, einen Mitarbeiter des DRK, das das Heim betreibt, ausreichend zu irritieren, und zwar mit der Aussage, er wolle jetzt doch lieber in Italien oder in Frankreich spazieren gehen.

Die Abnahme von Fingerabdrücken und das medizinische Checkup hat der junge Mann offenbar für das übliche Procedere bei einer polizeilichen Anzeige gehalten. Und waren in seinen Augen die ganzen Mitbewohner des Flüchtlingslagers alle für Opfer von Raub und Kleindiebstahl? Welche Nachrichten erhält China nun über dieses komische Land inmitten Europas?

In Heidelberg gibt es übrigens das renommierteste sinologische Institut Deutsch­lands. Und ja, dort werden auch Dolmetscher ausgebildet.

SprachhelferInnen für Flüchtlingsberatung gesucht!  Das Counseling Center For Refugees, von der Diakonie Heidelberg und dem Caritasverband Heidelberg e.V., sucht ehrenamtliche SprachhelferInnen für die Flüchtlingsberatung.  Benötigt werden Übersetzer afrikanischer und asiatischer, sowie der Balkansprachen (Somali, Tigrinya, Mandinka, Amharisch, Arabisch, Französisch,Russisch, Chinesisch, Nordkoreanisch, Albanisch, Serbokroatisch, Italienisch, Arabisch, Persisch, Kurdisch, Türkisch).  Ihr sprecht eine (oder mehrere) dieser Sprachen und wollt Euch ehrenamtlich für Flüchtlinge in Heidelberg engagieren?  Dann meldet euch per E-Mail unter: phv-ehrenamt@caritas-diakonie-hd.de
Ehrenamt oder Arbeit zum Solidarpreis sind an sich gut.
Wenn das aber ganze Berufszweige zur Armut verdammt, nicht.
Aber Ausländer dürfen in deutschen Amts­stu­ben im­mer we­niger kos­ten. Also nimmt man Laien, die dann mit der leider nicht ge­schütz­ten Be­rufs­be­zeich­nung Dolmetscher belegt wer­den, und zahlt ih­nen 10 Euro die Stun­de (statt die nach Jus­tiz­ver­gü­tungs­ge­setz üb­li­chen 70 Euro).

Ja, und auch wenn ich zu den deutschen Steu­er­zah­lern zähle, wün­sche ich mir und uns, dass der Gast die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land auf Scha­dens­er­satz ver­klagt. Und zwar rich­tig.
Al­les, was das Wis­sen um die Arbeit von ech­ten Dol­met­schern in der Öf­fent­lich­keit mehrt, ist gut.

Die Heidelberger Caritas bzw. Diakonie schafft hier im­mer­hin die sprachliche Dif­fe­ren­zie­rung zwischen Sprachhelfern und Dolmetschern. Das ist gut.

Wir müssen nachhaltiger mit unseren Ressourcen umgehen. Dringend.


#Stop_Interp_loitation!
______________________________
Illustration: Diakonie Heidelberg

Montag, 8. August 2016

Basics (I): ÜNZ

Hier be­grüßt Sie ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin, auf de­ren Sei­ten Sie ge­­plant oder zu­­fäl­­lig ge­lan­det sind. Ob in Berlin, Paris, Schwerin oder Lille, ich arbeite überall als Dolmetschern und Übersetzerin. Heute überarbeite ich einen bestehenden Beitrag und kläre (erneut) die klasische Frage nach der Übersetzernormzeile.

Im Büro
Dokumente, Pro­jekt­be­schrei­bun­gen oder Filmtexte über­set­zen, Drehbücher, Inter­views oder Kommentarexte — immer muss ich das jeweils ge­for­der­te Sprachniveau ken­nen und meine Zeit richtig einteilen.
Filme sind zeitlich begrenzt, daher sind oft meh­re­re Über­set­zungs­vor­gän­ge nötig, um den richtigen Kon­zen­tra­tions­grad zu er­rei­chen.

Manchmal kommen wir um leichte Kürzungen nicht herum. Die englische Sprache ist weitaus dichter als die deutsche. Ziel ist, einen Text zu erhalten, der funk­tio­niert, zum Beispiel in der Sprecherkabine, und das bei möglichst gleich­blei­ben­der Inhaltsfülle.

Das macht mehr Arbeit, selbst, wenn am Ende das Ergebnis 'schlanker' ist. Um die Arbeit gerecht abzurechnen, gibt es den Zeilenpreis und die Normzeile.

Die von keinem Normierungsinstitut definierte Übersetzernormzeile ergibt sich aus­­ge­­hend von der Gesamtheit der Anschläge (in­klu­si­ve Leer­zei­chen) des Textes geteilt durch 55 Anschläge inklusive Leer­zeich­en (sonst in Manuskripten üblich: 60 Anschläge). Die­se Zahl kommt daher, dass man einstmals, vor der au­to­ma­ti­schen Wortzählfunktion, jede an­ge­fan­ge­ne Zei­le neu be­rech­net hat, was sich je nach Textform mal zu­un­guns­ten des Auftraggebers, mal zuungusten des Über­set­zers aus­ge­wirkt hat. Daher nutzt meine Bran­che jetzt die ver­kürz­te Norm­zei­le.

Sich wiederholende Namen und Ortsangaben zählen mit, da die Textvorlage als Lay­out­sche­ma zu berücksichtigen ist, was Mehraufwand schafft. Daraus ergibt sich: X Anschläge dividiert durch 55 Anschläge x XYZ Euro = Zwischensumme in Euro vor Steuern. Natürlich brauchen wir bei Übersetzungen fertiger Filme zum Text auch noch das bewegte Bild, um etwaige Dop­pel­deu­tig­kei­ten zu vermeiden.

Kolleginnen und Kollegen anderer Sprachen rechnen übrigens in der Regel nach Wör­tern ab. Französisch und Englisch kennen ja viele, die nur einen oder zwei Buchstaben umfassen, I, y, à, a, du, dû, tu, je, il, ne, me, va, no ...

Zum groben Umrechnen der Zeilen-/Wortpreise hat sich ein Internetkonvertierer bewährt, der allerdings das jeweilige Sprachniveau nicht berücksichtigt, was wir Spracharbeiter selbst machen. Weiterer Preisfaktor: Die zur Verfügung stehende Zeit. Trans­la­tor's Con­ver­ter is re­leased under MIT License. This web­site is made by Koen van Gilst (@vnglst).

______________________________  
Foto: C.E.  (Archiv)

Sonntag, 7. August 2016

Abendsport

Ob geplant oder zufällig, Sie lesen hier in meinem digitalen Tagebuch aus der Ar­beits­welt. Ich bin Dolmetscherin für die französische Sprache (und aus dem Eng­li­schen). Heute folgt das Sonntagsfoto.

Joggerin trifft auf Kanuten, es ist Sonntagabend, wir sind in Berlin-sur-mer.


______________________________
Foto: C.E.

Mittwoch, 3. August 2016

Im Grünen

Französischdolmetscher und -übersetzer haben, verglichen mit anderen Be­rufs­tä­ti­gen, einen atypischen Arbeitsalltag. Bei uns kommt einiges zusammen: Manch­mal arbeiten wir zu krummen Schichtzeiten wie Ärzte, haben Reisezeiten wie Fern­fah­rer, müssen Ordnung und Klarheit reinbringen wie Reinigungskräfte und wissen ohnehin immer alles besser wie Lehrer. Meine Fachbereiche sind Wirtschaft und Politik, Soziales, Bau, Tourismus und Kultur.

Wer viel hinter den Büchern klebt, braucht Ausgleich. Gerne schwinge ich mich morgens aufs Fahrrad und bin etwas mehr als einer halben Stunde am Badesee.

Hofgarten
Auch Fahrten ins Grüne, zum Beispiel am Wochenende, liebe ich sehr. Da ich oft samstags und sonntags arbeite, kann das Wochenende bei mir auch mal mitten in der Woche liegen. Das ist ähnlich wie bei meinen Kunden, von denen etliche im Bereich Film und Fernsehen ihre Brötchen verdienen.

Grün mag ich auch, wenn ich aus dem Fenster schaue, hier der Blick hinten raus. Eine Nachbarin und ich kümmern uns um den kleinen Garten im Hof. Meine Haupt­auf­ga­be liegt neben sämtlichen Hilfs­ar­bei­ten im Betreuen des Komposts. Im Grunde liefern nur 2,5 Per­so­nen seit drei Jah­ren hier die Grund­stof­fe.

Guten Komposterde herzustellen aus den Resten von Biolebensmitteln (Tee- und Kaf­fee­satz, Sa­lat, Ge­mü­se ...) und Gartenabfällen ist gar nicht so einfach. Der Kom­post sollte un­ter­schied­li­ches Material zusammenführen, darf nicht zu feucht sein und muss viele Kleinstlebewesen anziehen. Die Mischung muss stimmen. (Wer dazu etwas lesen möchte, dem sei der kleine Brevier der Klostergärtnerinnen von Fulda ans Herz gelegt: „Kompost — Gold im Biogarten“).

Parallel dazu lese ich viel über Bodengesundheit, Umbau der mechanisch-che­mi­schen Land­wirt­schaft in einen biologisch-naturpflegerischen Landbau, über Pa­ral­lel- und Wech­sel­­kul­tu­ren sowie Permakultur.

Sommerstimmung
Dazu gab es gestern Abend zu meiner großen Freude ein spannendes Feature meines Nachbarn und Gar­ten­freunds Ernst Lud­wig von Aster (Grü­ße!) auf Deut­schland­ra­dio Kultur mit dem Titel „Ohne Pflug auf den Acker – Land­wir­te passen sich den Kli­ma­wan­del an". Vieles deckt sich da mit dem, was ich aus Frank­­reich seit etlichen Jah­ren so höre und le­se.

Zum Beispiel mit dem, was "meine" Boden­päpste, die Mi­kro­bio­lo­gen Lydia und Jean-Claude Bour­gui­gnon predigen (über sie hat die "Welt" dankenswerterweise vor einem Jahr schon einmal berichtet).

Das Feature ist heute meine Hör­em­pfeh­lung. (Wer möch­te, findet dort auch die Text­fas­sung der Sen­dung.)

______________________________  
Fotos: C.E.

Dienstag, 2. August 2016

Aktendulli

Hier schreibt eine Dol­met­sche­rin. In den zwei, drei Tagen vor einem Ein­satz: Le­sen, lernen, wiederholen. So auch heute. Alles ist zweisprachig im Kopf. Noch viel zweisprachiger als sonst.

Bon, j'ar­rive à de­vi­ner au marché le poids d'un bout de fro­mage à cinq grammes près, c'est du sa­voir inu­tile pour moi. Mais parler le cha­ra­bia des ar­chi­tectes ou du ciné­ma ou de la dé­fun­te RDA, c'est ali­men­taire, mon cher Wat­son. 

Tee und Käse
Vokabeln zwischen Küche ...
Schick: Ich kann auf fünf Gramm genau das Gewicht eines Stück­chens Käse auf dem Markt schät­­zen. Für mich ist das nutz­loses Wissen.

Aber Archi­tekten- und Film­kau­der­welsch zu beherr­schen oder DDR-Vo­ka­bular, das ist ele­men­tar, mein lieber Wat­son.



relevé de bâtiment — Gebäudeaufmaß
forets couronnés à diamant — Diamantkronenbohrer
copie lavandeLavendelkopie
anamorphoseur— anamorphotische Vorsatzlinse
planche à voile — brettsegeln (DDR) / surfen (alte BRD) 
relieur (d'archive) à lamelle — Aktendulli (Ost/est) / Heftstreifen (West/ouest)

La maison Duden, le Larousse allemand, vient de publier un petit test d'allemand de RDA: lien.

Tee und Aktenheftdingerchen
... und Büro
Duden hat ei­nen kur­zen Test für DDR-Deutsch veröf­fent­licht: Link.

P.S.: Das mit dem Brett auf dem Was­ser ist für mich, die ich in der DDR nie am Meer war, urst einfach: Der DDR-Begriff klingt, als wäre er direkt aus dem Fran­zö­si­schen über­setzt worden.
______________________________
Fotos: C.E.

Montag, 1. August 2016

Weichenstellungen

Bien­ve­nue, will­kom­men auf den Sei­ten eines di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buchs. Hier hinterlässt eine Dolmetscherin im 10. Jahr ihre Rand­be­mer­kun­gen aus einem sprachbetonten Arbeitsalltag.

Letzte Woche durfte ich eine buddhistische Weis­heit ken­nen­ler­nen: "Die schlech­ten Menschen sind nur dadurch erfolgreich, dass die guten un­tä­tig sind." Die Antwort auf das Dilemma bringt Henry Charles Bukowski jr.: "Das Problem der Welt ist, dass intelligente Menschen voller Zweifel und Dumme voller Selbstvertrauen sind".

Und das Ré­su­mé stammt von Jean Paul Sartre: "Wenn ihr eure Augen nicht gebraucht, um zu sehen, werdet ihr sie brau­chen, um zu weinen."

Manchmal habe ich das be­klem­men­de Gefühl, als Dol­met­sche­rin nicht aus­rei­chend mei­nen Teil dazu beitragen zu können, dass diese Welt eine bessere wird.

Mich führen diese Gedanken direkt zu beruflicher Wei­ter­ent­wick­lung. Ich werde wei­ter­hin als Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin arbeiten, mich aber auch als Sprechercoach für dol­met­scher­affines Vortragen en­ga­gie­ren.
Begleitend dazu bin ich selbst Coa­chee. Ich lasse mich bis zum Jah­res­en­de professionell auf dem Berufsweg begleiten.

Der Coach ist Fran­zo­se, die Sitzungen finden auf Fran­zö­sisch statt. Das ist meine Er­wa­chse­nen­spra­che. Ich muss den Gründen nicht auf den psy­cho­lo­gi­schen Tiefgrund gehen, die mich daran hindern, manches an mir selbst nicht zu er­ken­nen.

Es geht um prak­ti­sche Lö­sun­gen, Haltungen und Ideen.


P.S.: Und viel­leicht ent­schei­de ich mich noch für ein be­rufs­be­glei­ten­des Mas­ter­stu­dium in ei­nem Po­li­tik­be­reich, in dem ich seit Jah­ren als Dol­met­sche­rin tä­tig bin. Wir wer­den se­hen, ich be­rich­te hier wei­ter.
______________________________
Berliner Fassadenkontraste: C.E.