Die Texte, die Sie hier lesen, entstehen in einer zwei Quadratmeter kleinen Box. Denn meine Notizen aus dem Sprachmittleralltag schreibe ich in der Dolmetscherkabine … oder an einem meiner etwas größeren Übersetzerschreibtische.
Viele Jahre habe ich Untertitel übersetzt. Ich habe mich gerne dieser Aufgabe sehr gerne gewidmet. Das Erstellen von Untertiteln ist eine Mischung von Übersetzung und Denksport. Außerdem sind Filmkenntnisse ebenso nötig wie ein Gespür für Rhythmus und Timing. Das liegt zunächst einmal an der Länge (bzw. Kürze) der Titel selbst und an den vielen störenden Schnitten. Das Auge kann in einer bestimmten Zeit nur eine bestimmte Anzahl von Wörtern "sehen", das oberste Gebot ist also: Verknappung. (Auf das Sehen komme ich am Ende zurück.)
Untertitelübersetzung ist so, wie sich die Übersetzung von Kreuzworträtseln anfühlen müsste, früher noch mehr als heute.
Denn schmale Buchstaben fielen damals weniger ins Gewicht als breite, es galt also, Wörter zu wählen, die möglichst viele Buchstaben wie l, t, i oder die platzmäßig eher neutralen anderen Vokale verwenden, als Wörter, die vor Auf- und Abstrichen nur so strotzen (z.B. M, N, W). Kurz, das Wort Wunsch war nicht empfehlenswert. Es hat nicht nur einen Buchstaben mehr als Bitte, sondern kann mit dessen Häufung schmaler Zeichen nicht mithalten. (Mir scheint jedenfalls, dass sich das geändert hat, denn bei den Titeln, die ich heute sehe, haben sich ähnlich wie bei vielen Typographien die Platzverhältnisse verändert. Sollte ich mich hier irren, liebe fachkundige Leser, bitte ich um kurze Rückmeldung.)
Kurz: Eine übersichtliche Menge möglicher Anschläge und die Neigung, schmalen Wörtern den Vorzug zu geben, beeinfluss(t)en den Übersetzungsvorgang. Im Internet gibt es heute Reimlexika und Synonymseiten, aber Nachweise über raumsparende Textbausteine habe ich noch nicht gefunden. Also heißt es auszählen und probieren. Irgendwann kennt der Kopf die Anzahl der Anschläge und Schmalbuchstaben intuitiv 'auswendig', das Ausprobieren wird weniger.
Getippt haben wir die Titel in der Courier-Schrift, da sie den
unterschiedlichen Breiten der Buchstaben Rechnung trug. (Das bildet
heute nur noch die Schrift "American Typewriter" ab, siehe
Bilder, die mögliche Denkschritte abbilden.)
Deshalb rennen Protagonisten eher nicht durch die Titel, sie laufen weniger raumgreifend. Und das geschieht nicht immer wieder, sondern oft — was unter Umständen (kürzer: zum Teil) zu einer kleinen inhaltlichen Veränderung führt, die es natürlich (sicher) zu vermeiden gilt. Es kann sein, dass diese Art der Wortwahl auch dazu führt, dass Untertitel etwas antiquiert klingen (und nicht altmodisch). So erleben Wörter wie stets ihr Revival (statt immer), oder anstelle des Satzes: "Paul kommt nur selten zu Besuch" wählen wir Untertitler die Redewendung "Paul macht sich rar".
Das gilt, um das Gesagte gleich wieder einzuschränken, sicher nicht für alle Filme. Wir haben selbstverständlich (gewiss) auch das Publikum im Kopf. Verstehen schon 10-jährige diese Redewendung, wenn der Film zum Beispiel ein Kinderfilm ist? Wohl eher nicht. "Wir sehen Paul selten" könnte, je nach Situation, die Lösung sein. Denn anders als beim Buch kann ja niemand zurückblättern, die Titel müssen sofort eingängig sein.
Auch grammatikalisch führt die Untertitelei zu Veränderungen der Sprache. Während wir umgangssprachlich sagen würden: "Anne? Die habe ich erst neulich getroffen?", sagt die Figur im Filmuntertitel eher: "Anne? Die traf ich erst neulich." Den Grund kennen Sie jetzt.
"Eingedampft" wird auch die gesamte Textmenge. Dazu ist aber Fingerspitzengefühl nötig, die Auswahl muss in Kenntnis des Films und seiner Dramaturgie stattfinden, das Fehlende soll mitschwingen. Zentrale Begriffe, die irgendwo eingeführt werden (im Fachjargon "planting"), und die anderswo wieder auftauchen (Fachbegriff "pay off"), dürfen nicht versemmelt werden. Dann kommen noch die Rhythmusprobleme, ein Titel sollte nicht über einem Bildschnitt stehenbleiben, und wenn viel im Bild passiert, ist auch Reduktion angesagt. Wichtig: Lesende Zuschauer dürfen nicht in Panik verfallen, dass sie oder er etwas verpassen könnte.
Nachvollziehen lässt sich das auch ohne große Fremdsprachenkompetenz mit den Untertiteln für Hörgeschädigte. Auch die einsprachig untertitelnden Kolleginnen und Kollegen haben dieses Problem und kennen die einschlägigen Tricks.
Bevor ich auf das "Sehen" der Titel zurückkomme, noch eine Bemerkung zur Untertitelfarbe. Neulich schlug jemand vor, die Buchstaben in einen Kasten zu setzen, wie es bei Arte zu Beginn üblich war, da stand alles auf einem gelben Balken. Hier streiten sich die Fachleute. Ein solcher Eingriff ins Bild ist entstellend. Allerdings hat Lesbarkeit auch Vorteile. Die Probleme, die wir heute damit haben, fühlen sich für mich allerdings wie Mini-Probleme an. Damals (einst), auf dem Silbergelatinematerial, wurden die Titel aus der Beschichtung herausgebrannt. Da war dann der transparente, weiße Titel auf weißem Bildhintergrund (helles Kleid, Tischdecke o.ä.) wirklich nicht zu lesen.
So. Die Lesetheorie von Untertiteln besagt, dass Worte gar nicht einzeln entziffert, sondern in ihrer Gesamtheit wahrgenommen werden, also das Schriftbild im Gehirn so verarbeitet wird, wie ein Symbol oder das Bezeichnete ganz reell verarbeitet werden würde. Das spricht für Titel und dafür, dass trotz Texts im Bild auch der Rest des Films "gesehen" werden kann.
Außerdem ist erwiesen, dass das mit der Zeit das "Erkennungstempo" ebenso zunimmt wie die Geläufigkeit im Umgang mit Schrift oder Sprache, die auch eine Fremdsprache sein kann. In Skandinavien werden nur Programme synchronisiert, die für Kinder oder Rentner hergestellt wurden, alles andere wird untertitelt. Sowohl in den Bereichen Lese- und Schreibkompetenz als auch in Fremdsprachen sind die Menschen aus skandinavischen Ländern durch die Bank weg besser. Ob die Ergebnisse der PISA-Studien nicht zu einem Großteil daran liegen? Ich vermute das stark. Und empfehle beim Sprachenlernen den Einsatz von Filmen, dabei die Untertitel in der jeweiligen Sprache einschalten. Hören bei gleichzeitigem Lesen verstärkt den Lerneffekt auch dann, wenn der Untertitel ein Synonym anzeigt.
Fortsetzung folgt demnächst. Thema: Details der "Untertitelunterbezahlung", die mich veranlasste, das Feld zu wechseln. Die verbliebenen Kollegen finden sich gerade zusammen, um Aktionen zu durchzuführen.
Weiterführende Links: Ein Plädoyer für Untertitel auf Buurtal (Alexandra Kleijn).
Und hier wird beschrieben, was Dolmetscher schon lange wissen (ich bereite mich zum Teil so vor): Das Hörverständnis auch bei Akzenten steigt durch fremdsprachlich untertitelte Filme, Link zur Max-Planck-Gesellschaft (Holger Mitterer/James McQueen): "Da muttersprachliche Untertitelungen dieser Art von Lernen eher im Wege stehen, sollten auch in Fernsehprogrammen fremdsprachliche Untertitel als optionales Angebot zur Verfügung stehen, fordern die Wissenschaftler."
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Illustrationen: C.E.
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