Dienstag, 9. August 2016

Ressourcenplanung

Hallo, bonjour, hello auf meinen Blog­seiten aus dem Le­ben einer Pro­fi­dol­met­scher­in. Hier schreibe ich im neunten Jahr über die Arbeitswelt der Sprachen. Ich arbeite in Berlin, Leipzig, Hamburg, Lyon, Pa­ris und dort, wo Sie mich brauchen. Ich bin diesen Sommer im Berliner Büro.

Gestern war der Earth overshoot day, der Tag der Übernutzung der Welt. Seit heu­te nutzen wir mehr Ressourcen, als der Globus uns für das Jahr 2016 anbieten kann. Zwei Jahre vor Mauerfall lag der Übernutzungstag am 19. Dezember. Wir müs­sen also mit den Ressourcen anders umzugehen lernen. Dringend.

Auch mit anderen Ressourcen. Geaast wird in diesem Land in Sachen Lebensmittel und Kleidung, mit Gewicht von Karossen, dem Fahren von Autobahnkilometern, mit Abwrackprämien I und II (die neue heißt anders, die mit den Elektrikautos), Investitionsprogrammen I und II der Bundesregierung ... in der sächsischen Ge­burts­stadt meines Vaters wurde das eben reparierte Pflaster der Gehwege auf­ger­is­sen und seit über 150 Jahre in der Mitte des Trottoirs liegende Gra­nit­plat­ten wur­den durch kleinteiliges Granitpflaster ersetzt. Direkt neben dieser re­pa­ra­tur­in­ten­si­ve­ren Pflasterung verfallen Baudenkmale oder werden nur durch privates En­ga­ge­ment gesichert.

Gestern kam heraus, dass dieser Tage ein Tourist als China in die deutsche Asyl­be­wer­ber­müh­le geraten ist. Eigentlich war er nur wegen eines verlorenen Por­te­mon­naies in Heidelberg zu der Behörde gegangen, die er für die Polizei gehalten hat. Man habe ihm dort zum Ausfüllen des Formulars einen Dolmetscher an die Seite gestellt, war in den Medien zu lesen. Offenbar war dieser Dolmetscher nicht der Sprache des Reisenden kundig, ein Profi kann er auch nicht gewesen sein, ein Profi hätte diesen Umstand schlicht kom­mu­ni­ziert.

So geriet der 31-Jährige in ein Auffanglanger. Fast zwei Wochen saß er dort fest, bis er es dank der automatischen "Übersetzungs"funktion seines Mobiltelefons doch noch geschafft hat, einen Mitarbeiter des DRK, das das Heim betreibt, ausreichend zu irritieren, und zwar mit der Aussage, er wolle jetzt doch lieber in Italien oder in Frankreich spazieren gehen.

Die Abnahme von Fingerabdrücken und das medizinische Checkup hat der junge Mann offenbar für das übliche Procedere bei einer polizeilichen Anzeige gehalten. Und waren in seinen Augen die ganzen Mitbewohner des Flüchtlingslagers alle für Opfer von Raub und Kleindiebstahl? Welche Nachrichten erhält China nun über dieses komische Land inmitten Europas?

In Heidelberg gibt es übrigens das renommierteste sinologische Institut Deutsch­lands. Und ja, dort werden auch Dolmetscher ausgebildet.

SprachhelferInnen für Flüchtlingsberatung gesucht!  Das Counseling Center For Refugees, von der Diakonie Heidelberg und dem Caritasverband Heidelberg e.V., sucht ehrenamtliche SprachhelferInnen für die Flüchtlingsberatung.  Benötigt werden Übersetzer afrikanischer und asiatischer, sowie der Balkansprachen (Somali, Tigrinya, Mandinka, Amharisch, Arabisch, Französisch,Russisch, Chinesisch, Nordkoreanisch, Albanisch, Serbokroatisch, Italienisch, Arabisch, Persisch, Kurdisch, Türkisch).  Ihr sprecht eine (oder mehrere) dieser Sprachen und wollt Euch ehrenamtlich für Flüchtlinge in Heidelberg engagieren?  Dann meldet euch per E-Mail unter: phv-ehrenamt@caritas-diakonie-hd.de
Ehrenamt oder Arbeit zum Solidarpreis sind an sich gut.
Wenn das aber ganze Berufszweige zur Armut verdammt, nicht.
Aber Ausländer dürfen in deutschen Amts­stu­ben im­mer we­niger kos­ten. Also nimmt man Laien, die dann mit der leider nicht ge­schütz­ten Be­rufs­be­zeich­nung Dolmetscher belegt wer­den, und zahlt ih­nen 10 Euro die Stun­de (statt die nach Jus­tiz­ver­gü­tungs­ge­setz üb­li­chen 70 Euro).

Ja, und auch wenn ich zu den deutschen Steu­er­zah­lern zähle, wün­sche ich mir und uns, dass der Gast die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land auf Scha­dens­er­satz ver­klagt. Und zwar rich­tig.
Al­les, was das Wis­sen um die Arbeit von ech­ten Dol­met­schern in der Öf­fent­lich­keit mehrt, ist gut.

Die Heidelberger Caritas bzw. Diakonie schafft hier im­mer­hin die sprachliche Dif­fe­ren­zie­rung zwischen Sprachhelfern und Dolmetschern. Das ist gut.

Wir müssen nachhaltiger mit unseren Ressourcen umgehen. Dringend.


#Stop_Interp_loitation!
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Illustration: Diakonie Heidelberg

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