Dienstag, 23. August 2016

Tirer la langue

Willkommen auf den Seiten des ersten deutschen Blogs aus dem Inneren der Dol­met­scher­ka­bine und vom Übersetzerschreibtisch. In Berlin herrscht spät­som­mer­li­che Geschäftigkeit. Und Deutschland diskutiert.

Metallsilhouette mit Blattzunge
Natur trifft Kunst in Kreuzberg
"Jemandem die Zunge ziehen" (tirer la langue à quelqu'un) heißt wörtlich übersetzt auf Französisch eine Un­muts­be­kun­dung, die hierzulande nur ge­ring­fü­gig anders lautet. Nein, lieber Leserin, lieber Leser, ich verhalte mich Ihnen ge­gen­über heute nicht un­bot­mä­ßig. Neu­er­dings be­ob­ach­te an mir nur eine Grenze, die ich bis dato nicht be­merkt hatte.

Eine Grenze, zu viele, zu flache und zu hysterisch geführte öffentliche Debatten er­tra­gen zu wollen. Ich finde es immer wichtig, wenn Themen in der Gesellschaft dis­ku­tiert werden. Mit dem berühmten Niveau des ebenso berühmten Stamm­tischs konn­te ich allerdings als content driven person (etwa: an Inhalten orientiert) noch nie viel anfangen.

Erst wurden die Klotüren erfunden, dann die sogenannten "sozialen Medien". Hier spiegelt sich das, was an nämlichen Stammtischen wohl so abgeht. Nun sind die stammtischgenährten Sprüche von der Klotür erst ins Internet, dann auf manche Zeitungsseite gerutscht.

Dieser Tage überschlagen sich diese Stimmen in den Medien, die oft nur eine Idee verfolgen und für diese einige aus dem Kontext gerissene Aspekte als ver­meint­li­che Beweise anführen, anstatt profund zu diskutieren. Echter Diskussion indes lie­gen Wissen und Beobachtungen zugrunde, Ana­ly­sen, Erklärungsversuche, Nach­den­ken und immer wieder das Nachlesen und Erfragen diverser Hin­ter­grü­nde. Diesen hektisch geführten Schlagabtäuschen zeige ich jetzt die Zunge.

Vor allem dann, wenn ich müde vom Einsatz komme. Ist es das Älterwerden, das mir hier die Verve nimmt mich zu beteiligen, zu hinterfragen, anzumerken oder schlimm Entstelltes richtigzustellen? Bin ich müder als noch vor zehn Jahren nach einem Einsatz? Oder ist es die schiere Wucht des Stammtischs, die mich davon ab­hält, auch nur auf den größten Humbug einzugehen?

Der Hinterkopf formuliert allerdings an einem Grundsatztext. "Unter dem Wan­der­zelt" könnte er heißen. Mal sehen, |ob| wann ich die Ermüdung und auch den Dégoût überwinden kann, die mich angesichts des medialen Rauschens überfällt. Und jetzt freue ich mich erstmal an dem Silhouettenhippie, der es anderen über­lässt, der Welt die Zunge raus­zustrecken.

______________________________
Foto: C.E.

Keine Kommentare: