Donnerstag, 6. März 2014

Übers Untertiteln

Die Texte, die Sie hier lesen, ent­stehen in einer zwei Qua­d­­rat­me­ter kleinen Box. Denn meine Notizen aus dem Sprach­mitt­ler­all­tag schreibe ich in der Dol­met­scher­ka­bine … oder an einem meiner etwas größeren Über­setzer­schreib­tische.

Wunsch -> Bitte, grundsätzlich -> immer usw.Viele Jahre habe ich Untertitel übersetzt. Ich habe mich gerne dieser Aufgabe sehr gerne gewidmet. Das Erstellen von Untertiteln ist eine Mischung von Übersetzung und Denk­sport. Außerdem sind Filmkenntnisse ebenso nötig wie ein Gespür für Rhythmus und Ti­ming. Das liegt zunächst einmal an der Länge (bzw. Kürze) der Titel selbst und an den vie­len störenden Schnitten. Das Auge kann in einer bestimmten Zeit nur eine bestimmte Anzahl von Wörtern "sehen", das oberste Ge­bot ist also: Verknappung. (Auf das Sehen komme ich am Ende zurück.)
Untertitelübersetzung ist so, wie sich die Über­setzung von Kreuzworträtseln anfühlen müsste, früher noch mehr als heute.

Denn schmale Buchstaben fielen damals weniger ins Gewicht als breite, es galt also, Wörter zu wählen, die möglichst viele Buchstaben wie l, t, i oder die platz­mä­ßig eher neutralen anderen Vokale verwenden, als Wörter, die vor Auf- und Abstrichen nur so strotzen (z.B. M, N, W). Kurz, das Wort Wunsch war nicht em­pfeh­lens­wert. Es hat nicht nur einen Buchstaben mehr als Bitte, sondern kann mit dessen Häufung schmaler Zeichen nicht mithalten. (Mir scheint jedenfalls, dass sich das geändert hat, denn bei den Titeln, die ich heute sehe, haben sich ähnlich wie bei vielen Typographien die Platzverhältnisse verändert. Sollte ich mich hier irren, liebe fachkundige Leser, bitte ich um kurze Rückmeldung.)

Kurz: Eine übersichtliche Menge möglicher Anschläge und die Neigung, schmalen Wörtern den Vorzug zu geben, beeinfluss(t)en den Übersetzungsvorgang. Im In­ter­net gibt es heute Reimlexika und Synonymseiten, aber Nachweise über raum­spa­ren­de Textbausteine habe ich noch nicht gefunden. Also heißt es auszählen und probieren. Irgendwann kennt der Kopf die Anzahl der Anschläge und Schmal­buch­sta­ben intuitiv 'auswendig', das Ausprobieren wird weniger.

Getippt haben wir die Titel in der Courier-Schrift, da sie den unterschiedlichen Brei­ten der Buchstaben Rechnung trug. (Das bildet heute nur noch die Schrift "American Typewriter" ab, siehe Bilder, die mögliche Denkschritte abbilden.)

Deshalb rennen Protagonisten eher nicht durch die Titel, sie laufen weniger raum­grei­fend. Und das geschieht nicht immer wieder, sondern oft — was unter Um­stän­den (kürzer: zum Teil) zu einer kleinen inhaltlichen Veränderung führt, die es na­tür­lich (sicher) zu vermeiden gilt. Es kann sein, dass diese Art der Wortwahl auch dazu führt, dass Untertitel etwas antiquiert klingen (und nicht altmodisch). So erleben Wörter wie stets ihr Revival (statt immer), oder anstelle des Satzes: "Paul kommt nur selten zu Besuch" wählen wir Untertitler die Redewendung "Paul macht sich rar".

Das gilt, um das Gesagte gleich wieder einzuschränken, sicher nicht für alle Filme. Wir haben selbstverständlich (gewiss) auch das Publikum im Kopf. Verstehen schon 10-jährige diese Redewendung, wenn der Film zum Beispiel ein Kinderfilm ist? Wohl eher nicht. "Wir sehen Paul selten" könnte, je nach Situation, die Lösung sein. Denn anders als beim Buch kann ja niemand zurückblättern, die Titel müssen sofort eingängig sein. 

Auch grammatikalisch führt die Untertitelei zu Veränderungen der Sprache. Wäh­rend wir umgangssprachlich sagen würden: "Anne? Die habe ich erst neulich ge­trof­fen?", sagt die Figur im Filmuntertitel eher: "Anne? Die traf ich erst neulich." Den Grund kennen Sie jetzt.

"Eingedampft" wird auch die gesamte Textmenge. Dazu ist aber Fin­ger­spit­zen­ge­fühl nötig, die Auswahl muss in Kenntnis des Films und seiner Dramaturgie statt­fin­den, das Fehlende soll mitschwingen. Zentrale Begriffe, die irgendwo eingeführt werden (im Fachjargon "planting"), und die anderswo wieder auftauchen (Fach­be­griff "pay off"), dürfen nicht versemmelt werden. Dann kommen noch die Rhyth­mus­prob­le­me, ein Titel sollte nicht über einem Bildschnitt stehenbleiben, und wenn viel im Bild passiert, ist auch Reduktion angesagt. Wichtig: Lesende Zu­schau­er dürfen nicht in Panik verfallen, dass sie oder er etwas verpassen könnte.

Nachvollziehen lässt sich das auch ohne große Fremdsprachenkompetenz mit den Untertiteln für Hörgeschädigte. Auch die einsprachig untertitelnden Kolleginnen und Kollegen haben dieses Problem und kennen die einschlägigen Tricks.

selbstverständlich ->gewiss, immer wieder -> oft etc.Bevor ich auf das "Sehen" der Titel zu­rück­kom­me, noch eine Bemerkung zur Un­ter­ti­tel­far­be. Neulich schlug jemand vor, die Buch­sta­ben in einen Kasten zu setzen, wie es bei Arte zu Beginn üblich war, da stand alles auf einem gelben Balken. Hier streiten sich die Fachleute. Ein solcher Eingriff ins Bild ist entstellend. Allerdings hat Lesbarkeit auch Vorteile. Die Probleme, die wir heute damit haben, fühlen sich für mich allerdings wie Mini-Probleme an. Damals (einst), auf dem Silbergelatinematerial, wurden die Titel aus der Beschichtung herausgebrannt. Da war dann der transparente, weiße Titel auf wei­ßem Bildhintergrund (helles Kleid, Tisch­decke o.ä.) wirklich nicht zu lesen.

So. Die Lesetheorie von Untertiteln besagt, dass Worte gar nicht einzeln entziffert, sondern in ihrer Gesamtheit wahrgenommen werden, also das Schrift­bild im Gehirn so verarbeitet wird, wie ein Symbol oder das Bezeichnete ganz reell verarbeitet werden würde. Das spricht für Titel und dafür, dass trotz Texts im Bild auch der Rest des Films "gesehen" werden kann.

Außerdem ist erwiesen, dass das mit der Zeit das "Erkennungstempo" ebenso zu­nimmt wie die Geläufigkeit im Umgang mit Schrift oder Sprache, die auch eine Fremdsprache sein kann. In Skandinavien werden nur Programme synchronisiert, die für Kinder oder Rentner hergestellt wurden, alles andere wird untertitelt. Sowohl in den Bereichen Lese- und Schreibkompetenz als auch in Fremdsprachen sind die Menschen aus skandinavischen Ländern durch die Bank weg besser. Ob die Ergebnisse der PISA-Studien nicht zu einem Großteil daran liegen? Ich vermute das stark. Und empfehle beim Sprachenlernen den Einsatz von Filmen, dabei die Un­ter­ti­tel in der jeweiligen Sprache einschalten. Hören bei gleichzeitigem Lesen ver­stärkt den Lerneffekt auch dann, wenn der Untertitel ein Synonym anzeigt.

Fortsetzung folgt demnächst. Thema: Details der "Un­ter­ti­tel­unterbezahlung", die mich veranlasste, das Feld zu wechseln. Die verbliebenen Kollegen finden sich ge­rade zusammen, um Aktionen zu durchzuführen.


Weiterführende Links: Ein Plädoyer für Untertitel auf Buurtal (Alexandra Kleijn).
Und hier wird beschrieben, was Dolmetscher schon lange wissen (ich bereite mich zum Teil so vor): Das Hörverständnis auch bei Akzenten steigt durch fremd­sprach­lich untertitelte Filme, Link zur Max-Planck-Gesellschaft (Holger Mitterer/James McQueen): "Da muttersprachliche Untertitelungen dieser Art von Lernen eher im Wege stehen, sollten auch in Fernsehprogrammen fremdsprachliche Untertitel als optionales Angebot zur Verfügung stehen, fordern die Wissenschaftler."
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Illustrationen: C.E.

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